Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten


Sehr geehrter Herr!


Wir erhielten Ihr Schreiben vom 10. cr. und müssen leider
die Berechtigung Ihrer Vorwürfe im Bezug auf die Abrechnung mit Ihnen und
Ihrem Kommisionär anerkennen. Wir bitten aber, zu unserer Entschuldigung
den Umstand in Betracht zu ziehen, dass die Direktion Kranz-Sievers seit
dem 7. Dezember vr. Js. finanziell zusammengebrochen ist und ihre Tätigkeit
vorläufig einstellen musste. Das Theater wurde seither als Notgemeinschaft
des darstellenden Personals geführt, sodass die Direktion keinerlei Einnahmen
irgendwelcher Art hatte und nicht einmal die für den persönlichen Lebens
unterhalt notwendigen kleinsten Beträge aufzubringen imstande war.


Seit dem angegebenen Datum ist jedoch die Direktion bemüht ge
wesen, das Unternehmen neu zu finanzieren. Sie hat eine Benachrichtigung des
Verlages „Die Fackel“ unterlassen, weil der Ausgang der – auch heute noch
aussichtsreichen – Verhandlungen ungewiss war und sie vermeiden wollte, dem
Verlage „Die Fackel“ leere Versprechungen zu machen. Auf alle Fälle wird
Sorge getragen werden, dass die Abdeckung der uns ausserordentlich peinlichen
und drückenden Schuld sobald als möglich erfolgen kann.


Was die Angaben des Rechtsvertreters des Frankfurter Stadttheaters anbetrifft, so verhält es sich damit folgendermassen:


Herr Dr. Kronacher hatte uns mit der Versicherung, dass er
grosses Interesse für die „Unüberwindlichen“ habe, unter Berufung auf
unseren Berliner Erfolg zu einem Gastspiel eingeladen. Er hatte uns ver
schwiegen, dass er die Aufführung lediglich in Erfüllung eines von seinem
Vorgänger eingegangenen Vertrages widerwillig veranstalte, wie er später in
der Frankfurter Presse erklärt hat. Wir mussten bei unserem Aufenthalt in
Frankfurt den Eindruck gewinnen, als solle die Aufführung seitens des dortigen
Theaters sabotiert werden. So war z.B., wiewohl wir wochenlang vorher
einen Dekorations- und Requisitenplan eingereicht hatten und wiewohl unser
Herr Sievers auf Grund schriftlicher und telefonischer Vereinbarung mit dem
Theater bereits einen Tag vor der Aufführung zu einer Dekorationsprobe in
Frankfurt anwesend war, noch am N n achmittag des Aufführungstages nicht das
Geringste vorbereitet oder instandgesetzt, so war keinerlei Reklame für die
Aufführung gemacht worden und das Gastspiel in ein an literarischen Dingen
uninteressiertes Abonnement verlegt worden.


Während der Aufführung erschienen plötzlich Herr Dr. Kronacher in unserer
Garderobe und verlangte, nachdem er höchstens die Hälfte des ersten
Aktes gesehen hatte, von uns kategorisch neue Striche, durch die mindestens 3/4
Stunde eingespart werden müsste. Wir erklärten darauf Herrn Dr. Kronacher,
dass diese Striche aus vielen Gründen nicht möglich seien, einmal weil es
den Darstellern nicht zugemutet werden könne, während der Vorstellung Änder
ungen einer eingespielten Aufführung vorzunehmen, vor allem aber, weil unser
Vertrag mit dem Verlag „Die Fackel“ unter II folgenden Passus enthält:
„Das Komödienhaus verpflichtet sich, das Stück so auszuführen, wie es dem
vom Autor eingerichteten Bühnenexemplare des Werkes entspricht, d.h.,
keinerlei Änderungen des Textes vorzunehmen.“ Ausserdem sieht der Vertrag
unter IV vor, dass in allen materiellen Fragen die Bestimmungen des zwischen
dem Deutschen Bühnenvereins und der Vereinigung der Bühnenverleger verein
barten Normalvertrages gelten sollten. Dieser Normalvertrag besagt unter
§10, dass eine Vertragsstrafe fällig ist, sofern einer Vertragskontra
henten eine Bestimmung des Vertrages gröblich verletzt.


Wir wiesen, wie gesagt, Herrn Dr. Kronacher auf unseren Vertrag
mit dem Verlag „Die Fackel“ hin und bemerkten dazu noch, dass abgesehen
von diesen Vertragsbestimmungen es unsere künstlerische Überzeugung sei,
dass andere Striche, als die bereits vorhandenen sinnentstellend, stilwidrig
und der künstlerischen Wirkung des Werkes abträglich sein müssten. Im Zu
sammenhang mit den Erörterungen sagten wir Herrn Dr. Kronacher noch, dass
wir umsoweniger unsere Vertragsbedingungen auf die leichte Achsel nehmen könnten,
als es uns bekannt sei, dass die Berliner Volksbühne für eine ähnliche wie die von Herrn Dr.Kronacher von uns geforderte Vertragsverletzung (nämlich unberechtigte
Striche) auf Grund eines Prozesses eine Vertragsstrafe von Mk. 1.500.–
hätte zahlen müssen. Herr Kronacher versuchte dann noch, die beiden Haupt
darsteller zu veranlassen, von sich aus „Sprünge“ zu machen, die ja schein
bar unbeabsichtigt sein könnten, und für die wir dann die Verantwortung ab
lehnen könnten. Die beiden Herren weigerten sich jedoch mit der Begründung,
dass man ein Stück von Karl Kraus schliesslich nicht improvisieren könnte,
wie ein Stück etwa von Blumenthal und Kadelburg.


Es verhält sich also durchaus nicht so, dass wir über unseren
Vertrag mit dem Verlag „Die Fackel“ unwahre Angaben gemacht haben, sondern
vielmehr so, dass wir im Interesse des Werkes und des Autors Verballhornungen
des Textes verhindert haben und den Versuch hintertrieben, durch schwindel
hafte Mätzchen, wie sie uns vorgeschlagen wurden, uns von der Erfüllung unseres
Vertrages zurückzuhalten. – Wir bitten Sie, Herrn Kraus den Ausdruck
unseres tiefsten Bedauerns darüber auszudrücken, dass wir nicht in der Lage
waren, unsere finanziellen Verpflichtungen korrekt einzuhalten und begrüssen


Sie mit vorzüglicher Hochachtung
R.A. Sievers, Fritz Kranz