Abschrift.
Sehr geehrter Herr Doktor,
als gestern der Brief verlesen wurden,
hörte ich, dass zwei
Kleinigkeiten unrichtig sind, die wir in der
Eile der damaligen Abfassung
wohl übersehen hatten: der Redakteur
des Berliner
Tageblattes heisst natürlich nicht Walter v.
Molo,
das ist der
Vater, sondern Kurt v. Molo.
Dann ist Herr Szatmari nicht reingeschickt worden, sondern
der war aus privatem
Interesse – seine Gattin ist Filmschauspiele
rin – am selben
Tage in dem Film.
(Ich möchte zu der weiter
unten abgegebenen Erklärung gleich
vorwegnehmen, man kann nie
wissen, wozu man’s braucht, dass die
Frau des Herrn Szatmari
sich während der Vorführung über den
Film sehr lustig gemacht hat.)
Ich habe, um diese beiden
Dinge richtig zu stellen, den
Brief sonst wortwörtlich genau so mit den zwei
Korrekturen, noch
einmal,
ebenfalls mit dem Datum von damals geschrieben. Sie kön
nen den anderen natürlich
auch behalten, ich wollte nur vermeiden
dass etwa in die Fackel Unrichtigkeiten kommen.
Nun einige tatsächliche
Ausführungen zu den Ereignissen
selbst, die Sie ja sicher
benötigen:
Der Fall v. Molo ist meiner Meinung nach der viel wichtigere
weil er eindeutiger ist und
leichter bewiesen werden kann. Es ist
daher wohl auch notwendig,
dass sowohl Sie juristisch wie Herr Kraus
journalistisch auf den Fall das Hauptaugenmerk richten. Einen Satz
unter den vielen, die Herr
v. Molo in der berühmten Nacht vom 29.
zum
30. Mai gesprochen
hat, lautet: „Die Kritik wurde zurückgewiesen,
weil sie zu schlecht
war.“ Ich bin jederzeit bereit, diesen Text zu
beschwören, da ich ihn mir
sofort noch im Restaurant ins Notizbuch ge
schrieben habe. Natürlich
sagte Herr v. Molo viel mehr. Auch das kann
ich alles beschwören. Die
beiden Zeugen des Vorganges, nach denen Sie
mich gestern fragten waren
Herr Dr. Kurt Pinthus, W. 30, Heilbronnerstr. 2, und
Fräulein Eugenia Nikolajewa, Wilmersdorf, Emserstr. 14. Vor
allen Herrn Dr. Pinthus machte ich, sofort nachdem Herr v. Molo ge
gangen war, auf das
Vorkommnis aufmerksam. Er war auch ausser sich u.
hat es sich ziemlich genau
gemerkt; ich rief ihn heute an und er er
innert sich noch immer genau
an den Vorfall.
Hier wird, wie ich annehme,
als Ausrede vom Tageblatt gebraucht
werden, dass die Kritik aus
stilistischen Gründen oder wegen Unreife
des Herrn v. Molo zurückgewiesen wurde. Dieser Ausrede, wenn sie
wirk
lich
gebraucht wird, kann man sofort damit begegnen, dass Herr v. Molo
über viel wichtigere und
entscheidendere Dinge geschrieben hat, als
über das Kabarett der
Komiker und dass man diese wichtigeren Sachen
nicht zurückgewiesen hat.
Anstelle des Herrn v. Molo hat ein Herr
Suhrkamp geschrieben, der natürlich genau so subaltern und
stilistisch
eher
schlechter ist. Also dieser Fall scheint ganz klar und unerhört
bedeutungsvoll, denn es ist
doch wohl ganz ausgeschlossen, dass Herr
v. Molo sich diese Sachen ausgerechnet nachts um 1 Uhr Herr
Dr. Pinthus
und mir gegenüber aus den
Fingern saugt. Wie gesagt, ich kann in dieser
Sache vollkommen ausführlich
und eingehend aussagen.
Etwas schwieriger liegt, wie
ich Ihnen schon sagte, der Fall
Horkheimer. Die Darstellung in meinem Brief, stammt, wie ich Ihnen
ebenfalls schon sagte, von
Herrn Moritz Seeler, Augsburgerstr. 25.
Der Pressechef, der mit
Herrn Horkheimer gesprochen hat, ist Herr
Geza v. Cziffra. (Die Adresse werde ich versuchen, noch zu
besorgen.)
Dass Herr Horkheimer mit der Kritik beauftragt wurde,
unterliegt kei
nem
Zweifel, das wird er ebenfalls aussagen. Interessant ist nunmehr
folgendes: Als gestern die
Verlesung des Briefes in den Berliner Lo
kalen bekannt wurde, sagte
Herr Dr. Blass, ein anderer Filmkritiker
des Berliner
Tageblatts: Mir ist erzählt worden, Herr Horkheimer sei
am
Morgen des betreffenden Tages erkrankt.(!!) Herr Erich Hamburger,
Redakteur des Berliner Tageblatt wiederum hat erklärt, die Kritik
sei
nur etwas zu spät
gekommen. Schon diese verschiedenen Aussagen sind ja
hochinteressant. Unklar
bleibt folgendes: wenn die Kritik etwas zu spät
gekommen ist, dann konnte
man doch Herrn Szatmari erst ziemlich spät
beauftragen. Auch seine
Kritik muss zu spät gekommen sein. Also ich
glaube, auch mit dem Fall
Horkheimer wird die Chefredaktion
des Tageblattes
es schwer haben, wenn auch die Sache nicht ganz so einfach liegt
wie im Falle v. Molo, der ein Musterbeispiel ist. Diese
Ausreden, dass
die einen
sagen, Herr Horkheimer war krank, die anderen,
er habe die
Kritik zu spät
geschickt, habe ich vor allen Dingen auch mitgeteilt zu
dem Zwecke, dass man sie
vielleicht vorwegnehmen kann, ehe es von den
anderen in einem eventuellen
Prozess oder öffentlich behauptet wird.
Nun noch etwas sehr
Interessantes und mit diesen Dingen eng Zu
sammenhängendes:
Als dieser Film „Das Land ohne Frauen“, über den Herr
Horkheimer
der scharfe, nicht, aber
Herr Satmari, der sanfte, schrieb, war Rund
funkkritiker des
Berliner
Tageblattes Herr Hans Philipp Weitz.
Dieser
damals noch beim
Tageblatt angestellt Rundfunkkritiker, war gleichzei
tig als Propagandist bei der
Tobis, einer der Herstellerinnen des
Filmes
tätig. Herrn Weitz hat auch z.B. bei Herrn Dr. Pinthus, der über den
Film im Acht Uhr Abendblatt
schrieb, angerufen und um eine gute Rezen
sion gebeten; eine Bitte,
die natürlich erfolglos blieb. Zeuge Dr. Pinthus.
Aber es wäre interessant, einmal Herrn Weitz
unter seinem Eide
zu fragen,
was er, der schon bei anderen Blätter intervenierte, beim
Tageblatt
versucht und erreicht hat. Herr Weitz überwarf
sich kurze
Zeit darauf mit
dem Tageblatt und verliess es. Das Tageblatt
behauptet,
wegen der
Nebenbeschäftigungen des Herrn Weitz; Herrn Weitz, der natür
lich auch eine etwas
zweifelhafte Persönlichkeit ist (dieser Brief ist
natürlich nicht zum
öffentlichen Vortrag bestimmt) sagte aber, das Tageblatt
hätte von seiner nebenamtlichen Tätigkeit seit Jahren gewusst
und diese sogar
geduldet(!!), (siehe beiliegenden Tatbericht, speziell
Punkt 17) nun aber auf
dringende Forderungen von ihm nach Gehaltserhö
hung auf einmal seine
nebenamtliche Tätigkeit als Vorwand benutzt, um
ihn loszuwerden. Tatsache
ist, dass sein Nachfolger, Herr Lothar Band,
Belle Alliancestr. 22, Berlin SW. 61, nur um etwas die Hälfte
oder
noch etwas
geringeres Gehalt bekommt, das Herr Weitz
bezogen hat.
Wenn diese Vorwürfe, die
Herr Weitz gegen den leitenden Mann des Berliner
Tageblatts, Herrn Dr. Carbe, der ein
guter Freund von TheodorWolff
ist, erhebt, zutreffen, dass nämlich Dr. Carbe
die auf jeden
Fall zu
verurteilende Tätigkeit des Herrn Weitz geduldet
hat, so
lange Herr Weitz ihm gefällig war, (vor allem Punkt 13 c und d) und
dass er erst unter Berufung
auf die Incompatibilität seiner verschie
denen Stellungen mit ihm
brach, als er Gehaltserhöhung wollte, wäre
dies doch grotesker als
alles andere.
Herr Weitz wird als Zeuge in dem Prozess das sicherlich gern
unter seinem Eide aussagen,
möglicherweise noch manches andere, da
er wohl auf das Tageblatt
nicht gerade gut zu sprechen ist. Ich aber
natürlich kann beeiden, dass
Herr Weitz diese Darstellung mir und an
deren schriftlich
und mündlich gegeben hat und bin auch dazu
bereit.
Aus Versehen liegt diesem
Brief ein Tatsachenbericht des Herrn
Weitz bei, den ich mir aber sofort zurückzuschicken bitte.
Sollten
Sie eine
Abschrift dieses Berichts später in Ihren Akten haben, würde
ich das merkwürdig finden,
aber nicht bedauern.
Indem ich hoffe, mit diesen
Ausführungen Ihnen und Herrn Kraus
gedient zu haben
bin ich mit vorzüglicher
Hochachtung
Ihr
gez. Rolf Nürnberg.
PS. weitere Ermittlungen
schreibe ich Ihnen demnächst.