P.B.
691/1/1928
Wien, am 30. November 1928.
KRAUS Karl und Genossen,
Ersatzansprüche wegen der
Beschlagnahme, bezw.
Verfalls
erklärung von 1210 Exemplaren
der Sonderausgabe der „Fackel“Nr. 1.
Bescheid
Seiner Hochwohlgeboren
Herrn
Dr. Oskar Samek,
Rechtsanwalt,
Wien, I.,Schottenring Nr.
14.
Dem von Ihnen im Namen der
Herren Karl
Kraus, RobertSchützenhofer, Max Babad, Max Blatt, Hugo Rosenberg
und KarlKaiser gestellten
Anspruch auf Ersatz des durch die polizei
lichen
Beschlagnahme, beziehungsweise Verfallserklärung von
1.210 Exemplaren der Sonderausgabe der „Fackel“ Nr. 1 vom
Juli
1928 entstandenen
Schadens im Betrage von 121 S, weiters um
Ersatz der den Herren Robert Schützenhofer, Max Babad, HugoRosenberg und Karl Kaiser
erstandenen Vertretungskosten in der
Höhe von 250 S, daher
insgesamt 371 S, wird mangels einer gesetz
lichen Grundlage
keine Folge gegeben.
Begründung:
Am 5. August 1928 wurden Robert Schützenhofer, Max Babad,
Max Blatt und Hugo
Rosenberg, am 9. August 1928 wurde Karl
Kaiser beim Straßenvertrieb
einer Druckschrift beanständet,
welche den Titel trug: „Das Schoberlied“, und nach der An
schauung der Polizeidirektion nicht die im § 2, Absatz 2 desPreßgesetzes bestimmten Kriterien einer zum Straßenvertriebe
zugelassene Zeitung aufwies.
Mit den Erkenntnissen der
Polizeidirektion vom 19. Juli1928, Zl. 628
Pst. 49, vom 11. August 1928, Zl. 674 Pst 51 und Zl.675 Pst.
52, und vom 18. August 1928, Zl. 695 Pst. 53, wurden sohin
die eben Genannten wegen
Uebertretung des § 9/1 Preßgesetz
gemäß § 13 Preßgesetz in eine Geldstrafe von je 5 S, bezie
hungsweise in
eine suppletorische Arreststrafe in der Dauer
von 12 Stunden verfällt.
Zugleich wurden die im Besitze
der Beanständeten vorgefundenen Exemplare der angeführten
Druckschrift im Sinne des
§ 13/2 Preßgesetz in Beschlag ge
nommen und für
verfallen erklärt.
Den von den Obgenannten an
den Bürgermeister als Landes
hauptmann zu Wien ergriffenen Berufungen gegen die vorbe
zeichneten
Erkenntnisse wurde von der Berufungsinstanz mit
den Erlässen des Amtes der Wiener Landesregierung vom 20.
Sep
tember
1928, Mag. Abt. 55 Sch/156/Str/28, beziehungsweise Magistrats
Abteilung 55
B/181/Str./28, Mag. Abt. 55/R/117/Str./28 und Mag.
Abt. 55 K/224/Str./28 Folge
gegeben und die bezüglichen polizei
lichen
Erkenntnisse wurden aufgehoben.
Dieser Entscheidung
entsprechend wurden auch die von der
Polizeidirektion in Beschlag genommenen und für verfallen
er
klärten
Exemplare der obangeführten Druckschrift, insgesamt
1210 Stück, den
Berufungswerbern am 16. Oktober 1928 von der
Polizeidirektion wieder ausgefolgt.
Dem darüber hinaus mit der
Eingabe vom 25. Oktober 1928
seitens der Herren Karl Kraus,
Herausgebers der „Fackel“ und
der vorgenannten Kolporteure
gestellten Ansprüche auf Ersatz
des Schadens, der durch die
vorerwähnte Verhinderung des Ver
kaufes der in
Betracht kommenden Exemplare entstanden ist,
konnte aus nachstehenden
Erwägungen keine Folge gegeben werden.
Das Preßgesetz vom 7. April
1922, R.G.BL. Nr. 218, statuiert
für die Sicherheitsbehörde
eine Verpflichtung zum Ersatze
für eine im administrativen Verfahren erfolgte Beschlagnahme
oder Verfallserklärung von
Druckschriften überhaupt nicht,
und dies auch nicht in dem
Falle, daß diese Verfügungen nach
träglich als
ungerechtfertigt erkannt werden sollten. Der § 40des zitierten
Gesetzes bezieht sich lediglich auf die seitens
der Staatsanwaltschaften und
Gerichten gemäß § 37 PrG. erfol
genden Beschlagnahmen und kann nicht extensiv interpretiert
werden. Der Artikel 23 des Bundesverfassungsgesetzes vom 1. Oktober
1920, B.G.Bl. Nr. 1 in der Fassung des Bundesverfassung
gesetzes vom 30.
Juli 1925, B.G.Bl. Nr. 268, sieht zwar eine Haft
pflicht aller mit
Aufgaben der Bundes-, Landes- oder Gemeinde
verwaltung oder
der Gerichtsbarkeit betrauten Personen für jede
bei der Ausübung ihrer
Tätigkeit durch vorsätzliche oder grob
fahrlässige
Rechtsverletzung wem immer zugefügte Schäden, und
eine Haftung des Bundes, der
Länder oder der Gemeinden für die
Rechtsverletzungen der als
ihre Organe handelnden Personen vor.
Ganz abgesehen davon aber,
daß im vorliegenden Falle von einer
vorsätzlichen oder
grobfahrlässigen Rechtsverletzung nicht
die Rede sein könnte, ist
das im Abschnitte 2 des eben bezogenen Artikels angekündigte Bundesgesetz, welches die
Durch
führung
dieser prinzipiell festgesetzten Verpflichtung zu re
geln hätte,
bisher nicht erlassen worden. Es kann daher auch
der Artikel 23 des Bundesverfassungsgesetzes hier nicht an
gewendet werden.
Die Parteien haben demnach
im vorliegenden Falle lediglich
einen Anspruch auf die
Rückstellung der beschlagnahmten und
der für verfallen erklärten
Exemplare, ein Anspruch, der durch
die bereits erfolgte
Rückstellung erledigt erscheint.
Der Anspruch auf Ersatz der
durch die Rechtsvertretung
der Parteien erwachsenen Kosten war im Sinne des § 74/1 desBundesgesetzes vom 21. Juli 1925, B.G.Bl. Nr. 274, über das all
gemeine
Verwaltungsverfahren, laut welchem jeder Beteiligte
die ihm im
Verwaltungsverfahren erwachsenen Kosten selbst
zu bestreiten hat,
abzuweisen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid steht
im Sinne des § 63 des Bundesgesetzes vom 21. Juli 1925, B.G.Bl. Nr. 274, die Berufung
zu, welche
schriftlich oder
telegraphisch binnen zwei Wochen bei der
Polizeidirektion einzubringen ist. Die Frist zur
Einbringung
dieser
Berufung beginnt mit der erfolgten Zustellung dieses
Bescheides.
I.A. Mattek
Polizeirat.