Sehr geehrter Herr Kollege!


In der Angelegenheit Kraus gegen Städtische Bühnen erlaube
ich mir heute, nach Prüfung des mir übersandten Aktenmaterials,
meine Ansicht über die von Ihnen zur Diskussion gestellten Rechts
punkte folgendermassen mitzuteilen:


Nach dem Aufführungsvertrage vom 23. Mai 1929 § 9 glaube ich,
dass die Zuständigkeit des Wiener Schiedsgerichts nicht verneint
werden kann. Nach dem zwischen den in Betracht kommenden Verbänden der Bühnen-Autoren und Bühnen-Verleger einerseits und dem
Bühnen-Verein andererseits geschlossenen Tarifvertrag vom 12.2.30
(vergl. dazu die allgemeinen Bestimmungen für den Geschäfts
verkehr zwischen den genannten Verbänden, ebenfalls vom 12.2.1930)
wäre als das zuständige Gericht das Berliner-Schiedsgericht anzu
sehen, da der Beklagte seinen Wohnsitz im Deutschen Reich hat. Jedoch
ist m.E. aus den genannten Vereinbarungen der Verbände nicht zu
entnehmen, dass diese Bestimmung des Schiedsstandes eine aus
schliessende in dem Sinne sein soll, dass der freien Verein
barung über die Auswahl unter den beiden Gerichten eine Schranke
gesetzt sei. Vielmehr entnehme ich, sowohl den Bestimmungen der
Deutschen Zivilprozessordnung §§ 1025 ff. und der Verweisung des
Tarifvertrages selbst auf die Vorschriften der D.ZPO. über das
Schiedsgerichtsverfahren, dass der § 29 ZPO., der den Gerichts
stand des Erfüllungsortes eines Vertrages für die aus dem Ver
trage fliessenden Verpflichtungen bestimmt, auch entsprechend für
die aus dem Aufführungsvertrage geltend zu machenden Ansprüche in
Anwendung gebracht werden kann. Hiernach bin ich der Ansicht, dass
der § 9 des Vertrages, der als Erfüllungsort Wien angibt, über
seinen materiellen Inhalt hinaus mit Recht eine prozessuale Grund
lage für die Erhebung einer Klage vor dem dortigen Schiedsgericht bietet.


Was nun die Frage anlangt, ob aus dem zwischen Deutschland und
Oesterreich geschlossenen Rechtsschutz- u. Rechtshilfeabkommen von
1923 eine Vollstreckbarkeit des zu erwartenden Wiener Schieds
gerichtsurteils in Deutschland gegeben ist, so muss diese wohl
verneint werden. Denn der Artikel 19 setzt nur die Vollstreckbar
keit von Urteilen bürgerlicher Gerichte fest und bestimmt in Aus
legung dieses Begriffes, dass als bürgerliche Gerichte auch die
Sondergerichte zu gelten haben und diejenigen Schiedsgerichte,
die ohne Rücksicht auf einen Schiedsvertrag vermöge einer be
sonderen staatlichen Verordnung zur Entscheidung privatrechtlicher
Ansprüche zuständig sind. Da hier ein Schiedsvertrag vorliegt,
kann auf Grund der ebengenannten Bestimmung eine Vollstreckbar
keitserklärung aus einem Wiener Schiedsgerichtsurteil über eine
Frage des Aufführungsvertrages nicht beansprucht werden. Vielmehr
bestimmt sich nach feststehender deutscher Rechtsprechung die Voll
streckung eines derartigen Schiedsgerichtsurteils nach den Vorschrif
ten der ZPO. über das schiedsgerichtliche Verfahren, im einzelnen
nach § 1042 f. der D.ZPO. Es ist anerkannten Rechts, dass auch ein
ausländischer Schiedsspruch im Deutschen-Reich für vollstreckbar
zu erklären ist, wenn das Schiedsverfahren gewissen Mindestvor
schriften des Deutschen Rechts genügt hat, insbesondere, wenn
die Bestimmungen des § 1039 ZPO., den ich in der Anmerkung ab
schreibe, erfüllt sind. Nach den einschlägigen Kommentaren wäre aber
im vorliegenden Fall der in Wien ergehende Schiedsspruch nicht
einmal in diesem Sinne als ein ausländischer Schiedsspruch anzusehen,
da lediglich der Ort der Entscheidung ins Ausland gelegt ist, während
die betreffenden Vereinbarungen, wie höchstwahrscheinlich auch
die Besetzung des Schiedsgerichts, in hohem Masse nach Deutschem
Rechte zustande gekommen, bezw. auch durch Angehörige des Deutschen
Reiches bestimmt sind. Unter einem ausländischen Schiedsspruch ver
steht Auslegung der in Frage kommenden gesetzlichen Stellen
eine nnicht nur im Ausland ergangenen Spruch, sondern auch im über
wiegendem Masse eine unter der Herrschaft ausländischen Rechtes
und durch Angehörige eines fremden Staates zustande gekommene
Entscheidung. Wie dem auch immer sei, auch eine solche Entscheidung
wäre in Deutschland vollstreckbar,und es ist nur vor der Voll
streckung zu prüfen, ob die bereits genannten Formvorschriften
der ZPO. gewahrt sind. Der Beschluss, durch den die Vollstreckung
des Schiedsgerichtsurteils ausgesprochen wird, wäre von dem
Landgericht Frankfurt a.M. zu erlassen, als demjenigen Gericht, bei
dem die Klage ohne die Vereinbarung eines Schiedsgerichtsverfahrens
anzubringen wäre.


In der Beurteilung der materiellen Begründetheit des An
spruchs gehe ich konform mit den in Ihrem Schreiben vom 5.12.1931
gemachten Ausführungen. Eine Auslegung der Wendung „in der
nächsten Spielzeit“ im Sinne der Städtischen Bühnen wäre m.E.
dolos und würde allen Anforderungen von Treu und Glauben wider
sprechen. Schon daraus, das der Vertragsgegner in seinem Schreiben vom 12.3.1931 ausdrücklich die Worte „erklären uns damit ein
verstanden“ gebraucht, und dass im zweiten Absatz dieses Briefes
auch von der Uebersendung der Partitur im Herbst die Rede ist, folgt,
dass er mit „der nächsten Spielzeit“ nur denjenigen Teil der
nächsten Spielzeit im Auge hat, der ihm vom Verlag der Fackel noch
zur Erfüllung seiner Aufführungspflicht eingeräumt und angeboten
war. Andernfalls hätte er sich nicht einverstanden erklären
dürfen, sondern eine neue Offerte machen müssen, was mit keinem
Worte zum Ausdruck gekommen ist. Immerhin wird man bei der bekannten
Unzuverlässigkeit, besonders von Schiedsgerichten, mit einer ge
ringen Möglichkeit rechnen müssen, dass irgendwie dem Standpunkt
der Städtischen Bühnen Rechnung getragen werden könnte. Ich halte
aber diese Möglichkeit, wie gesagt, für eine sehr entfernte. Ausser
dem besteht nach dem die Rechtsgrundlage des Vertrages bildenden
Tarifabkommen die Möglichkeit, dass das Gericht die Vertragsstrafe
trotz ihrer prinzipiellen Zuerkennung betragsmässig reduziert.
Dass eine Verfolgung des Anspruchs in Wien in gewisser Hinsicht
grössere Chancen bietet, verkenne ich nicht; jedenfalls insoweit
dürfte der Wiener Boden günstiger sein, als dort mit dem Argument
der Notlage der Frankfurter Bühnen weniger Eindruck
zu machen sein wird.


Ich bitte um freundlichen Bescheid darüber, wie sich HerrKraus nach Erwägung der von mir vorgetragenen Gesichtspunkte ent
scheiden will und zeichne


mit vorzüglicher Hochachtung und herzlichen
Grüssen als Ihr sehr ergebener
Dr. Katz


Anmerkung.


§ 1039. Der Schiedsspruch ist unter Angabe des Tages der
Abfassung von den Schiedsrichtern zu unterschreiben, den Parteien
in einer von den Schiedsrichtern unterschriebenen Ausfertigung
zuzustellen und unter Beifügung der Beurkundung der Zustellung
auf der Gerichtsschreiberei des zuständigen Gerichts niederzulegen.


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