Der TagBerliner Tageblatt


In Bestätigung meines heutigen Telegramms bitte ich, Herrn
Kraus mitzuteilen, dass der Termin in Sachen Wolff vom 30.
April aufgehoben ist, und ein neuer Termin wahrscheinlich vor dem
Herbst ds. Js. nicht zu erwarten ist. Den Grund für die Aufhebung
bildet die Absage der Herren Wolff (durch Krankheit bedingte Erholungs
reise), Reinhardt (Tätigkeit im Ausland) und Holländer. Auf Wolff
wollte naturgemäss das Gericht nicht verzichten. Inzwischen war, und
zwar versehentlich, Herr Mosse-Lachmann für den 18. ds. Mts. zur kommis
sarischen Vernehmung in Moabit erschienen. Da er einen sehr unbefange
nen Eindruck machte und gleich vor der offiziellen Vernehmung erklärte
an der Beteiligung Mosses am Deutschen Theater sei kein wahres Wort,
im übrigen aber die dahingehende Behauptung schriftsätzlich längst
zurückgenommen ist, – habe ich auf eine Vernehmung des Zeugen, die
von der Gegenseite nur gegen uns ausgebeutet worden wäre, verzichtet.
Am 21. ist die Zeugin Schmalz in ihrer Wohnung vernommen worden. Ihre
Aussage lautet folgendermassen:


Ich bin mit dem Schriftsteller Maximilian Harden eng befreun
det und bei seinen am 30. Oktober 1927 in Montana-Vermala
in der Schweiz erfolgten Tode zugegen gewesen. Der Schrift
steller Dr. Kerr hatte, solange er noch für „Den Tag“ schrieb,
die Theateraufführungen von Max Reinhardt derart schlecht kri
tisiert, dass Reinhardt nach Angabe Hardens ihm sogar seine
Theater verboten hatte. Harden war mit Reinhardt sehr be
freundet, und wurde von Reinhardt zu den wichtigsten Pro
ben fast immer zugezogen. An einem späten Nachmittage
– es muss im Jahre 1919 oder 1920 gewesen sein –, kam Harden von einer Probe bei Reinhardt zu mir und sagte: „Du
wirst sehr erstaunt sein, Reinhardt hat mir gesagt, dass
Kerr an das B.T. als Kritiker engagiert würde. Reinhardt
ist ausser sich darüber. Aber ich habe ihm gesagt, er solle
doch froh sein darüber, denn sein Freund Wolff wird doch
dafür sorgen, dass Kerr nun besser über ihn schreibt.“
Wie mir Harden dann weiter mitteilte, hat Reinhardt dann
noch gesagt, der Angeklagte Wolff hä t
te Reinhardt selbst mitgeteilt,
dass Kerr sich ihm, d.h. dem Angeklagten gegenüber, ver
pflichtet hätte, nunmehr Reinhardt in seinen Kritiken nicht
mehr so anzugreifen.


Ich habe im Laufe der folgenden Jahre ungefähr noch
5 bis 6 mal mit Harden über den Fall ReinhardtKerr ge
sprochen, Harden hat immer das Gleiche über diesen Fall
gesagt, zum letzten Male etwa 4 bis 5 Tage vor seinem Tod,
als weder die Aerzte noch er selbst an seinen Tod dachten.
Er sagte das in Gegenwart der Schriftsteller Franz Pfemfert
und Fritz Spiro. Nachdem Dr. Kerr an das B.T. engagiert war,
sagte ich zu Harden; „Wir wollen nun darauf aufpassen, ob
die Kritiken über R. jetzt besser würden.[“] Nachdem Harden
einige Kritiken Kerrs mit mir zusammen gelesen hatte, sagte
er zu mir ungefähr: „Du siehst ja, Kerr ist schon viel zahmer. “


Auf meinen Vorhalt wurde die Zeugin gefragt, ob Reinhardt nicht
in einem Briefe an sie versucht hätte, sie zu beeinflussen, nicht für
Herrn Kraus oder gegen Kerr auszusagen. Die Zeugin verneinte das. Eben
so meine weitere Frage, ob Reinhardt ihr nicht vorgehalten hätte, dass
sie mit ihrer Aussage einem Manne nütze, der Zeit seines Lebens ein er
bitterter Feind Hardens gewesen wäre. Der anwesende Dr. Landsberg liess
die verneinenden Antworten auf meine Fragen protokollieren. Ferner wurde
folgendes protokolliert: „Der Vertreter der Angeklagten hält der Zeugin
vor, Reinhardt habe in der I. Instanz seine Auffassung dahin
ausgedrückt, dass die Kritiken Kerrs im Tageblatt für ihn genau so
ungünstig gewesen wären, wie die im „Tag“ erschienenen, und dass Harden, wenn Reinhardt sich darüber beschwerte, höhnisch geantwortet habe:
„Da haben Sie Ihren Freund Theodor Wolff“. Die Zeugin erklärte dazu
weiter: „Hierüber kann ich nichts aussagen, da ich bei Unterredungen
zwischen Harden und Reinhardt nie zugegen gewesen bin.“


Immerhin glaube ich, dass mit dieser Aussage in sachlicher Bezie
hung ein erheblicher Fortschritt für uns getan ist. Auf eine Vernehmung
Reinhardts wird das Gericht allerdings bestimmt nicht mehr nach dieser
Aussage verzichten. Ich werde Herrn Dr. Laserstein bitten, möglichst
zu erreichen, dass der Termin für die nächste Hauptverhandlung schon
jetzt festgesetzt wird, damitum Reinhardt gezwungen werden kannzu zwingen, anzugeben,
zu welchem Zeitpunkt er entweder in Berlin oder Wien vernommen werden
kann. Jetzt wäre es natürlich von Wichtigkeit, einen Zeugen dafür auf-
zubringen, dass Reinhardt sich in entgegengesetztem Sinne geäussert
hat, als er es in seiner Aussage vor dem Gericht I. Instanz darstell
te.


Mit Herrn Dr. Lapp, der nach wie vor bereit ist, zu bekunden,
dass Beeinflussungen der Redakteure durch die Schriftleitung besonders
aber in der Richtung eines gewünschten Wohlwollens für Reinhardt tat
sächlich erfolgt sind, habe ich nochmals korrespondiert. Das ist alles,
was ich im Augenblick über den Stand der Sache Wolff mitteilen kann.


Mit der Bitte, mich Herrn Kraus bestens zu empfehlen
ergebenst
Dr. Katz


3