[Kritik der „Unüberwindlichen“]Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten


Dr.S./Ma. 18. Oktober 1932


G.Z. 7 Cg 322/32


An das
Landesgericht für Z.R.S.Wien.


Klagende Partei: Verlag „Die Fackel“ Herausgeber
Karl Kraus prot. Firma in
Wien III. Hintere Zollamtstrasse 3
durch


Beklagte Partei: Die Stadt Frankfurt a/Main als
Konzessionärin der Frankfurterstädtischen Bühnen, zu Handen des
Magistrates Frankfurt a/Main
durch: Dr. Richard Pressburger, Rechtsanwalt in Wien I.,Kärntnerring 12.


wegen RM 2.000.–
Feststellung Rk 1.000.–
aus Rk 3.000.– Streitwert S 5.000.–
2 fach
1 Rubrik
3 Beilagen


Vorbereitender Schriftsatz und Stellung
eines Eventualklagebegehrens.


Auf die Behauptungen der Klagebeantwortung ist zu
erwidern:


1. Die Tatsache, dass die Parteien des Aufführungsvertrages vom 23.5.1929 Mitglieder der Vertragsorganisation
Deutscher Bühnenverein einerseits und Vereinigung deutscherBühnenverleger andererseits sind, genügt nicht, um die Zustän
digkeit des Berliner Schiedsgerichtes zu begründen. Herr KarlKraus, der Inhaber des Verlags „Die Fackel“ ist nämlich nicht
Mitglied eines Schriftstellerverbandes, und deshalb erhob auch
der Rechtsanwalt der beklagten Partei vor dem Berliner Bühnenschiedsgericht den Einwand der Unzuständigkeit mit Rücksicht
darauf, dass er erst im Verlaufe der mündlichen Verhandlungen
erfahren habe, dass der Schriftsteller Karl Kraus nicht Mitglied
des Verbandes deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten oder der Gemeinschaft dramatischer Schriftsteller undKomponisten in Wien sei. Der Anwalt der klagenden Partei musste
dies zugeben und hat daher wegen der Unzuständigkeit des BerlinerBühnenschiedsgerichtes die Klage zurückgenommen. Ich lege die
Abschrift des Beschlusses des Bühnenschiedsgerichtes vom 2. März
1932 vor und beantrage die Beschaffung des Bühnschiedsgerichts
aktes, Aktenzeichen Sch 23/32. Es ist also unrichtig, dass „die
Rücknahme der Klage nicht wegen Unzuständigkeit des Gerichtes
erfolgt ist, sondern hauptsächlich wegen absoluter Nichtigkeit
des Aufführungsvertrages.“ Woraus die beklagte Partei schliesst,
dass die Zurücknahme der Klage wegen absoluter Nichtigkeit des
Aufführungsvertrages erfolgt ist, gibt sie nicht an. Auch ist
nicht ganz verständlich, was es heissen soll, dass die Zurück
nahme „hauptsächlich“ wegen absoluter Nichtigkeit des Aufführungsvertrages erfolgt ist. Aus der Tatsache der Klageerhebung
vor dem Wiener Gericht scheint wohl klar genug hervorzugehen,
dass die Gültigkeit des Vertrages behauptet wird. Der Ein
wand könnte nur scherzhaft gemeint sein.


Die beklagte Partei behauptet aber auch, die
Zurücknahme der Klage seitens der klagenden Partei sei noch
kein Präjudiz für die effektive Unzuständigkeit des BerlinerBühnenschiedsgerichtes. Selbst wenn die Einwendung der Unzu
ständigkeit im Berliner Prozess von seiten der beklagtenPartei unberechtigt erhoben worden wäre, was aber deshalb
nicht der Fall ist, weil tatsächlich wegen des Fehlens der
Mitgliedschaft des Herrn Karl Kraus an einer Schriftsteller-
Organisation die Unzuständigkeit des Bühnenschiedsgerichtes
gegeben war, so könnte sie sich nicht darauf berufen, weil
sie selbst diese Unzuständigkeit eingewendet hatte. Es wider
spräche wohl in gröblichster Weise den guten Sitten, den Gegner
durch eine Einwendung zur Zurückziehung der Klage zu veran
lassen und bei dem dann zuständigen Gericht eine Einwendung
vorzubringen, die darauf hinausläuft, dass man ihn irregeführt
hätte. Die Zuständigkeit des Berliner Bühnenschiedsgerichtes
war tatsächlich nicht gegeben, weil eine Voraussetzung derselben
die Mitgliedschaft des Autors an einer Schriftstellerorgani
sation ist. Ich lege die Nachrichten der Zentralstelle derBühnenautoren und -verleger G.m.b.H. vom 22. April 1932 vor,
in welchen ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht wird, dass in
Oesterreich wohnende Autoren Mitglied der Genossenschaftdramatischer Schriftsteller und Komponisten in Wien sein müssen,
um die Zuständigkeit eines Bühnenschiedsgerichtes zu begründen.


Wenn nun aus irgend einem Grunde sich die Vereinbarung
auf Bühnenschiedsgerichtsbarkeit als ungültig erweist, so muss
den Parteien trotz dieser Vereinbarung der ordentliche Rechts
weg offen stehen.


Die Klagebeantwortung meint, die Klausel des § 9 des
Aufführungsvertrages vom 23. Mai 1929 „Erfüllungsort Wien
sei ein „Unding, weil nach der Absicht der Parteien und nach
den Bestimmungen des Vertrages der Vertrag seitens der
Beklagten in Frankfurt a/Main zu erfüllen war“, während das
„was der klägerische Verlag offenkundig mit diesem Para
graphen habe erreichen wollen, die Vereinbarung des Gerichts
standes Wien gewesen sei.“ Man kann an und für sich nicht
behaupten, dass eine Vertragsbestimmung ein „Unding“ ist,
der Vertrag wurde so geschlossen, und es ist nun Aufgabe des
Gerichtes, festzustellen, was die Parteien mit dieser Verein
barung beabsichtigten. Es ist nun klar, dass die Klausel
„Erfüllungsort Wien“ die Absicht dartut, die Beklagte
zu veranlassen, ihre Zahlungen in Wien zu leisten, denn dass
die Aufführung in Frankfurt a/Main und nicht in Wien statt
finden sollte, kann einem Zweifel wohl nicht unterliegen.
Wenn es aber die Absicht der Parteien war, dass der Vertrag
im Zahlungspunkte in Wien zu erfüllen ist, und diese unver
kennbare Absicht wurde ja eben vertragsmässig festgesetzt, so
ist damit der Gerichtsstand gemäss § 88 JN gegeben.


II, ad 1.) Die Beklagte behauptet, sie habe das im
Schreiben des Anwalts der klagenden Partei vom 3. März 1931
gestellte Vertragsanbot innerhalb der Erklärungsfrist nicht
mit einem vorbehaltlosen „einverstanden“ beantwortet, sondern
mit einer neuen Offerte. Dies ist unrichtig. Mit Schreibenvom 12. März 1931 gibt die Beklagte bekannt, dass sie „das
Schreiben vom 3. März erhalten habe und sich damit einver
standen erkläre Karl Kraus’ „Die Unüberwindlichen“ in der
nächsten Spielzeit herauszubringen und den definitiven
Aufführungstermin zwei Monate vorher mitzuteilen“. Es ist
kein Zweifel, dass die Beklagte sich in diesem Brief mit
dem Inhalt des Schreibens vom 3. März 1931 vollständig ein
verstanden erklärt, und dass dieser kein neuerliches Angebot
darstellt, da sie ja zwischen beiden Möglichkeiten,
Aufführung im April 1931 oder im Herbsttermin 1931 mit der
verlangten günstigen Theaterzeit die zweite Möglichkeit ge
wählt hatte. Dass die Beklagte den Termin Oktober bis Dezember
für die Aufführung im Auge hatte, geht auch aus dem zweiten
Absatz des Schreibens vom 12. März 1931 hervor, in dem sie
ankündigte, sie werde „sich erlauben, im Herbst nochmals um
freundliche Ueberlassung der Partitur zu bitten.“ Offenbar
hat die Beklagte hinterher sich eine Ausrede konstruieren
wollen und dazu ihr Schreiben vom 12. März 1931 verwendet.
Andernfalls bliebe nichts übrig als anzunehmen, dass die beklagte Partei schon bei Abfassung des Schreibens dolos
undeutlich war, um sich daraus einmal eine Ausrede zu schaf
fen, was sie aber gleichfalls zu verantworten hätte.


Uebrigens wäre die Konventionalstrafe auch dann
verfallen gewesen, wenn man die Ansicht der beklagten Partei
teilte, weil diese den definitiven Aufführungstermin nicht
zwei Monate vorher bekanntgegeben hat. Es ist unrichtig, dass
der Sinn und Zweck der vorherigen Bekanntgabe der Aufführung
mit einem Zeitraum von zwei Monaten vor derselben nur war,
dem Autor die Möglichkeit der Teilnahme an der Probenarbeit
zu bieten. Es wird auf die Schreiben vom 5. Februar 1930
(Beilage 13), 13. Juni 1930 (Beilage 19), 11. Juli 1930 (Bei
lage 22). 22. Dezember 1930 (Beilage 23) und 30. Jänner 1931
(Beilage 26) hingewiesen, aus denen hervorgeht, dass in Ver
bindung mit der Aufführung des Stückes Vorlesungen in
Frankfurt a/Main und in benachbarten Städten geplant waren.
– um deren Veranstaltung die Beklagte sich sogar zweimal
selbst beworben hat –, die nur dann abgehalten werden konn
ten, wenn der Aufführungstermin so rechtzeitig bekanntgege
wurde, dass diese Veranstaltungen noch in die Wege gelei
tet werden konnten. Es ist also auch weiters unrichtig, dass
nur für diesen Fall (Möglichkeit der Teilnahme an der Proben
arbeit) diese zweimonatige Frist vereinbart und für die
Nichteinhaltung dieser Bestimmung die Konventionalstrafe
von RM 2.000,– bedungen wurde. Es ist daher absolut nicht
„sinnlos“, schon zwei Monate vor der Frankfurter Aufführung,
selbst wenn diese durch das Leipziger Komödienhaus hätte er
folgen dürfen, den Autor von dem Aufführungstermin zu ver
ständigen.


Richtig ist, und das wurde auch in der Klage schon
ausgeführt, dass die Beklagte eine Aufführung durch das
Leipziger Komödienhaus veranstaltete, die aber keine Erfüllung,
sondern einen Bruch des Vertrages bedeutet. Mit dieser Auffüh
rung wollte sie sich eben ihrer Verpflichtung entziehen. Zu
einer solchen Aufführung war die Beklagte, wie unten ausgeführt
werden soll, nicht berechtigt, wenn auch der Autor selbst das
Ensemble des Leipziger Komödienhauses einstudierte und dessen
Spielart vor der faktischen Aufführung in Frankfurt a/Main am
10. Februar 1932 genau kannte. Die Beklagte fühlte auch selbst,
dass sie zu dieser Aufführung nicht berechtigt sei, denn sie
fragte vorher, nämlich im Schreiben vom 15. Dezember 1931
(Beilage 36), ausdrücklich an, wie sich die klagende Partei
dazu stellen würde. Mit Schreiben vom 30. Dezember 1931 (Beilage
40) hat unser Anwalt die Ersatzaufführung durch das LeipzigerKomödienhaus ausdrücklich abgelehnt, nachdem er am 18. Dezember
1931 (Beilage 37) selbstständig, da Herr Kraus verreist war,
Bedenken bezüglich der Möglichkeit ausgesprochen hatte, mit
einem Gastspielensemble das Stück so oft herauszubringen,
als es der eventuelle Erfolg verlangte. Bedenken, die aller
dings die beklagte Partei im Schreiben vom 24. Dezember 1931
zu zerstreuen versuchte. Mit diesem Plan und ebenso mit dem
Versuch einer Beruhigung ist die Beklagte zuerst hinterhältig
hierauf lügenhaft vorgegangen da es keinen Theaterpraktiker
auf der Welt geben kann, der es für möglich hielte, auch den
grössten Erfolg mit einem zugereisten Ensemble von etwa
dreissig Personen, das doch ungeheuer viel Geld kostet, durch
zuhalten. Es war absolut klar, dass die Beklagte nie an etwas
anderes als an ein einmaliges Gastspiel gedacht hat, jeder
Versuch der Bestreitung war das, was man Blödmacherei nennt,
und aus dem Telegramm der Beklagten an das Leipziger Komödienhaus (Abschrift wird beigelegt), das uns ein Glücksfall in die
Hände gespielt hat, geht mit nicht zu überbietender Deutlich
keit hervor, dass von vorneherein ein einmaliges Gastspiel
geplant war, und nicht einmal der Versuch einer einmaligen
Wiederholung im Erfolgsfalle, weil eben derselbe HerrKronacher, der sich enthusiastisch um das Werk beworben hatte,
aus allen möglichen Gründen, die keineswegs eine vis major
gegenüber dem Vertrage darstellen, sich dessen Verpflichtungen
entziehen wollte, ein Vorgehen, wie es selbst in der Bühnen
sphäre als einer Sphäre notorischer Laxheit in ethischen Dingen
einzigartig ist und darum auch das Staunen der Fachleute
erregt hat.


Beweis: Zeuge Heinrich Fischer. Direktorstellvertreter des
Münchener Schauspielhauses in München, Bert Brecht, Schrift
steller in Berlin-Charlottenburg, Hardenbergstrasse 1 a, der
auch die erste enthusiastische Bewerbung des Herrn Kronacher
(bei der Dresdener Uraufführung, welcher Herr Kronacher
beiwohnte) Herrn Kraus übermittelt hat. Aber von all dem abge
sehen, wäre die Abwesenheit des Autors bei der Probenarbeit
notwendig gewesen, da es sich erwiesen hat, wie die Beklagte
gesonnen war, mit Werk und Text zu verfahren, indem sie sich
vertragswidrig und eigenmächtig Uebergriffe herausnahm, da
sie nämlich selbst während jener einmaligen Vorstellung (im
Zwischenakt) Striche und Sprünge im Stück vom LeipzigerEnsemble verlangte.


Beweis: Kurt Meister, Leipzig, Comeniusstrasse 19/1 (Schauspie
ler), Schauspieler Peter Ihle, Berlin-Charlottenburg.Savignyplatz 9/10 als Zeugen.


Ad 2.) Es ergibt sich also schon aus den Ausführungen
unter 1.) dass das Begehren der Konventionalstrafe sowohl wegen
nicht fristgerechter Aufführung als auch wegen nicht fristge
rechter Verständigung begründet ist, und da diese Verständigung
ausbedungen war, so musste sie von der beklagten Partei vorge
nommen werden, selbst wenn Sachverständige, denen an der Reinheit
des Stils einer Aufführung und Einflussnahme des Autors auf die
selbe wenig gelegen ist, die Ueberflüssigkeit der Verständigung
behaupten würden, zumal da, wie oben erwähnt wurde, die Verstän
digung nicht ausschliesslich den Zweck haben sollte, dem Autor
die Teilnahme an den Proben, sondern auch ihm die Abhaltung
von Vorlesungen zu ermöglichen. Ebenso überflüssig erscheint die
Einvernahme des Herrn Direktors Dr. Kronacher und die Einver
nahme des Herrn Regisseurs Paul Verhöven als Zeugen über die
Tatsache, dass der Autor über die Aufführung des LeipzigerKomödienhauses völlig im Bilde und mit dieser Aufführung im
Grossen und Ganzen einverstanden war, da das im Bilde-Sein für
einen anderen Zeitpunkt, das Einverständnis für eine andere
Stadt und andere Umstände gegeben war und die Leipziger Auf
führung keineswegs den Frankfurter Verhältnissen entsprach,
wo sie auch abfiel, was der Autor voraussah, der seine
Meinung durch seinen Anwalt im Schreiben vom 30. Dezember 1931 klar
zum Ausdruck brachte, dass diese Aufführung „ehrliches Bestre
ben zeigte und manches Gute bot“, was aber gewiss nicht aus
reichte, um den Anforderungen des Autors für eine Aufführung
in Frankfurt am Main zu genügen.


Was übrigens Herr Verhöven, der die Dresdener
Uraufführung geleitet hat, über die Zufriedenheit des HerrnKraus mit der Leipziger Aufführung aussagen soll, und wie er
dazukommt, eine Forderung von Mk 1.500.– für Leipziger
Eingriffe, die niemals erhoben wurde, zu behaupten, ist
schlechthin mysteriös. Es handelt sich der Beklagten offen
sichtlich darum, durch Nennung eines beliebigen Zeugen, der
zwar völlig ahnungslos, aber bei ihr engagiert ist, den Sach
verhalt zu verdunkeln. Die klagende Partei nimmt an, dass HerrVerhöven von dem Plan seines Direktors, ihn als Zeugen zu
führen, nicht unterrichtet ist, und könnte nicht annehmen, dass
sein Abhängigkeitsverhältnis ihn bestimmen könnte, über
Tatsachen, die nicht bestehen oder von denen er keine Ahnung
haben kann, irgend etwas auszusagen.


Die beklagte Partei bekämpft den Anspruch auf
Konventionalstrafe bezüglich der Höhe derselben mit einer
Begründung, die geradezu als absurd bezeichnet werden muss.
Sie verweist auf die Schwierigkeiten, mit denen sie „tatsächlich“
die Aufführung durchsetzen musste, und auf den Schaden, den sie
hiedurch erlitten habe. Worin diese Schwierigkeiten bestanden,
wird allerdings nicht ausgeführt. Den Schaden aber, den die
Bühnenleitung erlitten hat, hat sie sich selbst zuzuschreiben,
weil sie das Stück eben nicht mit ihrem Ensemble in ent
sprechender Weise zur Aufführung brachte. Ihre Behauptung,
dass die bare Tageseinnahme der Aufführung durch das LeipzigerKomödienhaus den Betrag von RM 141,65 brachte, ist aber
eine grosse Unwahrheit, denn nach der eigenen Tantiemen
verrechnung der beklagten Partei wurde eine Einnahme von
RM 951,97 erzielt. Die Klagebeantwortung meint, dass das
Stück auch dann nicht vor einem Misserfolg zu bewahren gewesen
wäre, wenn es mit den Kräften des Frankfurter Schauspielhauses
unter Mitwirkung des Autors einstudiert worden wäre, wofür der
Grund in der bedauerlichen Tatsache liege, dass der Autor in
völliger Verkennung der vielen Faktoren, von welchen die
Führung eines Theaters abhängig ist, auf die Aufführung seines
Stückes bestanden habe. Nach diesen Ausführungen, wenn sie
überhaupt einen logischen Sinn hätten, müsste man meinen, dass
der Autor der beklagten Partei das Stück aufgedrängt habe und
diese sich nur widerwillig zur Annahme des Stückes bewegen
habe lassen. Demgegenüber verweisen wir auf das Telegramm vom6.5.1929, laut welchem der Intendant der beklagten Partei,
Herr Dr. Kronacher, derselbe Herr Dr. Kronacher, der dann
nichts unterliess, um seine Verpflichtungen nicht erfüllen
zu müssen, sich um das Aufführungsrecht bewarb.


Obwohl dies mit der streitgegenständlichen Sache
nichts zu tun hat, muss doch die falsche Behauptung zurückge
wiesen werden, dass der Autor sich vom Leipziger Komödienhaus
für jede Aenderung in der Inszenierung eine Vertragsstrafe von
RM 1.500.– habe versprechen lassen, sondern es war nur, wie in
jedem von Herrn Karl Kraus geschlossenen Aufführungsvertrag
vorgesehen, dass Aenderungen nicht ohne seine Genehmigung er
folgen dürfen. Dass Bühnenleiter sieh herausnehmen wollen,
über das geistige Gut eines Autors nach ihrem Belieben zu
verfügen, und etwa eine auf ein Zuwiderhandeln gesetzte
Konventionalstrafe als Verstoss gegen die guten Sitten bezeich
nen, ist schon ein Kapitel für sich, das nur in einer ungeis
tigen Zeit mit dem Mut der Ueberzeugung vorgebracht werden
kann. Wenn die beklagte Partei schon bei Vertragsabschluss
sowie jetzt in der Klagebeantwortung die groteske Absicht
gehabt hat, in einer „freien Inszenierung“ mit dem Stück zu
machen, was sie wolle, so hätte sie das vor Vertragsabschluss
sagen müssen. Es wäre natürlich grotesk, zu vermuten, dass
Herr Karl Kraus aus irgend welchen Gründen in den Plan eines
solchen Unfugs eingewilligt hätte. Da sie den Vertrag vorbe
haltlos annahm, dass Kürzungen nur mit Genehmigung des Autors
vorgenommen werden dürfen, so ist dieser ihr Gedanke, der
angeblich bei der Annahme des Stückes im Mai 1929 ausschlag
gebend war, uninteressant. Die Frage, ob Aenderungen hätten
vorgenommen werden dürfen, für welche der Autor seine Zustim
mung nach Treu und Glauben nicht versagen darf, könnte nur
dann aufgeworfen werden, wenn es sich um solche Aenderungen
gehandelt hätte, und nicht, wie Herr Dr. Kronacher selbst
zugibt, um eine „freie Inszenierung“, nämlich um eine grund
stürzende Aenderung des Werkes, wie sie Herr Dr. Kronacher
den veränderten Zeitumständen angepasst findet. Die Frage der
Aenderung wurde aber niemals aufgeworfen. Der Autor wäre der
Letzte, der sich berechtigten Aenderungsvorschlägen entgegen
stellte, aber es wurden niemals solche gemacht, es war nie
von solchen auch nur die Rede, und die Beklagte beklagt sich
über einen Widerstand des Autors, der überhaupt niemals auf
die Probe gestellt wurde. Auf die Frage einzugehen, ob bei
völlig veränderten politischen oder sonstigen Verhältnissen
„nach Treu und Glauben“ der Autor die Einhaltung des Vertrages
nicht mehr verlangen darf, ist nicht notwendig, da die beklagte Partei das Stück ja aufgeführt, allerdings vertragswidrig
aufgeführt hat. Müsste man grundsätzlich auf die Frage ein
gehen, ob ein Aufführungsvertrag rebus sic stantibus geschlos
sen werde, so wäre sie zu verneinen, und diesen Standpunkt hat
ja auch die beklagte Partei anerkannt, indem sie das Stück
aufführte, nachdem sie auch niemals vorher diesen Einwand er
hoben hatte, der sie angeblich von der Verpflichtung befreien
würde. Die Erklärung: „Die reichsdeutschen Bühnen sind nicht
bestimmt, Wiener Skandalaffären des Jahres 1927 wortgetreu
ihrem verständnislosen Publikum vorzusetzen“ ist einfach eine
Ungeheuerlichkeit: in logischer Hinsicht aus dem Grunde, weil
durch eine Abweichung von der „Worttreue“, also durch eine
Aenderung des Wortlauts, deren Vornahme oder Genehmigung doch
wohl ausschliesslich Sache des Autors wäre, nicht das geringste
an dem Inhalt der „Wiener Skandalaffäre“ geändert werden könnte,
im Meritorischen aus dem Grunde, weil doch eben dieser Inhalt,
der nur durch eine Austauschung des Stückes zu beseitigen wäre,
von der Beklagten zur Aufführung angenommen wurde, ganz gewiss
in der zutreffenden Erkenntnis, dass dieser Inhalt eben nicht
der von Skandalaffären sei, die ja schon im Jahre 1927 – für
welchen Zeitpunkt die Frankfurter Aufführung ja gar nicht ge
plant sein konnte – für keine reichsdeutsche Bühne Attraktion
gehabt hätte, vielmehr, dass eben der Inhalt des Werkes, wie
übereinstimmend von einer ernstzunehmenden Beurteilung festge
stellt wurde, ein allgemein gültiger sei. Wären der Inhalt des
Stückes „Wiener Skandalaffären des Jahres 1927“, so hätte nicht
das Werk viel später in Dresden, Berlin und Leipzig aufgeführt
werden können und hätte nicht bei der Uraufführung (1929) den
Leiter einer reichsdeutschen Bühne, nämlich den Herrn Dr. Kro-
nacher, „bestimmt“, sich um das Werk für einen noch viel späte
ren Zeitpunkt zu bewerben. Aber auch schon in jenem Zeitpunkt
war vorauszusehen – und tatsächlich auch zu lesen –, dass das
Werk bei einer persönlich und politisch gehässigen Presse,
auf deren völlig belangloses Urteil sich die Beklagte durch
Zeitungsausschnitte berufen möchte, Widerstand erregen werde.
Aber offenbar hat Herr Dr. Kronacher, als er sich um die
Aufführung bewarb, nicht nur die damals schon vorliegenden
alldeutschen Gehässigkeiten, sondern vor allem auch die gerade
zu hymnischen Artikel der überwiegenden Mehrzahl deutscher
Zeitungen zu Gesicht bekommen, deren Begeisterung ihm vielleicht
um so grösseren Eindruck machte, als diese Urteile trotz der
notorischen Pressefeindschaft des Autors abgegeben wurden.
Wenn die Beklagte Frankfurter Angriffe, die doch gewiss nicht
juristische Verträge lösen können, vorlegen will, so möge sie
auch nicht versäumen, den enthusiastischen Artikel der„Frankfurter Zeitung“, (zu der der Autor in keinerlei Bezie
hung steht), vorzulegen.


Die Konventionalstrafe vom RM 2.000.– deckt bei
weitem nicht den Schaden, der dem Autor durch die ruinöse
Aufführung des Stückes mit einem entliehenen Ensemble wie
auch insbesondere durch den Entgang der Vorlesungen erwachsen
ist. Die Minderung derselben wäre daher unberechtigt.


Ad 3.) Es ist die Frage zu entscheiden, ob ein
Theater seine Aufführungsverpflichtung durch ein Gastspielen
semble erfüllen kann. Es handelt sich nach der Ansicht der
klagenden Partei bei einem Aufführungsvertrag um höchst persön
liche Verpflichtungen, die nicht durch Andere vorgenommen
werden können. Der Autor eines Stückes, der es an ein Theater
vergibt, macht sich einen bestimmten Plan von der Aufführung
in einer in Deutschland führenden Theaterstadt, der einge
halten werden muss, da von dieser Aufführung das weitere
Schicksal des Stückes abhängig ist. Ebenso wenig wie ein
kontraktlich verpflichteter Schauspieler sich durch einen
Ersatzmann vertreten lassen darf, darf sich eine Bühne durch
ein anderes Ensemble bei der Erfüllung ihrer Verträge
vertreten lassen. Darüber kann wohl kein Zweifel bestehen,
und die Beklagte hat ja auch durch ihre ursprüngliche Anfrage
dargetan, dass sie sich der Verpflichtung bewusst war, die
Entscheidung des Autors einzuholen. Wenn sie gegen diese
gehandelt hat, so hat ihre Eigenmächtigkeit nicht als
Vertragserfüllung zu gelten.


Um den weiteren Ausführungen der Beklagten in Bezug
auf das Feststellungsbegehren Rechnung zu tragen, wird das
Eventualbegehren auf Fällung des Urteiles gestellt:
Die beklagte Partei sei schuldig, das Stück „Die Unüberwindlichen“ in der nach der Rechtskraft des Urteiles nächsten
Spielzeit in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember, jedoch
nicht in der Zeit zwischen 8. und 21. Dezember aufzuführen.


Ad 4.) Das Begehren auf Rechnungslegung wurde bereits
bei der ersten Tagsatzung fallen gelassen, weil die Rechnungs
legung inzwischen, datiert vom 6. Mai 1932, erfolgt war;
da sie aber der klagenden Partei erst nach Einbringung der
Klage zukam, so war die Klage auch in diesem Punkte möglich nötig .


Karl Kraus


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