Hochverehrter Herr Kraus,
ich habe den Spätnachmittag
dazu benutzt, unser
heutiges
Telefongespräch nochmals eingehend zu durchden
denken, und bin dabei zu
folgenden Ergebnissen gelangt:
1. Betr. Kerr-Inserat.
Zwischen Ihnen und der Firma
Rudolf Mosse, ver
treten durch ihre
Zweigannahmestelle, ist ein bindender
und wirksamer
Inseratenvertrag / gemischter Werkvertrag /
auf einmaligen Abdruck des
Kerr-Inserats in der „Literarischen Rundschau“
des „Berliner
Tageblatt“ zu stande ge
kommen. Dieser Vertrag ist
auch in keiner Weise anfecht
bar oder nichtig: wegen
arglistiger Täuschung nicht, weil
das Inserat den Zusammenhang
klar erkennen läßt und eine
weitere Aufklärung des Filialsleiters, die zur Ab
lehnung hätte führen können,
nach den Verkehrsanschau
ungen nicht erforderlich
war, wegen Irrtums nicht, aus
den gleichen Gründen, und weil es sich höchstens um
einen rechtlich belanglosen
Irrtum im Motiv handelt, wegen
Sittenwidrigkeit nicht, weil es zulässig sein muß, die
Öffentlichkeit über einen
Kritiker auch an der Stelle
seines Wirkens aufzuklären. Demnach ist der Verlag Mosse
verpflichtet, Ihr Inserat
abzudrucken oder Schadensersatz
wegen Nichterfüllung des
Vertrages zu leisten. Schadens
ersatz können Sie jedoch, da
Ihnen ein bestimmter Aufnahme
tag nicht zugesichert,
dieses Inserat jenem Wesen nach
auch nicht erkennbar an
einen solchen gebunden ist, ge
mäß §§
636, 634, 327, 326 BGB nur verlangen, wenn der Ver
lag trotz Setzung einer
angemessenen Nachleistungsfrist
seiner Verpflichtung nicht
nachkommt.
Ich rate daher, falls das
Inserat auch am nächsten
Sonntag nicht erscheint, am Montag, den 3. Oktober 1928,
der Inseratenabteilung des
Mosse-Hauses folgenden Brief
zu schreiben /
eingeschrieben! /:
„Ich habe Ihnen am Freitag,
den 28. September
1928 durch
Ihre Filiale … den Auftrag erteilt,
ein Inserat betr. Heft
787–794 der Zeitschrift‚Die Fackel‘ in die nächstes Nummer der ‚Literarischen Rundschau‘
des ‚Berliner
Tageblatt‘ aufzu
nehmen, habe aber dieses
Inserat weder in der Ausgabe vom 30. September
1928 noch in der vom 7.
Ok-
tober 1923 gefunden. Ich ersuche Sie daher,
dieses Inserat spätestens in
der Ausgabe der
‚Literarischen Rundschau‘ vom 14.
Oktober 1928
zum Abdruck zu
bringen. Nach dem Ablauf dieser
Frist werde ich die Annahme
der Leistung ableh
nen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung ver
langen.“
2. Betr. Beleidigungsklage gegen W.
Es kann keinem Zweifel
unterliegen, daß der
Vorwurf
der Lüge beleidigend ist. Durch die ironische
Wendung „Reich der
einfachen Lüge“ im Gegensatz zu dem
von K. vorgebrachten Vorwurf der Verleumdung wird auch
jene Absicht der Beleidigung
klargestellt, die zum Aus
schluß des§ 193 StGB erforderlich ist. Daß auch Ihnen
der Vorwurf galt, wird durch
die nachträglichen Briefe
des
Beschuldigten über jeden Zweifel
erhoben.
Der Vorwurf der Lüge kann
einmal bedeuten, daß Sie
die
Äußerung des sterbenden Harden erdichtet haben.
Da
gegen
können wir durch Pfempfert und die Dame den völlig
schlüssigen Gegenbeweis
führen.
Soweit damit aber gesagt
ist, daß der dieser Äuße
rung zu Grunde liegende
Vorgang nicht stattgefunden habe,
können wir einen m.E. nicht
weniger schlüssigen Gegenbe
weis führen. Zunächst einmal
wird die Dame bekunden, daß
Harden ihr bereits mehrere Jahre vor seinem Tode, als er
von einer Konferenz mit Rheinhardt kam, mitgeteilt,
hat, wie Rheinhardts
Bedenken gegen Kerr durch W. zer
stört wurden. Sodann wird
durch Zeugnis der beiden Rhein
hardts und ihres
Staues vielleicht die Wahrheit zu er
weisen sein, wo durch
Vorlage der Original-Kritiken sich
schon die hohe
Wahrscheinlichkeit des Vorwurfs ergeben
hat. Nicht zuletzt wird dann
vielleicht auch ein eidliches
„ich erinnere mich nicht“ des Bandwurms der geistigen
Welt offenbaren, warum es so
schön war.
Ausgegangen aber muß von der
Zeitungsnotiz werden,
der die Briefe nur als
Erläuterung dienen, um Berlin-Mitte
als sicheren Gerichtsstand
zu haben.
Immer bleiben dann die
verschiedenen „lügenhaft“und und der offensichtlich zu
Ehrenkränkung und Blos
stellung gegenüber Dritten
benutzte Vorwurf der Reklame
sucht zur Durchsetzung der
Abstrafung, immer aber auch
die große Satire übrig, daß einer, dessen Tantieme am
Jahresschluß sich danach
richtet, wie viele Menschen ihre
Reklamesucht gegen bare
Kasse befriedigt haben, Reklame
als etwas Schimpfliches
empfindet.
3. Die Beleidigungsklage
gegen Müller ist vielleicht
nicht mehr erforderlich, da
ihr Zweck ja durch 2 völlig
konsumiert wird, bestimmt aber bis zu dem Zeitpunkt herauszu
schieben, in dem das
Wutgeschwür zum Durchbruch gekommen
ist.
4. Nicht ganz sicher ist der
Ausgang einer Beleidi
gungsklage der Tochter
Hardens. § 189 StGB
verlangt näm-
nämlich, daß die unwahre
Tatsache – Harden habe den Vor
fall erlogen – wider
besseres Wissen verbreitet ist. Da
W. aber Hauptakteur des Vorfalls ist, wird sein besseres
Wissen zu unterstellen sein
und ihm der Beweis seines
guten Glaubens nicht gelingen. Er
könnte sich höchstens
in diesem Prozeß darauf
zurückziehen, er habe nicht Harden, sondern die
Verbreiter der Äußerung des Sterbenden,
die er für erdichtet
gehalten habe, angreifen wollen.
Ich stehe Ihnen heute Abend
und in den nächsten
Wochen
jederzeit nach Vereinbarung zu mündlichen Rück
sprachen zur Verfügung und
bin
in wirklicher Verehrung
Ihr
Botho
Laserstein