Im Anschluss an meinen Bericht
über die am 3. Juni cr. erfolgte
Vernehmung des Zeugen Reinhardt habe ich noch
folgendes mitzuteilen:
Der Richter machte am Schluss der Beweisaufnahme einen neuerlichen
und dringlichen Versuch, die
Parteien zum Abschluss eines Vergleiches
zu bringen. Rechtsanwalt Landsberg erklärte sich prinzipiell sofort
dazu bereit, und auch Dr. Laserstein meinte,
dass bei Beschränkung auf
bestimmte Punkte ein Vergleich nicht ausserhalb des Bereichs der Mög
lichkeit läge. Es wurde, wenn
auch ganz vage, über die etwa abzugebenden
Erklärungen verhandelt, bis Dr.
Landsberg in die Debatte warf, dass von
unserer Seite eine Erklärung
abgegeben werden müsste, wonach Herr Kraus
sich von der Unrichtigkeit der
Harden’schen
Behauptung überzeugt hätte.
Dies
wies ich, als von Anfang an indiskutabel und unannehmbar, zurück.
Darauf sagte Dr. Landsberg, „ich habe es ja immer
gesagt, Herr Kraus will
eben
keinen Vergleich “.
Ich habe leider den Eindruck,
dass der Richter die Streitsituation
und den tieferen Gehalt der
Beleidigungsklage nicht erfasst hat. Da mir
bekannt ist und durch den Verlauf
des Rechtsstreits in I. Instanz darge
tan ist, wie ungünstig einer
Partei es ausschlagen kann, wenn sie, auch
in berechtigten Grenzen, als
nichtvergleichswillig erscheint, möchte ich
zur Diskussion stellen, die
Grenzen eines acceptablen Vergleiches an
zugeben, von dem ich übrigens als
unbedingt sicher annehme, dass die
Gegenseite ihn ablehnt. Meinem
Ermessen nach könnte man sich etwa auf
folgender Basis einigen:
„Der Angeklagte Wolff
hat in No … des BerlinerTageblatts vom 6.9.28 geschrieben: ‚Obwohl die erwähnte Mit
teilung der 2
Herren kein ernster Anlass zur Widerlegung sein
kann, stellt der Chefredakteur
des Berliner
Tageblatts fest, dass
die von ihnen vorgebrachte Verdächtigung in das Reich der einfa
chen Lüge gehört.‘ Er
bedauert, diesen Satz geschrieben zu haben.
Er erklärt, nicht länger die
Mitteilung des Privatklägers über
eine
Aeusserung Hardens
– wonach Herr Dr. Kerr nur unter bestimm
ten Bedingungen
betreffend sein Verhalten zu Reinhardt’schen
Insze
nierungen an
das Berliner
Tageblatt engagiert worden sei – als un
wahr oder als eine Lüge
charakterisieren zu können. Ferner bedau
ert er, in einigen Privatbriefen
Herrn Kraus
Reklamesucht vorge
worfen, die Beweggründe seiner publizistischen Tätigkeit verdäch
tigt und sein Verhalten im Krieg
als zweideutig und zur Täuschung
leichtgläubiger Leser eingerichtet, charakterisiert zu haben. Er
gibt zu, dass diese
Herabsetzungen des Privatklägers ohne jede Be
rechtigung erfolgt sind.
Hiernach erklärt der Privatkläger, dass
zur Aufrechterhaltung
des
Ausdruckes ‚frecher Schwindel‘ in
seinem Vortrag vom 1. Oktober
1928, abgedruckt No 795 bis 99 der Fackel Anfang
Dezember 1928, kein
Anlass mehr
vorhanden sei. Jene Bemerkung bezog sich auf den Ver
such des Angeklagten, die
Mitteilung des Privatklägers über die
erwähnte Aeusserung Hardens, so zu deuten, als habe der Privat-
kläger sie nicht nur
erfunden, sondern sich deren Inhalt zu eigen ge
macht, obwohl er aus dem Text der Fackel erkennen musste, dass von
vorn
herein der Privatkläger eine
Uebernahme der Beschuldigung als solcher
und eine Identifizierung mit
derselben ablehnte.“
Dieser Vergleich müsste vom Berliner
Tageblatt wörtlich publiziert
werden.
Ich halte es natürlich für
ausgeschlossen, dass die Gegenseite einen
dem Sinne nach ähnlichen
Vergleich abschliesst, glaube aber unsere takti
sche Situation zu verbessern,
wenn wir, den vielfachen Anregungen des Rich
ters folgend, zur Annahme
einer derartigen Beilegung des Prozesses uns be
reit erklärten. Ich habe gestern
mit Dr. Laserstein
darüber gesprochen und
mit ihm
vereinbart, dass ich eine entsprechende Anregung an Herrn Kraus
gelangen liesse. Wir beide
würden es sehr begrüssen, die Meinung von
Herrn Dr. Samek zu diesem
Punkte zu hören und eventuell eine von ihm ge
billigte Formulierung zu
erhalten.
Zur Prozesslage selbst möchte
ich bemerken, dass sie mir nach wie vor
nicht schlecht und bei weitem
günstiger als in der I. Instanz zu sein
scheint. Die Aussage des Zeugen
Reinhardt hat bestimmt auf den Richter
keinen überzeugenden und
durchschlagenden Eindruck gemacht. Sie hat ihre
erheblichen Schwächen und wird
sich in der Hauptverhandlung eher für als
gegen uns auswerten lassen.
Immerhin halte ich lediglich eine Verurteilung
Wolffs und eine
Freisprechung des Herrn Kraus nur zu einem geringeren
Teil als wahrscheinlich. Man muss
damit rechnen, dass entweder beide Partei
en freigesprochen oder (aus
formellen Gründen hinsichtlich des Herrn Kraus)
beide Parteien verurteilt würden.
Dagegen scheint mir die Aufrechterhal-
tung des Urteils I. Instanz als die bei weitem unwahrscheinlichste Aussicht.
Wie ich aus Pressenotizen und
wohl auch mündlichen Berichten weiss,
hat Herr Kraus in der ersten
Hauptverhandlung eine grosse Anzahl von Kriti
ken Kerr’s aus seiner Tätigkeit bei Scherl zur Vorlesung gebracht. Mir sind
jene Kritiken nur aus der von Kerr selbst im Verlag Fischer veranstalteten
und redigierten Auswahl bekannt.
Ich wäre Herrn Kraus sehr verbunden, wenn ich
die Nummern und Daten der
betreffenden Ausgaben des „Tag“ erfahren
könnte. Denn
es scheint mir
notwendig, die wichtigsten Kritiken sowohl vor wie nach dem
Uebertritt zu Mosse dem Gericht vor der Hauptverhandlung einzureichen.
Hierzu
möchte ich bemerken,
dass Herr Dr. Leschnitzer trotz vielfachen
Erinnerns
uns die oft
versprochene Zusammenstellung von „Berliner
Tageblatt“ Kritiken
noch
immer nicht übermittelt hat.
Nach dem Ausfall der
Notwendigkeit, die Zeugen Reinhardt, Holländer
und Schmaltz für die
kommende Verhandlung zur Stelle zu schaffen, rechne
ich damit, dass der Termin etwa
Ende September 1931 angesetzt und statt fin
den wird.
Mit der Bitte, Herrn Kraus meine sehr
ergebene Empfehlung zu über
mitteln zeichne ich
mit vorzüglicher Hochachtung
Dr. Katz