Sehr geehrter Herr Kollege!
In Sachen Kraus gegen
Völkischen Beobachter
ist die Hauptverhandlung auf
neuerlichen Verlegungsantrag
des Gegners auf heute, 11. Juni 1928, vorverlegt
worden.
Ich habe die
Verhandlung, welche 2 1/2 Stunden dauerte,
durchgeführt. Ich hatte mit
freundlicher Mithilfe des
Herrn Dramaturgen Heinrich Fischer als Zeugen zur Stelle
gebracht: Herrn Bruno Frank, Schriftsteller in München,
Herrn Dr. Ring, Herausgeber des Kunstwart, Herrn Dr. Steffel,
Staatsbibliothekar; der Gegner hatte jedoch keine Zeugen
und Sachverständigen
mitgebracht, sodaß ich, um eine neuer
liche Terminsverlegung zu
vermeiden, auf Vernehmung der
Zeugen ebenfalls verzichten konnte.
Ich habe auf die ziemlich
verworrenen Ausführungen
des Beklagten etwas ironisch und im übrigen rein
juristisch
repliziert,
insbesondere wies ich darauf hin, wie das
Hakenkreuzlerblatt in Wien
1924 das Traumstück kritisiert
hat und stellte die masslosen
Beschimpfungen des Völkischen
Beobachters dem gegenüber.
Bezüglich der frei
erfundenen Tanzszene verteidigte
der Beklagte sich damit, daß er in der Aufführung den Tanz
von Valuta und Zinsfuß bei
schlechter Beleuchtung so gesehen
habe, wie wenn eine Hure mit
einem einbeinigen Soldaten
tanze. Ich nagelte ihn sofort darauf fest, daß er demnach
das Stück kritisiert hat,
ohne es überhaupt gelesen zu
haben.
Das Gericht verurteilte den Beklagten wegen
zweier
sachlich zusammentreffender Vergehen der Beleidigung
zu 2 mal 100 M Geldstrafe und zu
sämtlichen Kosten.
Dem Privatkläger ist
das Recht zugesprochen, innerhalb
einer Woche nach Rechtskraft das Urteil in der für
amt
liche
Bekanntmachung vorgesehenen Form im VölkischenBeobachter
auf Kosten des Beklagten zu veröffentlichen.
Ich warte nunmehr ab, ob der Beklagte Berufung
einlegt, andernfalls werde ich
für Veröffentlichung im
Völkischen Beobachter und für Einziehung der
Kosten sorgen.
Ein Vergleichsversuch wurde
weder vom Gericht
noch vom Gegner gemacht. Ich habe die Vergleichsfrage
selbstverständlich nicht
angeschnitten.
Ausser den Münchener
Tageszeitungen waren
die Frankfurter Zeitung, die Vossische
Zeitung und andere
Blätter vertreten.
Ich lege Durchschlag dieses
Schreibens für HerrnKraus,
dem ich meine verbindlichsten Grüsse zu übermitteln
bitte, bei.
Mit vorzügl. koll.
Hochachtung
Dr. Hirschberg
Rechtsanwalt.