Sehr geehrter Herr!


Es ist durchaus irrig, dass ich die Berichtigung, die Sie mir im Voll
machtsnahme des Herrn Karl Kraus zugesandt haben, infolge „einer falschen
Interpretierung“, in einer „irrtümlichen Annahme“ verspätet (nämlich nicht,
wie es das Pressgesetz vorschreibt, in der ersten oder zweiten nach dem
Einlangen der Berichtigung erscheinenden Nummer) veröffentlicht habe. Viel
mehr war mein Standpunkt gegenüber der Berichtigung der folgende: Die Be
richtigung entsprach in gar keiner Hinsicht dem Pressgesetz, hätte also von
mir natürlich abgelehnt werden können. Da aber Herr Karl Kraus auf die Dar
legung anscheinend Wert legte, habe ich sie trotzdem als Zuschrift ver
öffentlicht. Aber auch die „Verspätung“ geschah aus den Gründen dieser Loya
lität: Ich wollte die Darlegung, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen, den Le
sern an derselben Stelle unterbreiten, an der die angeblich unrichtige An
gabe gestanden ist. Da ich nun weder verpflichtet noch auch bereit war, die
Darlegung als eine Berichtigung gemäss dem Pressgesetze zu veröffentlichen,
so glaube ich, es unterlassen zu dürfen, auf Ihre umständlichen Auseinander
setzungen über die Mängel der Veröffentlichung einzugehen. Dass auch dann,
wenn die Veröffentlichung als Zuschrift erfolgte, über die Herkunft der Zu
schrift eine Angabe zu machen gewesen wäre, ist allerdings richtig, und
dass die Anfangszeilen der Zuschrift verstümmelt worden sind, bedaure ich
lebhaft. Ich bin natürlich auch bereit, jene Ergänzung und diese Richtig-
stellung noch vorzunehmen, doch unter der Voraussetzung, dass anerkannt wird,
ich sei zu der Veröffentlichung der Berichtigung nicht verpflichtet gewesen.
Wenn Sie damit einverstanden sind, so bitte ich um eine Verständigung bis
heute 7 Uhr abends: damit die Berichtigung noch diesen Sonntag erfolgen kann.
Was Ihr Ersuchen betrifft, Ihnen einen Betrag von 100 Schilling für Notleiden
de zu überweisen, so ist mir keine Bestimmung des Pressgesetzes bekannt, die
einen Berichtigungswerber, oder dessen Anwalt, berechtigen würde, ein sol
ches Begehren zu stellen; ebensowenig kann ich auch eine Verpflichtung anerken
nen, dem Rechtsanwalt für die Zusendung einer Berichtigung, überdies einer
Berichtigung, die den Begriff einer gesetzmässigen Berichtigung nicht erfüllt,
Spesen zu zahlen. Ich muss es Ihnen also überlassen, die angekündigte Klage zu
erheben, wobei ich allerdings glaube, dass das Gericht die Frage der Gesetz
mässigkeit der Berichtigung zu prüfen haben wird. Denn das Gericht wird
nicht übersehen können, dass gegen eine Veröffentlichung, zu der man überhaupt
nicht verpflichtet gewesen ist, weder der Einwand der Verspätung noch der der
Inkorrektheit erhoben werden kann: weil das Pressgesetz dem Beteiligten nur
die Möglichkeit eröffnet, die Hilfe des Gerichtes zur Erfüllung eines Verlangens
anzurufen, das berechtigt, also gesetzmässig ist.


Zur Vermeidung eines Missverständnisses bemerke ich noch: Wenn mir Ihre
geschätzte Mitteilung, dass Sie mit der Richtigstellung, zu der ich mich bereit
erklärt habe, einverstanden sind, nicht bis heute Abend wird, so nehme ich an,
dass Sie es vorziehen, gemäss der Schlussbemerkung Ihrer geschätzten Zuschrift
vorzugehen.


In aller Hochachtung
Bruno Holfeld

3