Berlin W. den 5. November 1928
Schaperstr. 21
An das
Amtsgericht Berlin-Mittte
Abt. 149
In der Privatklagesache
Kraus ./. Wolff
149 B 709/28
überreiche ich Vollmacht des
Angeschuldigten,
in dessen Namen ich
die Ablehnung des Antrages
auf Er
öffnung des
Hauptverfahrens
begehre.
Der Angeschuldigte schliesst sich der
Bitte des Privatklägers,
von Vergleichsver
suchen Abstand zu nehmen, an. Er vermag
zwar nicht einzusehen, worin
die „grosse
literarische und
politische Bedeutung“ des
von dem Privatkläger
angestellten Prozesses
liegen
soll, aber er ist der Auffassung,
dass er sich keiner
Beleidigung schuldig
gemacht
hat und dass ihm in jedem Falle
der Schutz des § 193 RSTGB zuzubilligen
ist. Da sein Handeln
lediglich durch die
Absicht
der Wahrnehmung berechtigter In
teressen bestimmt war und er
die Grenzen
der Verteidigung
in keiner Weise über
schritten hat, sieht er sich
nicht veran
lasst,
dem Privatkläger irgend eine Genug
tuung zu geben.
In diesem Schriftsatz und in
den etwa
stattfindenden
Verhandlungen wird der Angeschuldigte
lediglich Ausführungen machen,
die zur Sache gehören. Er übergeht daher
den grössten Teil des
Inhalts der Privatklage und verzichtet
namentlich auf den Versuch,
die hohe Meinung, die der Privatkläger von sich
selbst hat, zu erschüttern. Bevor ich
die Gründe darlege, aus
denen der Angeschuldigte der Er
öffnung des Hauptverfahrens
widersprechen darf, habe ich
für ihn zwei Erklärungen abzugeben:
a) Es ist nicht wahr, dass
der Angeschuldigte einen
Teil des Gewinnes bezieht,
den der Verlag Rudolf Mosse aus
dem Inseratengeschäft
erzielt.
b) Dem Angeschuldigten ist erst durch die Privat
klage
bekannt geworden, dass der Privatkläger eines seiner
Jugendwerke im Jahre 1899
abfällig beurteilt hat. Er weist
es im übrigen weit von sich,
dass ungünstige Kritiken, die
einer seiner Schöpfungen gelten, ihn zu Gehässigkeiten gegen
den Kritiker veranlassen
könnten.
Der Schriftsteller Dr. Alfred Kerr wurde im Jahre
1919 als Theaterkritiker für
das „Berliner
Tageblatt“ ver
pflichtet. Die Verhandlungen
über seinen Eintritt in die
Redaktion wurden von dem Angeschuldigten
allein geführt.
An der
Behauptung, dass Herr Kerr vorher geloben
musste,
Reinhardt gegenüber eine bessere Haltung einzunehmen, ist
kein wahres Wort.
Beweis: Zeugnis des Herrn
Dr. Kerr.
Diese Behauptung ist also
erlogen. Der Privatkläger
hat sie aufgestellt.
Gegenüber seiner öffentlichen, durch
die Presse erfolgten Mitteilung hat der Angeschuldigte zum
Zwecke der Verteidigung
öffentlich, durch die Presse, die
gegen ihn sich richtende
Nachrede als das bezeichnet, was
sie ist. Er hat
festgestellt, dass die von dem Privatkläger
vorgebrachte Verdächtigung
in das Reich der einfachen Lüge
gehört. Der Privatkläger
kann auf diese Charakterisierung
eine Beleidigungsklage
ebenso wenig stützen wie auf die
Wendungen „lügenhafte
Geschichte“ und „lügenhafte Be
hauptung“ in den
der Klage ferner zu Grunde gelegten Briefen
des Angeschuldigten. Dass der Privatkläger
wider besseres
Wissen die von
ihm mitgeteilte Tatsache ausgesprochen oder
sie gar selbst erfunden hat,
ist nicht behauptet worden. Der
Angeschuldigte brauchte von der Kennzeichnung der Nachrede
als Lüge nicht deshalb
abzusehen, weil der Privatkläger ihr
eine weitere Publizität zu geben beliebt hat. In dieser
Charakterisierung ist eine
Beleidigung des Privatklägers
nicht zu erblicken, zum
mindesten aber keine strafbare, da die
Voraussetzungen des § 193 RSTGB gegeben sind.
Der Angeschuldigte ist der Ueberzeugung, dass der
Privatkläger
von einem starken Reklamebedürfnis beherrscht
wird. Diese Meinung stützt
sich auf die Art, wie er seine
Kämpfe führt. An den Berliner Anschlagsäulen hat er die die
Angriffe gegen Herrn Kerr
enthaltenden Nummern seiner Zeitschrift
in auffallendster Weise unter Hervorhebung von aller
lei Schimpfworten (z.B. „
der
grösste Schuft im ganzen Land –die Akten zum Falle
Kerr“) angekündigt.
Ferner liess er in den
Strassen Berlins schreiende Plakate,
bis zu 6 Stück auf einem
Gestell herumtragen, deren Text diese
Beschimpfungen wiederholte
und die Nummern der „Fackel“
anpries.
Der Angeschuldigte entnahm dieser Tatsache die
Absicht des
Privatklägers,
seinen Feldzug gegen Herrn Dr. Kerr zur Sen
sation zu machen.
Er vereinbarte deshalb mit Herrn Kerr, wie
dieser bekunden wird, dass
sich beide auf die Abwehr desjenigen
Angriffe beschränken
wollten, den sie nicht schweigend hin
nehmen konnten, nämlich der
Behauptung, dass Herrn Kerr das
Amt des Theaterkritikers des
Berliner
Tageblatts unter der
Bedingung der Schonung Reinhardts übertragen
worden sei. Alle
übrigen
Angriffe beschlossen sie zu ignorieren. Nun kamen
aus den Reihen der Leser der
Zeitung drei Anfragen, deren
Ur
heber nach
den Gründen der Passivität der Redaktion sich er
kundigten. Es ist auffällig,
dass alle drei dem Privatkläger
die empfangenen Antworten
übersandt haben. Vielleicht kann
man daraus schliessen, dass
er die Anfragen veranlasst hat.
In der Absicht, den
wissbegierigen Lesern der von ihm ge
leiteten Zeitung die erbetene Aufklärung zu geben, hat
der
Angeschuldigte an sie die zum Gegenstand der Klage gemachten
Briefe gerichtet. Auch für diese Handlungen nimmt er den
Schutz des § 193 RSTGB in Anspruch. Er ist noch heute der
Ueberzeugung, dass es dem
Privatkläger bei seinem ganzen
Kampfe gegen Herrn Kerr um Reklame zu tun ist. Der Vortrag
der Privatklage ist nur geeignet gewesen, diesen Glauben zu
befestigen.
Am 1. Oktober, also nach der
Publikation des Angeschuldigten im Berliner Tageblatt vom 6. September,
hat der
Privatkläger
in einem Vortrage, den er im hiesigen Schwechten
saal hielt, öffentlich
erklärt, der Angeschuldigte habe
doch Herrn Kerr unter der Bedingung der Schonung Reinhardts
für das Berliner
Tageblatt verpflichtet, er (Kraus)
werde
dies vor Gericht
beweisen.
Beweis: Zeugnis des
Regisseurs Jürgen Fehling,
Staatliches Schauspielhaus.
Der Vorgang zeigt, was von
der Ausführung des Privatklägers auf Seite
13 oben der Privatklage zu halten ist, er habe nicht be
hauptet, dass Kerr durch eine unsaubere Verpflichtung an das
Berliner
Tageblatt gekommen sei.
Die Aeusserung des Privatklägers
stellt eine nach
§§ 186, 200 RSTGB strafbare
Beleidigung dar, wegen deren
Widerklage vorbehalten bleibt.
Zwei Abschriften dieses Schriftsatzes, die für den
Gegner bestimmt sind, werden
beigefügt.
(gez.) Landsberg,
Rechtsanwalt.