Arbeiter-ZeitungBerliner TageblattLiterarische Rundschau (Beilage Berliner Tageblatt)Die Fackel


C/Kl.
Berlin, den 25. Oktober 1928.


Beglaubigte Abschrift!


In Sachen
„Die Fackel“./. Mosse
Termin 26. Oktober 1928
– 231 C 135/28 –


Überreiche ich Vollmacht der Beklagten auf
mich.


Ich werde beantragen:
1) die Klage kostenpflichtig abzuweisen,
2) im Falle der Verurteilung der Beklagten
nachzulassen, die Zwangsvollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinter
lassung abzuwenden.


I.
Es wird bestritten, dass zwischen der Klägerin
und der Annoncen-Expedition Rudolf Mosse ein
Inseratenvertrag abgeschlossen worden ist.


Der Kläger hat in einer kleinen Filiale
der Firma Rudolf Mosse das in der Klage
mitgeteilte Inserat aufgegeben und den Betrag
von 108.– RM gezahlt.


Hiermit ist ein Inseratenvertrag nicht
geschlossen worden, da über die Aufnahme
eines Inserats der Verlag der betreffenden
Zeitung (Berliner Tageblatt) und deren ver
antwortlicher Redakteur zu entscheiden hat.


Diese Stellen sind zur Ablehnung von
Inseraten berechtigt und sogar verpflichtet,
von dem Erscheinen bestimmter Inserate Abstand
zu nehmen.


Das angekündigte Buch ist ein Pamphlet gegen den
Theaterkritiker des „Berliner Tageblatts“, Herrn
Dr. Alfred Kerr.


Herr Dr. Alfred Kerr wird in diesem Buch, das
in der Anlage dem Gericht überreicht wird, als „Schuft,
Bösewicht, Spitzbub, Denunziant, Lügner“ hingestellt.


Schon die Einleitung des Buches: „Der grösste
Schuft im ganzen Land …“ und das Zitat
von Shakespeare, das das Motto des Buchs bildet,
kennzeichnet dieses Buch als eine Schmähschrift gegen
Herrn Dr. Alfred Kerr.


Der Kläger, Herr Kraus, hat auch in einer öffent
lichen Versammlung am 1. Oktober 1928 den Chefredakteur
des „Berliner Tageblatts“, Herrn Theodor Wolff, und den
Verlag in schmähender Weise angegriffen.


Im Bestreitungsfalle wird hierfür Beweis angetreten
werden.


II.
Kraus hat auch gegen Maximilian Harden, einen gewiss
nicht unbekannten Journalisten, einen ekelhaften, von
Schmähsucht erfüllten Kampf geführt.


Er hat sich auch nicht geschert, bereits bei seinem
Vortrag am 1. Oktober zu erklären, dass er es durchsetzen
werde, dass das von ihm aufgegebene Inserat mitten in
der „Literarischen Beilage“ der Sonntagsnummer des
Berliner Tageblatts“ erscheinen werde.


III.
Über die Zeitung „Die Fackel“ sei folgendes ausgeführt:


Die Fackel“ ist eine in Wien erscheinende Zeit
schrift, die vorwiegend von Angriffen lebt. Es gibt kaum
einen Träger eines wertvollen Namens in Deutschland, den der
Besitzer und Herausgeber, Herr Karl Kraus, nicht schwer
beschimpft hätte. Für seine mechanisch erfolgenden,
regelmässigen und gewohnheitsmässigen Dauerangriffe, die
oft sensationell auf gemacht sind, schützt er „moralische“
Beweggründe vor. Doch ihn selber hat beispielshalber
der ehrwürdige Führer der oesterreichischen Sozialde
mokratie, der verstorbene Viktor Adler, in der Wiener
Arbeiterzeitung“ einen „Virtuosen der Ehrabschneiderei“,
der „sich die Finger wundlügt“, um zu verleumden,
genannt. Kraus, der alle Gerissenheiten eines anfecht
baren Journalismus routiniert beherrscht, spielt sich als
grundsätzlichen Bekämpfer der Presse auf. Das
heisst: er „bekämpft“ die Presse – und zitiert sie, wo
er gelobt wird.


Er unternimmt seine beschimpfenden Angriffe vornehm
lich gegen solche Persönlichkeiten, deren Name allgemein
bekannt ist, und wählt, um das Aufsehen zu steigern,
monströse, auffallende Plakatierungen an verkehrsreichen
Punkten der Stadt. So hat er in Wien kürzlich den
oesterreichisehen Bundeskanzler Schober, jetzigen Polizei
Präsidenten Wiens, durch schreiende Plakate an den
Anschlagsäulen herabzusetzen versucht. Der ehemaligeBundeskanzler hat diese krampfhaften Bemühungen, einen
Sensationsprozess zwischen Schober und Kraus herbeizuführen,
mit Nichtachtung gestraft – und alle wesentlichen
oesterreichischen Zeitungen haben seinen Grundsatz, HerrnKraus eine Gelegenheit zur Reklame nicht zu bieten, heiter
gebilligt.


Solche Gelegenheiten zum Bekanntwerden und zum Er
regen von Aufsehen sucht Kraus auch durch „Berichtigungen“
die er Zeitungen schickt, wahrzunehmen, indem er selbst
ganz geringfügige, belanglose, formale Kleinigkeiten
unter Zwangsanwendung des Pressegesetzes schikanös
„berichtigt“, wobei dann sein Name genannt wird.


Er hat jetzt den Wohnsitz und Sitz seiner
„Tätigkeit“ nach Berlin verlegt, hat angekündigt, er
werde den Schriftsteller Alfred Kerr „aus Berlin
vertreiben“ und überhaupt hier den „Kampf gegen die
Presse“ führen. Gewissermassen als Argument für die
Käuflichkeit der Presse durch Inserate hat er in einer
„Vorlesung“ im Schwechtensaal am 1. Oktober herausfordernd
verkündigt, er werde erreichen, dass (trotz seinen
Angriffen gegen das „Berliner Tageblatt“, gegen TheodorWolff – den er der Lüge bezichtigt hat – und gegen Kerr
– den er „Schuft“ in seiner Wiederholung nennt –) ein
bezahltes Inserat mitten in der literarischen Beilage,
somit an einem besonders für literarische Kreise sicht
baren Punkt, von demselben „Berliner Tageblatt“, das er
beschimpft habe, gebracht werde.


Kraus hat einen festen, nicht allzugrossen Kreis um
sich gebildet, der in seinen Versammlungen den Beifall
gewährleistet, gegen Widerspruch bedenkenlosen Terror
übt und aus dem einige Mitglieder immer bereit sind Kraus
in Zeitschriften oder etlichen Zeitungen zu bewundern
– Lobsprüche, die dann von ihm zitiert werden.


Kraus hat, um Aufsehen in dem „Kampf gegen die Presse“
d.h. die nicht lobende Presse, zu erregen, vor dem Mittel
nicht zurückgescheut, unter dem gefälschten Namen eines
nicht existierenden „Ingenieur Berdach“ Briefe an die
Neue Presse“ gelangen zu lassen – die auf Grund dieser
Fälschung „hineingelegt“ werden sollte. Sie druckte diesen
gefälschten Brief vertrauensvoll als eine Zuschrift aus
Leserkreisen ab, und Kraus hat jahrelang hämische Witze
darüber in seinem Blättchen gemacht. Etwas Aehnliches,
nämlich eine Blamierung oder blosstellende Schikane, beab
sichtigt er offenbar mit der Aufgabe des Inserats für den
literarischen Teil des „Berliner Tageblatts“.


Kraus ist bereits wegen verleumderischer Beleidigung
des Schriftstellers Hermann Bahr (im Anfang seiner
Laufbahn schon) zu 1800 Kronen Geldstrafe einstimmig
von den Geschworenen in Oesterreich verurteilt worden.


Er spielt sich bei alledem auf den Moralisten hinaus.


Kraus gehört zu denjenigen Persönlichkeiten, die
ihre glänzende literarische Begabung unter Ueberschätzung
ihrer eigenen Person gegenüber ernsten Schriftstellern
durch Skandalsucht geltend machen.


Sein Blatt erscheint nicht regelmässig, sondern nur
von Zeit zu Zeit, sobald er wieder einmal Skandal machen
kann.


Bei der Vorliebe, die das Publikum für Skandalblätter
hat, ist selbstverständlich hiermit auch für Kraus ein
pekuniärer Vorteil verbunden.


Herr Kraus gehört eben zu den begabten, depravierten
Journalisten, die die Eitelkeit ihrer Person zur
Skandalsucht im Endeffekt führt, verleitet durch die
Hemmungslosigkeit und den Mangel an Vorantwortungsgefühl.


IV.
In rechtlicher Beziehung wird folgendes ausgeführt:


Kraus hat das Inserat mit Absicht bei einer kleinen
Annahmestelle der Firma Rudolf Mosse abgegeben, weil er
überzeugt war, dass diese keine Kenntnis von dem Inhalt seiner
Schmähschrift hatte.


Hätte Kraus den ehrlichen Weg gewählt, das Inserat
bei der Hauptexpedition einzureichen, so würde dort selbst
verständlich das Inserat von vornherein zurückgewiesen
worden sein.


Kraus hat unter Verschweigung des Umstandes, dass es
sich um eine Schmähschrift gegen Herrn Dr. Kerr, den
Kritiker des „Berliner Tageblatts“ handelt, bei der kleinen
Filiale das Inserat abgegeben, um auf diese Weise sein
Inserat in die „Literarische Beilage“ des „BerlinerTageblatts“ zu lancieren.


Aus diesem Grunde wird, falls das Gericht den Ab
schluss eines Inseratenvertrages annehmen sollte, dieser
Vertrag aus §§ 119, 123 BGB. angefochten.


V.
Es wird ferner auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts hingewiesen.


Das Reichsgericht und das Berliner Kammergericht
haben in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen,
dass das in einem Inserat angekündigte Schriftwerk
integrierender Bestandteil des Inserats sei.


Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die
Schmähschrift des Kraus schwere Beleidigungen des
Herrn Kerr enthält.


Der Verlag des „Berliner Tageblatts“ sowie der
verantwortliche Redakteur würden sich also durch
Veröffentlichung des Inserats der Beihilfe zur Beleidigung
( § 185 ff. St.G.B.) schuldig gemacht haben.


Schon aus diesem Grunde war die Ablehnung des
Inserats geboten.


VI.
Es wird aber ferner darauf hingewiesen, dass keine
Zeitung Inserate anzunehmen braucht, die Beschimpfung
des eigenen Blattes und dessen Mitarbeiter bedeuten.


Beweis: Gutachten der Industrie- und HandelskammerBerlin bezw. eines gerichtlichen Sach
verständigen des Pressewesens.


VII.
Das Schreiben des unterzeichneten Anwalts vom 3. Oktober
und das Schreiben des Rechtsanwalts Laserstein vom9. Oktober werden nicht bestritten.


Der unterzeichnete Anwalt hat auch durch das in
Abschrift beigefügte Schreiben vom 10. Oktober das
Erscheinen des Inserats im „Berliner Tageblatt“ abgelehnt.


VIII.
Im übrigen ist die Beklagte nicht passiv legitimiert.


Ueber Aufnahme oder Ablehnung eines Inserats
entscheidet allein der verantwortliche Redakteur, den
der Verlag überhaupt nicht zwingen kann, ein Inserat
aufzunehmen.


Begl. Abschrift anbei.


gez: Fritz Cohn
Rechtsanwalt.