6.XII.1928
Es wird gebeten, bei allen
Eingaben die nachstehende
Geschäftsnummer anzugeben.
Geschäftsnummer:
149 B.
709.28 zu 6
Beschluß. Abschrift!
Auf die Privatklage
des Schriftstellers Karl Kraus, Wien, Hintere Zollamtsstraße 3,
Privatanklägers,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr.
Botho
Laserstein, BerlinNO. 18., Landsberger Allee
55,
wird gegen
den Chefredakteur Theodor Wolff, Berlin W. 10., Hohenzollernstraße 17,
Privatbeklagten,
vertreten durch Rechtsanwalt Otto Landsberg, Berlin W.15,Schaperstraße 21,
welcher hinreichend verdächtig
erscheint,
1. in nicht rechtsverjährter
Zeit, nämlich am 6. September
1928, im Bezirke des angerufenen Gerichts, nämlich in der
zu Berlin SW.19, Jerusalemer Straße 46/49 erschienenen
Abendausgabe Nr. 422 des „Berliner Tageblatt“ den Privatkläger wörtlich und
verleumderisch beleidigt sowie ihm
übel nachgeredet zu haben,
und
zwar dadurch, daß er schrieb:
„Obschon
die erwähnte Mitteilung der zwei Herren kein
ernster Anlaß zur Widerlegung
sein kann, stellt der Chefredakteur des ‚Berliner Tageblatts‘ fest, daß die von
ihnen vorgebrachte
Verdächtigung in das Reich der ein
fachen Lüge
gehört.“
2. im Zusammenhang, aber real
konkurrierend damit, in nicht
rechtsverjährter Zeit, nämlich am 14. September 1928 im
Bezirke des angerufenen Gerichts, nämlich in Berlin SW.19Jerusalemer Straße 46/49
den Privatkläger
wörtlich und
verleumderisch beleidigt sowie
ihm übel nachgeredet
zu haben,
und zwar dadurch, daß er an
mehrere Leser des „BerlinerTageblatt“ brieflich
schrieb,
er halte eine
Auseinandersetzung mit dem Privatkläger
für überflüssig und wünsche
nicht, dessen Reklamebe
dürfnis befriedigt zu sehen,
der Privatkläger
habe eine lügenhafte Behauptung auf
gestellt und suche vor allem,
sich Reklame zu verschaf
fen,
er lehne ab, Herrn Kraus eine ihm
erwünschte Reklame zu
verschaffen, habe nur die „lügenhafte Geschichte, die
unsere Verbindung mit Alfred Kerr
betrifft zurückzu
weisen“ gehabt, naive und kenntnislose Personen hiel
ten den Privatkläger für
eine opferbereite Kämpfer
seele.
– Vergehen gegen §§ 185, 186, 187, 188, 194, 200, 74 StGB. –
das Hauptverfahren vor dem
Amtsgerichte hier eröffnet.
Die Widerklage wird zugelassen.
Berlin NW. 40, den 6. Dezember 1928
Alt
Moabit 11.
Das Amtsgericht
Berlin-Mitte, Abteilung 149.
gez. Dahl
Amts- und Landrichter.
Die Richtigkeit der Abschrift
beglaubigt
Breller
Angestellter
als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle.