Opfer der Berühmtheit


Sehr geehrter Herr Doktor,


wir haben mit einigem Erstaunen Kenntnis von Ihrem Schreibenvom 31. Mai 1927 genommen. Wir bedauern natürlich die Tatsache, dass wir
einem Abschreiber zum Opfer gefallen sind, betonen jedoch, dass eine Schuld
unsererseits unter keinen Umständen in Frage kommt, und wir verstehen daher
nicht, dass Sie uns für den Schaden haftbar machen wollen, noch dazu mit einer
solch exorbitant hohen Summe, die in keinem Verhältnis zu der wirklichen Schä
digung stehen kann, da diese nach unserer Meinung, wie auch nach der Ansicht
von Herren des Schutzverbandes der deutschen Schriftsteller in dem vorliegenden
Fall nicht übermässig gross sein wird, erschien doch die in Frage stehende
Erzählung nur in einem ganz geringen Teil der Tagesausgabe unseres Blattes.


Eine Haftbarmachung käme, wie Sie wohl selbst wissen werden,
überhaupt nur in Frage, wenn uns ein Verschulden, d.h. eine Fahrlässigkeit,
nachgewiesen werden könnte. Dies ist jedoch undenkbar. Es gibt für den Redak
teur keine Möglichkeit, sich vor solchem Piratentum zu schützen. Mit dem
besten Willen kann er einem Manuskript nicht ansehen, ob es sich um eine Ori
ginalarbeit oder um eine niederträchtige Abschreiberei handelt. Und jeder
Redakteur weiss, dass solche Fälle nicht nur einmal sondern heute leider
sehr häufig vorkommen.


Aus den dargelegten Gründen müssen wir also die von Ihnen
verlangte Busse in Höhe von dreitausend Goldmark zuzüglich Ihrer Rechtsanwalts
kosten grundsätzlich ablehnen. Wir verweisen Sie an den Verfasser des betref
fenden Artikels, Herrn
Willy Reese, Hamburg, Osterstrasse Nr. 123,
von dem wir selbstverständlich umgehend eine Stellungnahme gefordert haben. Da
wir nunmehr erfahren haben, dass der wirkliche Autor der kleinen Erzählung
Herr Karl Kraus ist und es bei uns nicht üblich ist, einem Autor
sein Honorar vorzuenthalten, so sind wir gern bereit, freiwillig Herrn KarlKraus den Höchstsatz der bei uns üblichen Honorare zu übermitteln. Wir betonen
jedoch ausdrücklich, dass wir damit keinerlei Verpflichtung anerkennen, sondern
dass dies lediglich aus freiem Willen und weil es den Usancen unseres Hauses
entspricht, geschieht.


Mit vorzüglicher Hochachtung
M.A. Meumann


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