Berliner Tageblatt, 6.9.1928 (Abendausgabe)VerleumdungsparadiesPrager PresseDie FackelPrager Presse, 27.11.1927


Anliegendes Schriftstück wird
Herrn Karl Kraus
Wien
zur gefälligen Kenntnisnahme übersandt


Hochachtungsvoll
Dr. Laserstein
Rechtsanwalt
5./12.1928


Berlin, den 3. Dezember 1928.


An das
AmtsgerichtBerlin-Mitte.Alt-Moabit.


In Sachen
Kraus ./. Wolff,
147. B. 709/28


ist die Sache nach den Ausfüh
rungen des Privatbeklagten im
Schriftsatz vom 5. November 1928
nunmehr entscheidungs- und das
Hauptverfahren eröffnungsreif.


Der Privatbeklagte gibt die ihm
zur Last gelegten Äußerungen zu
und behauptet lediglich, in Wahrung
berechtigter Interessen gehandelt
zu haben. Wie ist aber in Wirklich
keit die Sachlage?


In der von mir überreichten
letzten Nummer der „Fackel“ hatte
der Privatkläger folgende Tatsa
chen behauptet / Seite 11, 12 der
Privatklage /:


a. Der Schriftsteller FranzPfemfert habe in der
„Prager Presse“ vom 27. November1927 mitgeteilt, daß der sterbende
Harden den Kritiker des „BerlinerTageblatt“, Alfred Kerr, beschul
digt habe, durch eine unsaubere


Verpflichtung an die Zeitung des Privatbeklagten gekommen zu sein.


b. Der Privatbeklagte und sein Kritiker
Alfred Kerr haben zu dieser Mitteilung geschwie
gen.


Beide Tatsachen, die Veröffentlichung der
Prager Presse“ sowohl wie das Schweigen des
Privatbeklagten und seines Kerr sind erweislich
wahr.


Diesen erweislich wahren Tatsachen setzt
der Privatbeklagte in Nr. 422 des „BerlinerTageblatt“ die unwahre Behauptung entgegen, daß
die Mitteilung in das Reich der einfachen Lüge
gehöre. In den auf diese Nachricht folgenden
Briefen an Leser seiner Zeitung steigert der
Privatbeklagte den Vorwurf dadurch, daß er die
Behauptung lügenhaft nennt, von lügenhafter Ge
schichte spricht und dem Privatkläger ohne alle
Notwendigkeit und ohne Zusammenhang Reklamesucht
und Reklamebedürfnis vorwirft.


Diese Behauptung des Privatbeklagten, zwei
wahre Behauptungen des Privatklägers seien Lüge
usw. ist sonach erweislich unwahr und stellt
eine üble Nachrede bezw. eine Verleumdung gegen
den Privatkläger dar.


Nun ist allerdings zuzugeben, daß auch Be
leidigungen auf Grund des § 193 StGB straffrei
bleiben können. Nach der Rechtsprechung ist je
doch die Anwendung dieser Bestimmung bei übler
Nachrede und Verleumdung außerordentlich erschwert
/ R.G. Räte Kommentar 1926 Seite 599. / Denkbar
ist sie aber auch bei diesen Delikten, wenn die
Verletzung der fremden Ehre das gebotene Mittel
der eigenen Rechtsverteidigung ist. / ebenda, S.
601 / War es nun geboten, gegenüber dem Privatkläger von Lüge, lügenhaften Geschichten, lü
genhaften Behauptungen und Reklamesucht zu
sprechen? Um das zu entscheiden, kommt es nach
der Rechtsprechung darauf an, ob der Privatbeklagte nach seinem Bildungsgrad und seinen
Ausdrucksmöglichkeiten auch mit anderen Ausdrük
ken seinen Standpunkt verteidigen konnte. / L. c.
S. 609, R.G. 44, S. 113, J.W. 43, S. 368–371 /


Nun dürfte es gerichtsnotorisch sein, daß
der Privatbeklagte zwar, wie alle von der Sen
sation lebenden Journalisten, von Bedenken nicht
sehr gequält wird, aber ein hervorragender Sti
1list von seltenen Ausdrucksmöglichkeiten ist.
Hatte dem Privatbeklagten also nur daran gele
gen, seinen Standpunkt zu wahren, so müßte er,
wenn er bei der Wahrheit bleiben wollte, sagen,
daß zwar alles, was der Privatkläger gesagt hat,
wahr ist, daß aber die ihm zu Grunde liegende
Quelle die Unwahrheit gesagt habe. Wollte der
Privatbeklagte – er hätte damit schon leise
die Grenzen der berechtigten Interessen über
schritten – die Unwahrheit sagen, so hätte er
zur Not auch noch behaupten können, die Mittei
lungen des Privatklägers seien unwahr. Indem
er aber immer wieder von Lügen, lügenhaften Ge-
schichten u.a. spricht und plötzlich auch noch
den Vorwurf der Reklamesucht hineinbringt, zeig
te er, daß es ihm neben der Wahrung berechtigter
Interessen auch darauf ankam, den Privatkläger
zu kränken, ihm vor seinen Lesern eins auszu
wischen und ihn in der öffentlichen Meinung herab
zusetzen. / R.G. Räte, S. 608 unten, S. 609,
Anm. 16 – / Damit aber kann nicht allein von Wah
rung berechtigter Interessen nicht mehr die
Rede sein, sondern die gewählten Ausdrücke be
weisen auch, daß die in evtl. Wahrung berechtigter
Interessen ausgesprochene Beleidigung nicht
straffrei bleiben kann, weil die gewählten
Ausdrücke klar die Absicht der Beleidigung er
geben. / Vgl. die oben angeführte Literatur /
Mit Recht sagt R.G. in J.W. 43, S. 368, 371 und
R.G. Recht 1908, S. 386, daß das Wort Lüge statt
des ja ausreichenden Ausdrucks Unwahrheit immer
die Absicht der Beleidigung ergibt, die als
Exzeß auch nach § 193 StGB strafbar bleibt. Nicht
nur die Art der gewählten Ausdrücke, also die
Form der Notiz und insbesondere die verächtliche
Form der Briefe führen diese Entscheidung her
bei, sondern auch die Umstände / R.G. Räte Kom
mentar S. 610 /: Die Art, wie der Beklagte der
beschimpfenden Notiz des Kerr, die von Verleum
dung, Schmähblattl, unsauberen Händen u.a.
spricht, beitritt, wie er im Anschluß an ihre / wie oben
gezeigten / unwahren Behauptungen den raffinier
ten Ausdruck „einfache Lüge“ gegen den Kläger
schleudert, wie er diesen dann in den Briefen
an die Leser zum üblen Reklamehelden stempelt,
das alles spricht für die Absicht der Beleidi
gung.


Dafür spricht auch, daß der Privatbeklagte
bewußt wahrheitswidrig behauptet, dem während
des Krieges von den österreichischen Behörden
fortgesetzt verfolgten Privatkläger
Beweis: Zeugnis des Bürgermeisters Seitz
in Wien
sei es im Kriege außerordentlich gut gegangen, er
sei garnicht der Heros, als der er sich aufspie
le, und vor allem die immer wiederholte Betonung,
der Privatkläger suche hauptsächlich Reklame.


Der Privatbeklagte will jetzt den Vorwurf des
Reklamebedürfnisses dadurch beweise, daß der
Privatkläger seine Zeitschrift an den Litfaßsäu
len plakatiere. Ganz abgesehen davon, daß die
bezahlte Verwendung eines legitimen Mittels der
Ankündigung kein Beweis für Reklamesucht ist,
wird auch das „Berliner Tageblatt“ fortwährend
an den Litfaßsäulen plakatiert.


Beweis: Auskunft
a. der Firma „Berek“
Berliner Anschlag u. Reklame
wesen G.m.b.H., Berlin SW 19.,Roßstraße 6.
b. des Magistrats der StadtBerlin.


Dies dürfte ebenso gerichtskundig sein, wie
die Tatsache, daß das „Berliner Tageblatt“ nebst
Plakaten herumgetragen wird. Der Privatbeklagte
scheint aber die Errungenschaften der freien
Kolportage nur für sich haben zu wollen. Unwahr
ist es, daß in den Plakaten des Privatklägers
Schimpfworte enthalten gewesen seien. Das Plakat
der letzten Nummer trug lediglich den Titel
des Heftes: „Der größte Schuft im ganzen Land …
Das aber ist kein Schimpfwort, sondern die
Charakterisierung eines Denunzianten durch ein
Zitat. Wenn sich außerdem Alfred Kerr, gebore
ner Kempner-Kempinski durch die Wendung belei
digt fühlt, so mag er es doch wagen, genau wie
der Privatkläger den Schutz der Gerichte anzu
rufen. Jedenfalls kann durch das übliche Plaka
tieren von Zeitschriften niemals der Vorwurf
der Reklamesucht bewiesen werden.


Demgemäß hat der Privatbeklagte seine Befug
nisse weit überschritten und wird daher gemäß
§ 193 StGB für seine Äußerungen einstehen müs
sen. Daß er sich hinter diese Bestimmung ver
schanzt, beweist nur, wie groß seine Furcht da
vor ist, seine Behauptungen beweisen und den
Wahrheitsbeweis des Privatklägers über sich er
gehen lassen zu müssen. Aber vergeblich rechnet
er damit, daß das „Berliner Tageblatt“ alles
schreiben und jeden Menschen besudeln darf, ohne
dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden und
ohne je die Wahrheit seiner Behauptungen erwei
sen zu müssen.


Der Widerklage des Privatbeklagten wird mit
Ruhe entgegen gesehen. Obwohl in diesem Prozeß
der Privatkläger den Beweis erbringen wird, daß
Kerr durch eine unsaubere Verpflichtung ans
Tageblatt gelangt ist, so hat er das bisher
doch nie behauptet. Die Stelle in seinem Vor
trag lautet vielmehr übereinstimmend mit der
Klagesschrift und mit dem letzten Heft der
Fackel“ nach dem Manuscript wörtlich folgen
dermaßen:


„Ich weiß, daß es ein frecher Schwindel
/ des Kerr / ist, wenn vor den Lesern des
Berliner Tageblatts so getan wird, als ob
ich mir diese Worte eines Sterbenden, das
von ihm behauptete Faktum, unmittelbar zu
eigen gemacht hätte. Denn ich habe bloß
darin die Schande erblickt, daß die in der
Prager Presse‘ enthaltene Beschuldigung
unwidersprochen geblieben ist. Dieser Um
stand macht sie allerdings hinreichend
glaubhaft, selbst wenn es nicht die Worte
eines Sterbenden wären, die als Lüge hinzu
stellen schon psychologisch schwer fiele.
Was aber den Herrn Theodor Wolff anbelangt,
so werde ich ihm geeigneten Ortes Gelegen
heit bieten, zu beweisen, daß sie unwahr sind.
Sollte ihm dies gelingen, so würde ihm immer
noch der Beweis mißlingen, daß ich gelogen
habe, als ich behauptete, der Sterbende habe
jene Worte gesprochen.“


Sollte Herr Fehling etwas anderes bekunden,
so wird ihm durch das Manuscript und etwa 100
Zeugen die Unwahrheit seiner Aussage nachgewie
sen werden. Betont aber muß werden, daß diese
strittige Äußerung der Notiz im „Berliner Tageblatt“ und den Briefen des Privatbeklagten ge
folgt ist. Diese Äußerung kann also das Verhal
ten des Privatbeklagten nicht rechtfertigen. Und
deshalb ist es an der Zeit, daß endlich einmal
ein deutsches Gericht auch dem allmächtigen
Theodor Wolff zeigt, daß die Ehre seiner Mit
menschen genau so wertvoll ist wie die seine.
Und um den Ehrenschutz für welchen Mann ich
hier bitte, das beweisen die hiermit überreich
ten Gutachten der größten deutschen Dichter der
2Neuzeit, wie Wedekind, Dehmel, Zweig und Liliencron.


Abschrift für Gegner anbei.


gez. Dr. Botho Laserstein,
Rechtsanwalt.