G.Z. U I 405/27
An das
Strafbezirksgericht IWien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in WienIII., Hintere
Zollamtsstrasse Nr. 3,
durch:
Beschuldigter: Karl Schiffleitner, verant
wortlicher Redakteur der
„Reichspost“
in Wien VIII., Strozzigasse Nr.
8,
wegen § 24 Pr.G.
1 fach
Ausführung der Berufung.
Gegen das Urteil des StrafbezirksgerichtesI in Wien als Pressegericht vom 28. September 1927 G.Z. U I
405/27/3, mit welchem der
Angeklagte Karl
Schiffleitner von
der Anklage, er habe im September 1927 in Wien als
verant
wortlicher Schriftleiter der „Reichspost“ sich grundlos ge
weigert, die von mir
verlangte Berichtigung von in der
Nr. 255 der genannten Teilung vom 18. September 1927 unter
der
Ueberschrift „Die Angriffe auf Präsidenten
Schober“ mitge
teilten Tatsachen zu veröffentlichen und hiedurch die Ueber
tretung nach §§ 23 und 24 (2) 3 Pressgesetz begangen, gemäss
§ 259 Z. 3 St.P.O. freigesprochen wurde, habe ich die
Berufung
pcto. Schuld und
wegen Nichtigkeit angemeldet und zwecks Aus
führung der Berufung um
Zustellung einer Urteilsausfertigung
gebeten. Diese
Urteilsausfertigung wurde meinem Vertreter
Dr. Oskar Samek am
14. Oktober 1927 zugestellt.
Ich erstatte fristgerecht
folgende
Ausführung der Berufung.
Als Nichtigkeitsgründe
werden die des § 281Z. 5,
9b eventuell a St.P.O. geltend gemacht.
Die Entscheidungsgründe sind
sehr kurz ge
fasst, die einzelnen Gedanken und Ansichten nur in Schlag
worten angedeutet. Es ist
daher notwendig, sie herauszuar
beiten und einzeln zu
widerlegen.
Die Entscheidungsgründe
sagen: „Was den
ersten Absatz der
Berichtigung anlangt, so enthält die These
den Begriff ‚Begönnerung‘, der
richterweise überhaupt nur
subjektiv zu interpretieren ist.“ Diese Behauptung des erst
richterlichen Urteiles steht mit den Akten, nämlich mit dem
vorgelegten Artikel der „Reichspost“ und mit dem Berichtigungsschreiben selbst im
Widerspruche. Die These enthält nämlich
1als zu berichtigende
Tatsache nicht die „Begönnerung“
sondern
den Inhalt des Plakats, das
ich durch die „Wipag“ affichie
ren lassen
wollte, nämlich einen Hinweis auf die Begönnerung
Bekessys durch die Sozialdemokratie des Wiener Rathauses.
Als Inhalt des Plakates ist
nun dieser Hinweis auf die „Be
gönnerung“
absolut nicht subjektiv zu interpretieren und es
ist auch vollständig
belanglos, ob diese Begönnerung meine
subjektive Ansicht oder
objektive Tatsache wäre, weil in dem
Augenblicke, wo sie als
Inhalt eines Plakates mitgeteilt
wird, jede subjektive
Ansicht objektiviert und berichtigungs
fähige Tatsache wird. Es
muss mir das Berichtigungsrecht
ebenso zustehen, wie wenn
mitgeteilt wird, dass ich eine Hypo
these, also gewiss den
reinsten Meinungsausdruck, aufgestellt
hätte und ich berichtige,
dass ich nicht diese, wohl aber eine
andere Hypothese aufgestellt
hätte.
Das Urteil erster Instanz wirft der Berichtigung weiter vor,
dass die These die Worte enthalte, „was ihm
2die ‚Wipag‘, das
städtische Plakatierungsinstitut verweigert
habe“,
eine Stelle, auf die die Antithese gar nicht reflektiert.
Dies ist selbstverständlich.
Denn, dass die „Wipag“ die
Affichierung meines Plakates
verweigert, ist eine wahre Tat
sache, die ich gar nicht
berichtigen wollte. Was ich einzig
berichtigen wollte, war der
Inhalt des Plakates, nämlich,
dass dieser nicht ein Hinweis auf die Begönnerung Bekessys,
sondern
eine Warnung vor der Auslieferung der den Herrn
Bekessy betreffenden Strafakten an die ungarische Justiz
war.
Die Aufnahme des
Satzes, dass mir die Affichierung des Plaka
tes durch die „Wipag“ verweigert wurde, hat ihren guten
Grund
in der
Notwendigkeit der Identifizierung, weil ich eine An
zahl anderer Plakate, meine
Vorlesungen betreffend, durch die
„Wipag“ affichieren liess, was anstandslos erfolgte. Der
Ge
danke der
Berichtigung ist also folgender: Das Plakat, dessen
Affichierung die „Wipag“ verweigert hat, enthielt nicht
einen
Hinweis auf die
Begönnerung Bekessys durch die Wiener Sozial
demokraten,
sondern eine Warnung vor der Auslieferung der den
Herrn Bekessy betreffenden Strafakten an die ungarische Justiz.
Diese Berichtigung ist vollständig in Ordnung und dass sie
nicht
in diese Worte
gefasst wurde, hat seine Ursache nur darin, dass
ich mich notgedrungen an den
Wortlaut des Berichtes selbst an
schliessen musste.
Des Urteil erster Instanz begründet seinen Frei
3spruch ferner damit, dass die Worte „plakatieren wollte“ sich
nur auf eine Absicht
beziehungsweise ein Vorhaben beziehen und
daher nicht eine
berichtigungsfähige Tatsache darstellen. Selbst
wenn es sich hier
tatsächlich nur um ein inneres Vorhaben ge
handelt hätte, wäre nach der
bekannten Entscheidung des OberstenGerichtshofes vom
29./5.1925, Os 299/25, die Berichtigungsmög
lichkeit gegeben, weil nach
dieser Entscheidung des OberstenGerichtshofes auch
Ansichten, Absichten, Entschlüsse, Beweggründe,
Gesinnungen, die jemandem
zugeschrieben werden und die man als
der Selbstbeobachtung
zugängliche innere Tatsachen zu bezeich
nen pflege, als
berichtigungsfähige Tatsachen anerkannt werden.
Im vorliegenden Falle ist es
aber nicht bei dem inneren Vorhaben
geblieben. Ich habe das
Plakat der „Wipag“ zur Affichierung
übergeben und diese hat, wie
ja der Bericht selbst erwähnt, die
Affichierung verweigert.
Mein Wollen stellt also hier nicht eine
innere Tatsache dar, sondern
eine äussere Tatsache, die Ueber
gabe zur Plakatierung. Dass
diese Tatsache berichtigungsfähig
ist, steht also ausser
Zweifel. Es wird aber an dieser Tatsache
überdies gar nichts
berichtigt, sondern es wird doch nur, wie
erwähnt, der falsch
mitgeteilte Inhalt des Plakates, dass ich
durch die „Wipag“ affichieren lassen sollte, berichtigt. Alle
anderen Mitteilungen des Berichtes und der Berichtigung dienen
lediglich zur
Charakterisierung respektive Identifizierung des
Plakates und haben bei der
Entscheidung aber die Rechtmässig
keit der Berichtigung ausser Betracht zu bleiben.
Das Urteil erster Instanz begründet seinen Frei
spruch auch
damit, dass die Antithese des zweiten Teiles der Berichtigung
inhaltlich weit über den
Rahmen des Notwendigen hinaus
gehe, indem sie in längerer
Ausführung einen angeblichen Vorfall
schildere, auf den die
Stelle des Artikels sich gar nicht
be
ziehe. Nun
ist mir keine gesetzliche Vorschrift bekannt, dass
ich eine Berichtigung nur in
dem Rahmen des Notwendigen halten
müsste. Es ist für die
Gesetzlichkeit einer Berichtigung nur
erforderlich, dass in einem
Artikel der Zeitung Tatsachen mit
geteilt werden, die den
Berichtigungswerber betreffen und nach
Darstellung desselben
unrichtig sind. Ob der Berichtigungswer
ber zur Darstellung der
Unrichtigkeit eine weitschweifige oder
kürzere Fassung wählt, ist
seine Sache. Nach wiederholten Ent
scheidungen der Gerichte und
des Obersten Gerichtshofes steht es
in seinem Belieben, eine
genaue und ausführliche Darstellung
des Sachverhaltes zu geben.
Von grösserem Gewichte wäre die
Begründung, dass sich die
Stelle des Artikels gar nicht auf
den
Vorfall beziehe, den
ich in meiner Berichtigung dargestellt
habe. Diese Ansicht aber ist
unrichtig. Der Bericht enthält
folgende mitgeteilte
Tatsachen.
1.) Dass ich einem meiner
Angriffsobjekte ein Diktum
an
den Kopf warf;
2.) dass
dieses Diktum in einem Vortrage erfolgte, der
in der „Fackel“ veröffentlicht wurde;
3.) dass die
Veröffentlichung in der „Fackel“
nach dem
Vertrage
erfolgte;
4.) dass dieses
Diktum wortwörtlich gelautet habe:
„Ich fordere Sie auf, sich zu
erschiessen!“
Jede dieser Mitteilungen ist
berichtigungsfähig und ich habe
auch die unter 3 und 4
angeführten Mitteilungen berichtigt. Hier-
bei konnte es sei
selbstverständlich nicht bei zwei Gegensätzen
bleiben, weil der Inhalt des
Diktums und der Zeitpunkt der Ver
öffentlichung desselben
mehrere Kombinationen erforderten. Ich
musste daher berichtigen,
dass das Diktum, „ich fordere Sie auf,
sich zu
erschiessen“, überhaupt nicht gesprochen wurde, sondern
dass ein ähnliches Diktum in
anderer Absicht und mit einem voll
ständig anderen Wortlaut von
mir gebraucht wurde. Zur Berichti
gung des Wortlautes wäre ich
selbst bei Identität des Inhaltes,
die jedoch nicht vorliegt,
berechtigt, weil die Worte „ich
fordere Sie auf, sich zu
erschiessen“ unter Anführungszeichen
gesetzt worden waren, so
dass sie dem Leser als mein wörtlicher
Ausspruch mitgeteilt wurden.
Ich musste auch berichtigen, dass
dieses Diktum nicht erst
gesprochen und dann in der „Fackel“
veröffentlicht wurde, sondern umgekehrt, zuerst in der „Fackel“
veröffentlicht und dann in
einem Vortrage gesprochen wurde. Ich
konnte aber auch
berichtigen, dass ich einmal auch ein Diktum
zuerst gesprochen und dann
im Drucke veröffentlicht habe, dass
aber dieses Diktum nicht
eine Aufforderung „sich zu erschies
sen“,
sondern eine Aufforderung an Herrn Bekessy war,
den Schau
platz
seiner Tätigkeit zu räumen. Ich gestehe zu, dass der Sach
verhalt kompliziert ist,
aber wenn die Zeitung einen komplizier
ten Sachverhalt berichtet,
so muss sie sich auch eine kompli
zierte Berichtigung gefallen
lassen. Es ist gewiss ausschliess
lich Sache des
Berichtigungswerbers, ob er die Tatsache, dass
ein Diktum erst gesprochen
und dann im Drucke veröffentlicht
wurde, oder umgekehrt, und
welchen Inhalt dieses Diktum gehabt
hat, für so wichtig hält,
dass er die Notwendigkeit empfindet,
eine falsche Mitteilung zu
berichtigen. Ich, der ich eine Le
bensarbeit daran gewendet
habe, von der Presse die schärfsten
Genauigkeit im
Tatsachenbericht zu verlangen, empfinde diese
Notwendigkeit. Man glaube ja
nicht, dass dieses Verlangen über
flüssig ist. Ich habe es in
meiner langjährigen Tätigkeit zu
wiederholten Malen erfahren,
dass gerade die Fälschung in
Kleinigkeiten der Presse die Möglichkeit gibt, ihr verhängnis
volles Treiben auszunützen
und dass eine wirklich verlässliche
Presse nur dadurch zu
erzwingen ist, dass man ihr in der Tat
sachenberichterstattung auf
die Finger sieht.
Das Urteil erster Instanz begründet den Frei
spruch noch damit, dass die
Berichtigung eine klar zu Tage tre
tende Verspottung des Preisrichterkollegiums für den Bauernfeldpreis enthalte,
daher eine strafbare Handlung (§ 491 St.G.)
beinhalte, was den
verantwortlichen Schriftleiter gemäss § 23(2) 4
Pr.G. zur Verweigerung der Aufnahme der Berichtigung
berechtigte. Ich werde noch
ausführen, dass diese Ansicht des
Erstgerichtes unrichtig ist, dass hier von einer
Strafbarkeit
der
Veröffentlichung keine Rede sein kann. Ich möchte nur vor
her noch darauf hinweisen,
dass §§ 23 Abs. 2 Z. 4 sagt, die Auf
nahme kann verweigert werden, wenn die Veröffentlichung der Be
richtigung strafbar wäre.
Die Aufnahme muss also nicht verwei
gert werden. Wenn sie der
verantwortliche Schriftleiter aus
diesem Grunde verweigert, so muss er sich darauf berufen. Das
hat aber der verantwortliche
Schriftleiter respektive sein Verteidiger
nicht getan. Er hat einige Gründe vorgebracht, die ihn
nach seiner Ansicht
berechtigten, die Berichtigung nicht zu
veröffentlichen, nicht aber,
dass er sie deshalb verweigert habe,
weil die Veröffentlichung
strafbar wäre. Da der verantwortliche
Redakteur die
Aufnahme der Berichtigung verweigern kann, aber
nicht verweigern muss und
sich nicht damit verantwortete, dass
er die Veröffentlichung aus
dem Grunde der Strafbarkeit ver
weigert hatte, so durfte das
Erstgericht auch nicht aus diesem
Grunde einen Freispruch
fällen. Ueberdies ist die Veröffent
lichung dieser Berichtigung nicht strafbar. Die Veröffentlichung
der Glosse über die Preisrichter des Bauernfeldpreis-Komitees
erfolgte am 29. Februar
1912. Die Preisrichter haben wegen die-
ser Glosse keine Klage gegen mich erhoben, also offensichtlich
auch keine strafbare
Handlung in dieser Glosse bildet. Aber selbst
wenn eine Beleidigung in
diesem Satze gelegen gewesen wäre, so
wäre die Verwendung
desselben als Argument gegen mich keine
strafbare Handlung für die
Zeitung, da nach § 493 St.G. nur
strafbar ist, wer eine
Ehrenbeleidigung weiter zu verbreiten
sucht, also in der
Absicht handelt, zu ihrem grösseren Bekannt
werden beizutragen. Sonst
wäre ja jede Berichterstattung über
eine
Ehrenbeleidigungsverhandlung mit genauer Wiedergabe der
inkriminierten
Ehrenbeleidigungen eine strafbare Handlung, wie
gewiss kein Gericht
entscheiden wird. Wenn also in einem Ge
richtssaalbericht mitgeteilt
würde, dass ich wegen Ehrenbelei
digung angeklagte wurde,
weil ich jemandem den Vorwurf gemacht
hätte, er habe mir eine
Sache veruntreut, so kann ich doch ge
wiss berichtigen, dass der
Vorwurf, dessentwegen ich angeklagt
wurde, der des Diebstahls
war. Eine solche Veröffentlichung
wäre ebensowenig strafbar,
wie der Gerichtssaalbericht selbst.
Man mache die Probe auf die
Richtigkeit, indem man sich denkt,
dass der Bericht der „Reichspost“ gleich anstatt des unrichti
gen Diktums das richtige
gesetzt hätte. Ist es denkbar, dass die
Reichspost zur Verantwortung hätte gezogen werden können, wenn
sie geschrieben hätte: „Man
erinnert sich noch, wie Karl Kraus
vor Jahren in einem nachher
in der ‚Fackel‘ veröffentlichten
Vortrage einem seiner
Angriffsobjekte das Diktum an den Kopf
warf: ‚Sie sollen mit Bedauern die
Bauernfeldpreise zurückziehen
und erklären, dass sie
nicht in der Lage sind, den Wahrheitsbe
weis anzutreten. Oder
sie sollen, wenn sie das nicht über sich
bringen, zu fünft ein
Hotelzimmer mieten und den Selbstmord, den
sie durch Verteilung des
Bauernfeldpreises markiert haben, voll
ziehen‘. Sprachs
und die – Erde drehte sich weiter. So wird es
auch diesmal sein.“ Wenn
aber, wie ich als sicher annehme, kein
Gericht deshalb die „Reichspost“ wegen Beleidigung verurteilt
hätte, so kann auch in der Aufnahme der Berichtigung keine
strafbare Handlung liegen.
Ich stelle daher den
Berufungsantrag:
das erstrichterliche Urteil aufzuheben und den Angeklagten
gemäss dem Strafantrage zu
verurteilen.