Z. 675 Pst. 52
An die
Polizeidirektion
Press-BureauWien.
Hugo Rosenberg,
Wien II., Pazmanitengasse Nr.
15/16,
durch:
1 fach
1 Vollmacht
erhebt
Berufung gegen das Straferkenntnis
vom 11./VIII.1928.
Mit Straferkenntnis der PolizeidirektionWien, Press-Bureau vom
11./VIII 1928 Z. 675 Pst. 52 wurde ich
wegen angeblich unbefugter
Verbreitung eines Druckwerkes nach
§ 9/1 Pr.G. gemäss § 13 Pr.G. zu einer Geldstrafe von S 5.–
im Falle der Uneinbringlichkeit
zu einer Arreststrafe in der
Dauer von 12 Stunden verurteilt. Gleichzeitig wurden die be
schlagnahmten
Druckwerke für verfallen erklärt. Gegen dieses
Straferkenntnis erhebe ich durch meinen mit beiliegender Voll
macht ausgewiesenen Anwalt
fristgerecht nachfolgende
Berufung.
Das Straferkenntnis wird wegen mangelhaften
Verfahrens und Gesetzwidrigkeit
angefochten.
Die Mangelhaftigkeit des
Verfahrens er
blicke
ich darin, dass die Begründung nicht dem Gesetze entspricht,
aus ihr nicht zu ersehen ist,
worin die strafbare Handlung er
blickt wird. Die Begründung hätte genau zu enthalten, warum in
der Verbreitung des
beschlagnahmten Druckwerkes eine
Uebertretung
des § 9/1 Pr.G. liegt, ob die Behörde der
Ansicht ist, dass nicht
jedermann
zur Kolportage berechtigt erscheint und eine besondere
Befugnis verlangt wird, was aus
dem Worte unbefugt zu schliessen
wäre, oder ob sie das verbreitete Druckwerk als nicht zur Kolportage
geeignet ansieht.
Ich kann mich also nur mit einer
Ver
mutung
auseinandersetzen, dass die Polizeidirektion
die zweite
Ansicht im Auge hat,
wobei ich jedoch nicht die Möglichkeit aus
schliessen kann, dass
etwa andere Gründe, die mir nicht bekannt
sind, das Fehlerkenntnis
verursachten. Die Ansicht, dass die ge
genständliche
Broschüre – es handelt sich um die SonderausgabeNr. 1 der
‚Fackel‘ – nicht dem Begriff der Zeitung im Sinne des
Press-Gesetzes entspricht, ist
vollständig unrichtig. Nach § 2dieses Gesetzes
versteht man unter Zeitung ein Druckwerk mit
einem nicht vorweg begrenzten
Inhalt, das unter demselben Namen
und in fortlaufenden Nummern,
wenn auch in unregelmässigen Zeit
abständen, erscheint und deren Einzelnummern, wenn auch jede
ein in sich geschlossenes Ganzes
bildet, durch ihren Inhalt
in
einem Zusammenhang stehen. Die ‚Fackel‘
ist eine seit 30
Jahren
bestehende Zeitschrift und es steht ihr natürlich auch
frei Sonderausgaben zu
veranstalten, etwa wie sie Tageszeitungen
aus besonderen Anlässen
Extraausgaben herausgeben und die Arbeiter-Zeitung in
den Tagen des 15. Juli 1927 die sogenannten
„Mitteilungen“ herausgab. Die
Sonderausgabe trug die Nr. 1 und es
ist seitdem auch eine zweite Nummer der Sonderausgabe
erschienen.
Der Zusammenhang
der Sonderausgabe mit dem in der
Hauptausgabe
der ‚Fackel‘ geführten Kampf des Herausgebers
Karl Kraus
gegen
die Polizeidirektion ist sofort ersichtlich. Die Arbeiter-Zeitungvom 8. August 1928 hat
ihrer Rechtsansicht zu diesem Fall in
folgenden Worten Ausdruck
gegeben:
„… die
Sonderausgabe einer Zeitschrift ist die Zuschrift
(Zeitung) selbst, kann
also, auf der Strasse so vertrieben werden,
wie eine Zeitschrift
vertrieben wird. Da überdies die ‚Fackel‘ kein
regelmässiges, an ein Datum geknüpftes Erscheinen hat, so geht
die Sonderausgabe eben in ihr Erscheinen ein; dass die ‚Fackel‘
sonst mit einem roten
Umschlag erscheint, diese Sonderausgabe der‚Fackel‘ mit einem weissen Umschlag erschien, ist natürlich
nebensächlich und geht
die Sicherheitsbehörde, die auf den roten
Umschlag kein Anrecht
hat, nichts an. Da es sich also um den
Vertrieb einer Zeitung
handelt, ist der § 9 des Pressgesetzes
nicht verletzt: die
Beschlagnahme ist ebenso unzulässig, wie es
eine Bestrafung der
Kolporteure und Verfallserklärung
wäre.“
Die Verurteilung erfolgte sohin
vollständig
zu Unrecht und ich
beantrage daher, das Straferkenntnis
der
Polizeidirektion sowohl wegen mangelhafter Begründung, als auch
wegen Gesetzwidrigkeit
aufzuheben, mich freizusprechen und die
Verfallserklärung zu widerrufen.