Aus der RadiowocheHeiratenAus der RadiowocheDie FackelArbeiter-Zeitung, 19.6.1927


An das
Strafbezirksgericht I
Wien.


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller und
Herausgeber der „Fackel“ in Wien
III. Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3
durch:


Vollmacht ausgewiesen zu U I 109/25


Beschuldigter: Bruno Holfeld, verantwort
licher Redakteur der Arbeiter Zeitung
in Wien V. Rechte Wienzeile Nr. 97


wegen § 24 Pressgesetz
eventuell § 45 Absatz 4 Urh.Ges.


1 fach
5 Beilagen


Privatanklage.


1 In der Nummer 167 des 40. Jahrganges der„Arbeiter Zeitung“ vom 19. Juni 1927 erschien
auf Seite 9 in der Rubrik „Aus der Radiowoche“
eine Besprechung der in der Vorwoche durch das Radio
zur Aufführung gelangten Musikstücke. In dieser
Besprechung stand folgende Behauptung:


„Das Lied ‚Heiraten, heiraten‘ dürfte
nicht von Nestroy herstammen, sondern von JuliusHopp. In einem Fackelheft ist das schon fest
gestellt worden und die Literaturkommandantur der
Ravag könnte schon darum wissen.“


Als Herausgeber der „Fackel“ sandte
ich durch meinen Anwalt Dr. Oskar Samek am 21. Juni
2 1927 beiliegende Berichtigung an den Beschuldigten,
welche er am 22. Juni 1927 erhalten hat. Die Be
richtigung erschien weder am 23. noch am 24. Juni.
Am 26. Juni 1927 erschien in der Nummer 174 des
3 40. Jahrganges der Arbeiter Zeitung auf Seite 10
ein Teil des Berichtigungsschreibens und auch dieser
Teil verstümmelt. Überdies war diese Veröffentli
chung weder als Berichtigung gekennzeichnet, noch
war der Absender der Zuschrift bekannt gegeben. Die
Veröffentlichung entsprach also in keiner Weise
dem Pressgesetze, sie war nicht als Berichtigung er
kennbar, es war der Berichtigungswerber nicht an
geführt, es war nicht der volle Text der Berichtigung veröffentlicht worden, die Zuschrift wurde ver
stümmelt und überdies erschien die Berichtigung ver
spätet. Da ich glaubte, dass der Beschuldigte in
der irrtümlichen Annahme, dass als die Nummer der
Zeitung, in der eine Berichtigung zu erscheinen hat,
die Rubrik, der der berichtigte Artikel zugehört
hat, aufzufassen sei, die Berichtigung erst am 26.
Juni 1927 veröffentlichte, und die Weglassung einer
Zeile und die anderen Entstellungen vielleicht auf
einen technischen Zufall zurückzuführen wären – ob
wohl es merkwürdig war, dass gerade der Satz ver
stümmelt wurde, dass das Gegenteil der Behauptung
richtig sei – forderte ich ihn durch meinen Anwalt
4 in einem Schreiben vom 29. Juni 1927 auf, eine
Korrektur der Veröffentlichungen der nächsten Sonn
tagsnummer zum Abdruck zu bringen und den Betrag
von S 100.– für Notleidende und S 20.– Anwaltsspesen
zu überweisen. Für den Fall, als der Beschuldigte
auf diesen Vorschlag nicht eingehen sollte, drohte
ich ihm die Klageführung an. Der Beschuldigte ant
5 wortete mit dem Schreiben vom 1. Juli 1927, in wel
chem er die Gesetzmässigkeit der Berichtigung be
stritt, ohne allerdings deren Gesetzwidrigkeit im
einzelnen zu begründen. Ich sehe mich daher zur
Klageführung genötigt.


Obwohl ich die Berichtigung für voll
ständig gesetzmässig halte, möchte ich doch schon
in der Klage mich mit der Ansicht des Beschuldigten
auseinandersetzen, dass gegen eine Veröffentlichung,
zu der der verantwortliche Redakteur nicht ver
pflichtet gewesen ist, die Einwendung der Inkorrekt
heit nicht erhoben werden kann. Ich verweise auf
die Plenissimarentscheidung des obersten Gerichtshofes vom 17. April 1890, Z.1631, Sg.Nr. 1342,
dass die Vorschrift des Pressgesetzes, wonach Be
richtigungen unverändert und ohne Einschaltung
irgendeiner Art abgedruckt werden müssen, auch bei
Berichtigungen gilt, deren Abdruck zu verweigern
der Redakteur berechtigt wäre; den Abdruck in
verstümmelter Form, mit Zusätzen oder Weglassungen
zu veranlassen, sei nicht gestattet. Eine Änderung
in dieser Hinsicht ist durch das neue Pressgesetz
nicht eingetreten. Eventuell in Gesetzeskonkurrenz
oder allein ist bei Beurteilung des Falles auch
die Bestimmung des § 45 Abs. 4 des Urh.Ges. heran
zuziehen. Denn ich habe dem Redakteur die Berich
tigung zum wörtlichen Abdruck übersendet, die Ver
stümmelung erfolgte ohne meine Zustimmung; der Ab
druck unterliegt daher den Strafbestimmungen dieses
Gesetzes.


Ich stelle daher den
Antrag,


1.) gegen den Beschuldigten eine Hauptver
handlung anzuberaumen;


2.) zu derselben den Beschuldigten zu laden;


3.) die Notiz der Arbeiter Zeitung vom 19.
Juni 1927, das Berichtigungsschreiben vom
21. Juni 1927, die Zuschriftveröffentlichung vom 26. Juni 1927, das Schreiben
meines Anwaltes vom 29. Juni 1927 und das
Antwortschreiben des Beschuldigten vom
1. Juli 1927 zu verlesen;


4.) den Beschuldigten zu bestrafen.


Karl Kraus.

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