Im Vollmachtsnamen des Herrn
Karl
Kraus, Heraus
gebers der Fackel, fordere ich Sie
auf, die folgende Berichtigung
der in dem Artikel „Karl der
Goste“ von Otto
Ernst Hesse (1. März)
enthaltenen meinen Mandanten betreffenden unwahren Behauptungen
auf Grund des § 11 P.G. in der Beilage Unterhaltungsblatt der
Vossischen Zeitung zu veröffentlichen.
Sie schreiben, ein Gedicht sei „von Karl Kraus
als
angebliches
geniales Produkt eines Czernowitzer Irren
festgestellt
worden.
Mit jener Form, die man Ironie nennt, forderte ich KarlKraus auf,
seine Meinung aufrecht zu erhalten, mich nun an Stelle
des Irren für einen
genialen Dichter zu erklären, seinen Reinfall
ehrlich
einzugestehen“. Die in diesen Sätzen enthaltene Behauptung
ist unwahr. Wahr ist, dass
Karl Kraus
im Juniheft der Fackel 1928
das Gedicht keineswegs als angebliches geniales
Produkt eines
Czernowitzer
Irren festgestellt, sondern in der
Nachschrift zur
Publikation
der im Czernowitzer Irrenhaus gefundenen
Gedichte fest-
gestellt hat, dass die
Urheberschaft problematisch geworden sei, und
der Mitteilung Raum gab,
dass der Irre selbst das Gedicht
„Junge Tänzerin“ einem gewissen Otto Borger zuschreibt.
Es ist unwahr, dass Karl Kraus
schreibt, eines könne
man
sich nicht vorstellen: „dass es gelingen könnte, mir
satirisch
zu
werden!“ Wahr ist, dass der Satz auf S.
34 und 35 der Nr. 800–805der Fackel lautet:
„… eines kann man sich doch
nicht gut vor
stellen: dass es gelingen könnte, an mir satirisch
zu werden!“
Sie schreiben: „Dann aber – um ganz sicher zu
gehen –
behauptet er dazu
noch, ich hätte dieses Gedicht,
das er gar nicht
gelobt
habe, von Paul
Zech gestohlen. Doppelt hält besser, sagte
sich Karl
Kraus, ohne zu bemerken, dass er durch den Plagiatsvorwurf
gegen ein Gedicht, das er gar nicht
meinte, seine Behauptung einiger
maßen suspeckt
macht“. Diese Darstellung ist unwahr. Wahr ist, dass
Karl Kraus
keineswegs behauptet hat, Otto Ernst Hesse habe dieses
Gedicht, das er gar nicht gelobt hat, von Paul Zech
gestohlen. Wahr
ist, dass er
keinen Plagiatsvorwurf erhoben hat. Wahr ist, dass er
in der Kritik des nicht
gelobten Gedichtes bloss von einem „empfange
nen künstlerischen
Eindruck“ gesprochen hat, den Otto Ernst
Hesse
verarbeitet habe, und dass
er unter anderen Klangspuren aus der
Fügung „Blut und Haut
und Atem“ darauf geschlossen hat, das Gedicht
Zechs „Glockentänzerin“ mit der Fügung
„Atemhauch und Blut und Haut“
sei nicht ohne Einfluss
geblieben auf das Zustandekommen von Hesses
Gedicht „Junge Tänzerin“, von dem der Autor selbst gesagt hat, es
sei
für eine illustrierte
Zeitschrift zu einem Klischee „hergestellt“
worden und „der
Verfertiger schämte sich ein wenig über dies Gedicht“.
Wahr ist, dass Karl Kraus
ausdrücklich (S. 121)
sagt: „Gewiss, von
einem ‚Plagiat‘, von
einer unehrlichen Handlung des Bewusstseins wird
auch auf diesem
kunstgewerblichen Niveau nicht die Rede sein können“.
Sie schreiben: „Haltet euch
fest, dass ihr nicht vor
Lachen von den Stühlen fallt! Das Gedicht, das Karl Kraus
vorgelegen
hat, bevor
er mein Gedicht aus dem Magazin kennen lernte, unter
scheidet sich in der Tat
von diesem. Nämlich in drei ‚wesentlichen‘
Punkten. Erstens steht
in jener Abschrift, die der Irre gemacht
hatte,
statt ‚um des
Körpers‘ die Lesart ‚an des Körpers‘. Zweitens steht
statt ‚wandelt‘ die
Lesart ‚wandeln‘. Und drittens steht statt ‚zarte
Glockenblume‘ die Lesart
‚grosse Glockenblume‘.“ Es ist unwahr, dass
Karl Kraus
sagt, die Fassung der „Jungen
Tänzerin“, die ihm vorgele
gen hatte, bevor er das
Gedicht Otto Ernst
Hesses aus Scherls Magazin
kennen lernte, unterscheide
sich von diesem in drei „wesentlichen“
Punkten. Wahr ist es, dass
er im Gegenteil ausdrücklich (S. 191) sagt:
„Die Variante ‚An‘ (statt
‚Um‘) … erscheint mir unwesentlich …
Wesentlicher ist schon
die Aenderung ‚wandeln‘ (statt ‚wandelt‘) …
Mir ist es jedoch um die
dritte, die eingestandene Variante zu tun
(‚Eine grosse
Glockenblume‘ statt ‚Eine zarte Glockenblume‘)“.
Sie schreiben: „man (Karl
Kraus) zitiert ja auch wissentlich falsch
Heine, nur um den Gegner eins auswischen zu
können“. Es ist unwahr, dass
Karl Kraus mit
der Zitierung Heines in der Form: „Die Tänzerin ist wie
eine Glockenblume, so
zart und schön und rein“ statt „Du bist wie eine
Blume, so hold und schön
und rein“ nur den Zweck verfolgt, dem Gegner
eins auszuwischen. Wahr ist,
dass er mit ihr den Zweck verfolgt, den
Unterschied zwischen einem
dichterischen Gleichnis und einem ornamen
talen Vergleich
sprachkritisch an einem vorausgesetzten Beispiel aus
der Lyrik Heines darzustellen. Sie schreiben: „man (Karl
Kraus) wirft
ja auch
nur dem Gegner Fälschung vor, wenn offensichtlich ein Druck
fehler steht“.
Diese Behauptung ist unwahr. Wahr ist, dass dem Gegner
nie aus einem Druckfehler
der Vorwurf der Fälschung gemacht wurde.
Wahr ist, dass zwar die
falsche Zitierung eines Satzes aus dem Juniheft der Fackel
festgestellt, aber ausserdem und ganz unabhängig davon
auch der Vorwurf erhoben
wurde, dass der Sachverhalt der dortigen Dar
stellung falsch
wiedergegeben war, indem im Artikel der VossischenZeitung „Ich bin der grösste lebende
Lyriker“ (3. Nov.) behauptet
wurde, in der Fackel seien die Gedichte als das
Produkt des Irren aus
gegeben worden, was nicht
der Fall war; ein Mann namens Borger habe
„sich gemeldet, der Karl Piehowicz desavouiert hat“,
was nicht der
Fall war, da
Piehowicz selbst ihn genannt hatte; und
indem schliess
lich die Anerkennung, die in der Fackel ausdrücklich dem Gedicht
„Einen Trunk der Liebe“ zuerteilt wurde, so zitiert war, als
wäre sie
dem ganz anders
gelobten Gedicht „Junge Tänzerin“
zuerteilt worden.
Es ist
unwahr, dass man für „goste“ „grosse
Glockenblume“
interpoliert hat, „nicht ohne vorher den Irren vernommen zu haben, der
aussagte – und auch
später wiederholte – er habe ‚goste‘ gewählt, weil
erfundene Worte schöner
seien als richtige …“ Wahr ist, dass die
Vernehmung nach dem Druck
„grosse Glockenblume“
erfolgte. Wahr ist,
dass man
„grosse“ gedruckt
hatte, bevor man wusste, dass „goste“ „zar
te“ bedeutet. Es ist unwahr,
dass es in der Fackel heisst: „Die grosse
Glockenblume ist mehr
als eine Glockenblume, die zarte weniger“. Wahr
ist, dass es dort (S. 112) heisst:
„Die grosse Glockenblume ist
mehr
als eine
Glockenblume, die zarte weit weniger“.
Es ist unwahr, „dass Karl der
Goste nunmehr mir vorwirft,
meine Urfassung von Paul Zech
abgeschrieben zu haben. Er drückt sei
nen Plagiatsvorwurf
unendlich geschickt aus … der Plagiatsvorwurf
aber ist absolut
sichtlich“. Wahr ist, dass Karl Kraus
einen Plagiats
vorwurf nicht erhoben, sondern nur behauptet hat, das Gedicht
„Glockentänzerin“ von Zech müsse dem
Verfasser der „Jungen Tänzerin“
seinerzeit bekannt gewesen
und könne nicht ohne Einfluss auf die
Verfertigung des Gedichtes für Scherls Magazin geblieben sein. Sie
zitieren: „Dass diese
Schöpfung (mein Gedicht) von einer Vor
schöpfung
(Zechs
Gedicht) bezogen war, wusste ich aus dem
inte
grierenden, wertverändernden Wort (goste statt zarte), in dessen
Gefolge alles Weitere
fremdkörperlich erschien.“ Es ist unwahr,
dass der Satz (S. 121) so lautet,
wahr ist, dass er lautet:
„… wusste ich aus dem einen integrierenden, wertverändernden
Wort …“. Es ist
unwahr, dass als dieses eine integrierende, wert
verändernde Wort „goste“
statt „zarte“ erkannt war. Wahr ist, dass
als dieser Wertunterschied
das Wort „zarte“ erkannt war, das in
der Originalfassung in Scherls Magazin gefunden wurde,
nachdem die
der Fackel übermittelte Fassung das Wort
von der „grossen Glocken
blume“
aufgewiesen hatte.
Dr. Oskar Samek
Rekommandiert.