ReichspostReichspost, 18.9.1927Die Angriffe auf Präsidenten Schober


Geschäftszahl U I 405/27
3


Im Namen der Republik


Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressger. hat heute in Gegenwart
des PA Vertreters Dr. Oskar Samek,
in Abwesenheit
des Angeklagten Karl Schiffleitner
und in Anwesenheit des Verteidigers Dr. Fritz Kammern
über die Anklage verhandelt, die der Privat
ankläger Karl Kraus gegen
Karl Schiffleitner, 30. Jahre alt, verh.
verantwortl. Schriftleiter der „Reichspost
wegen der Übertretung nach § 24 (2) 3 Pressgesetz
erhoben hatte,
und über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung Beschuldigten
u. Verpflichtung zur Veröffentlichung der Berichtigung in der genannten
Zeitung
zu Recht erkannt:


Karl Schiffleitner wird von der Anklage, er habe im Sep
tember 1927 in Wien als verantwortlicher Schriftleiter der „Reichspost“ sich grundlos geweigert, die von Karl Kraus verlangte Berichtigung
von in der Nummer 255 der genannten Leitung vom 18. September 1927
unter der Überschrift „Die Angriffe auf Präsidenten Schober“ mit
geteilten Tatsachen zu veröffentlichen und hiedurch die Übertretung
nach §§ 23 u. 24 (2) 3 Pressgesetz begangen gem. § 259/3 StPO.
freigesprochen. –


Gemäß § 390 St.P.O. hat der Privatankläger Karl Kraus die Kosten
des Strafverfahrens zu ersetzen.


Entscheidungsgründe.


Durch die Angabe des Verteidigers und das Impressum
ist erwiesen, dass Beschuldigter in der in Betracht kommenden Zeit
verantwortlicher Schriftleiter der „Reichspost“ war, dass er das Berichtigungsschreiben vom 19. September 1927 am 20. September
1927 erhalten hat und seit Erhalt des Berichtigungsschreibens
mehr als zwei Nummern der „Reichspost“ erschienen sind, ohne dass die verlangte
Berichtigung veröffentlicht worden wäre.


Was den ersten Absatz der Berichtigung anlangt, so ent
hält die These den Begriff „Begönnerung“, der richterweise ü
berhaupt nur subjektiv zu interpretieren ist. – Diese These ent
hält ferner in den Worten … „was ihm die ‚Wipag‘, das städt.
Plakatierungsinstitut, verweigert habe“ eine Stelle, auf die
die Antithese gar nicht reflektiert. Ausserdem enthält die The
se die Behauptung, dass Karl Kraus … „plakatieren wollte“, was sich doch
nur auf eine Absicht bzw. ein Vorhaben bezieht und daher nicht
eine berichtigungsfähige Tatsache darstellt. –


Bezgl. des zweiten Teiles der Berichtigung, ist das Ge
richt der Ansicht, das die Antithese dieses Teiles inhaltlich
weit über den Rahmen des Notwendigen hinausgeht, in dem sie in
längerer Ausführung einen angeblichen Vorfall schildert, auf dem
die These bezw. die Stelle des Artikels sich gar nicht bezieht. –


Diese Antithese enthält aber obendrein noch eine klar zu
Tage tretende Verspottung des Preisrichterkollegiums für denBauernfeldpreis, beinhaltet daher eine strafbare Handlung (§491 StG.) was den verantwortlichen Schriftleiter gem. § 23 beinhaltet daher eine strafbare Handlung (§491 StG.) was den verantwortlichen Schriftleiter gem. § 23(2) 4 Pressgesetz zur Verweigerung der Aufnahme der Berichtigung
berechtigt. –


Aus allen diesen Erwägungen war der Beschuldigte berech
tigt, die von Karl Kraus verlangte Berichtigung zu verweigern. –


Der Freispruch erscheint hiemit begründet. –


Der Ausspruch über die Kosten des Strafverfahrens stützt
sich auf § 390 St.P.O.


Wien, am 28. September 1927.


Kramer
Kahlert


Kraus / Reichspost
14. Okt 1927