Geschäftszahl U I 405/27/2
Oeffentliche Hauptverhandlung.
Strafbezirksgericht I in Wien am 28. September 1927
Beginn 1/2 1 Uhr.
Gegenwärtig:
L.G.R. Dr. Kramer Schriftführer: Dr. Russy
Privatankläger sein
Vertreter Dr. Oskar
Samek a.z. U I 109/25
Angeklagter Karl
Schiffleitner n.e. Z.a.
Verteidiger: f. Dr. Voglar-Deinhardstein Dr. Fritz Kammern S.V.
B.
auf Durchführung der Verh. gem.
§ 459 St.P.O.
Die Anklage wird vorgetragen. Der
Verteidiger des Angeklagten
gibt über dessen persönlichen
Verhältnisse und die Anklage an: Karl Schiffleitner,
22.II.1897, in. St. Andrä (Bez. Tulln) geb. und zust.,
r.kath, verh., verantwortlicher
Schriftleiter der „Reichspost“, Eltern: Karl und Thekla, Gattin: Marie, VIII. Lenaugasse 7, wegen
Pressdelikten wiederholt vorbestraft.
Verlesen wird aus Nr. 259 der „Reichspost“ vom
18. September 1927 der auf Seite 9 unter der Überschrift
„Die Angriffe auf Präsidenten Schober“ erschienene Auf
satz, das Impressum
der genannten Zeitung und das Berichtigungsschreiben de dato
19. September 1927. –
Verteidiger gibt zu, dass Besch. in der
in Betracht kommenden Zeit
verantwortlicher Schriftleiter
der obgenannten Zeitung war, dass er das Berichtigungsschreiben am
20.9.27 erhalten hat, die verlangte Berich
tigung jedoch nicht gebracht
wurde, obgleich mehr als
zwei
Nummern der „Reichspost“ seit Erhalt des
Berichtigungs
schreibens erschienen sind. –
In der Sache selbst wendet der
Verteidiger
folgendes ein:
1.) Dass (wie es im zweiten
Absatz des
oberwähnten Artikels heisst, Karl Kraus …
„plakatieren
wollte“, stelle eine Absicht aber keine Tatsache dar,
die berichtigungsfähig sei. –
2.) Gehe die Antithese des
zweiten Punktes der
Berichtigung in den Worten: „Wahr ist, dass er (KarlKraus) eine konkrete
Aufforderung in einem nachher …
… veröffentlichten Vortrage … bis … zu räumen“ weit
über den zulässigen Rahmen hinaus
und bedeute aber ins
besondere der zweite Teil der Antithese: „Wahr ist, dass
er in einem Hefte … bis …
stattgefunden hat“, eine
gesetzlich ganz unstatthafte
Weitschweifigkeit, die in
keinem
Zusammenhang mit der These stehe.
Der P.A.V. bezeichnet die Einwendungen als un
stichhältig. Keine weiteren
Beweisanträge.
Schluss des Beweisverfahrens.
P.A. Vertreter beantragt Bestrafung des Besch.
und Veröffentlichung der Berichtigung. –
Verteidiger beantragt Freispruch.
Der Richter verkündet das
Urteil
samt Gründen.
P.A. Vertreter erklärt, gegen das Urteil pcto.
Schuld und wegen Richtigkeit zu
berufen und bittet um
Zustellung
einer Urteilsausfertigung.
Ende 1 Uhr
Dauer 30 Minuten
Verh.Geb. S 1.–
Urt.Geb. S 5.–
Ber.Anmeld. 3.–
Der Richter:
Kramer mp.
Der Schriftführer:
Dr. Russy mp.