München, den 23. August 1928
Zum
Amtsgericht MünchenStrafgericht
Privatklage und Strafantrag
der Rechtsanwälte Dr. Hirschberg,
Dr. Ph. Loewenfeld u. Dr.
Regensteiner
München, Kaufingerstr. 30
für
Kraus Karl, Schriftsteller in
Wien, vertr. durch Unterfertigten
gegen
Dr. Hohenstatter Ernst,
Schriftleiter in München, Kaiserpl. 9
wegen Beleidigung.
./. In der anliegenden Nr. 65 derperiodischen, auch in
München verbreiteten Druckschrift
„Fränkischer Kurier“vom
5.3.28 ist ein Artikel
folgenden
Wortlauts
veröffentlicht:
„Antinationaler Skandal in München.
München, 3. März. Spez.-Dep. uns. Münch.
Schriftltg). Der
Pseudowiener KarlKraus, der
durch die Herausgabe
der
‚Fackel‘ und seinen
Reklamestreit
mit Harden und auch ansonsten sich
bekanntgemacht hat, hat
in München einen
Vortragsabend gehalten
und die Münchener
Kammerspiele haben sein
‚Traumstück‘ aufgeführt.
Wir lehnen es ab, die
Aufführung
und den Vortragsabend
künstlerisch zu würdigen.
Wir stellen an Hand der allgemeinen Berichterstat
tung fest, dass der Verfasser sich erlaubt hat, sei
ner
pazifistischen Meinung durch Verhöhnung des
deutschen
Frontkämpfertums rohen und widerlichen
Ausdruck zu geben. Es
ist klar, dass in einem
Millionenheer ausnahmsweise Dinge vorkommen, die
in dem kleinen Kreise
derartiger Literätchen
alle Tage Uebung sind. Es ist ja bekannt, dass eine
Reihe von Vertretern des
Literaturbolschewismus
syphilitisch verseucht ist. Die Gemeinheit liegt
aber darin, dass man
etwa einen missratenen Offizier
als allgemeinen Typ
hinstellt. Angesichts der Tat
sache, dass sich die
Verniggerung und Verspottung
deutschen Wesens in München unter den Augen sonst
sehr wachsamer Behörden
erschreckend häuft, fragen
wir an:
Haben sich die
zuständigen Behörden mit dieser
Veranstaltung der Kammerspiele beschäftigt und haben
sie überhaupt daran
gedacht, daraus Folgerungen zu
ziehen? Gedenkt man, die
Erregung, die über diese
Aufführung in nationalen Kreisen unbestreitbar ent
standen ist, so zu
würdigen, wie man auch andere Er
regungen zu würdigen
versteht?
Die Kammerspiele geniessen städtische Subvention.
Sollen allgemeine
Steuergelder zur Darstellung der
artigen Schmutzes
missbraucht werden?
Wollen die Münchner Kammerspiele, deren
gelegent-
liche
künstlerische Leistungen gern anerkannt werden,
den Ruf der Reinlichkeit
verlieren und sich etwa zu
einer Piscatorbühne umbilden?
Wollen bestimmte Kreise
den Vorwurf nach sich ziehen,
dass sie nur ihre Stimme
erheben, wenn sie
politischen Widerstand finden und merkwürdiger
weise nicht, wenn
Christentum und Nation wahr
haft gefährdet sind?“
Der Artikel geht weit über das der Presse gegebene
Recht zum tadelnden Urteil über
eine künstlerische
Leistung
hinaus und erfüllt den Tatbestand einer Be
leidigung im Sinne des § 185 R.St.G.B. Dies ergibt
sich schon aus der Häufung
beleidigender und ver
spottender Ausdrücke auf engem Raum: „Pseudowiener“,
„roh“, „widerlich“, „Literätchen“, „Literaturbolsche
wismus“, „Gemeinheit“, „Verniggerung“.
Die Absicht der Beleidigung
des Privatklägers
durch den Artikel geht demgemäss aus Form und Umständen
hervor.
Der Privatkläger hat gegen den als verant
wortlich zeichnenden
Schriftleiter des „FränkischenKurier“, Oskar Franz
Schardt, Privatklage beim
Amtsgericht Nürnberg erhoben. Der Verfasser des Artikels war dem Privatkläger nicht bekannt.
Unterm 30. Juni 28, eingelaufen
beim Unterfertigten
am 3.7.28, gab der Privatbeklagte
Schardt den
abschrift
lich
anliegenden Schriftsatz beim Amtsgericht Nürnberg
ab. Von diesem Schriftsatz hat
der unterfertigte
mit Brief vom 12. Juli 28 dem anwaltschaftlichen Ver
treter des Privatklägers in Wien
Kenntnis gegeben. Der
Privatkläger hat deshalb sicherlich nicht vor
15.7.28,
also zu unverjährter
Zeit, Kenntnis davon erlangt, dass
der Redakteur Dr. Hohenstatter der Verfasser
des
Artikels ist.
Legitimiert durch anliegende
Originalvollmacht
des Privatklägers stelle ich deshalb gegen
Dr. Ernst Hohenstatter
Strafantrag,
erhebe gegen ihn
Privatklage
mit dem
Antrag, gegen Dr. Ernst Hohenstatter
wegen eines Vergehens der
Beleidigung nach
§ 185 R.St.G.B. das Hauptverfahren vor dem
Amtsgericht München, Strafgericht zu eröffnen.
Ich bezeichne als
Beweistitel
die anliegende Nr. 65 des „Fränkischer Kurier“vom 5.3.28.
gez. Dr. Ph. Loewenfeld
Rechtsanwalt.
Für die Abschrift
Loewenfeld
Rechtsanwalt.