1 U 186/29/3
Im Namen der Republik!
Das Strafbezirksgericht I in Wien
als Pressegericht hat heute in
Gegenwart des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek, des Angeklag
ten Josef Koller und des Verteidigers Dr. Fritz Oberländer über
die Anklage verhandelt, die der Privatankläger Karl
Kraus
gegen Josef Koller, 43 Jahre alt, verheiratet,
verantwortlicher
Schriftleiter der Zeitung: „Der Tag“ wegen der Uebertretung nach § 24(2) 3
Pressgesetz erhoben hatte und über den vom Ankläger gestellten
Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten und
Verpflichtung zur Veröffent
lichung der Berichtigung in
der Zeitung: „Der Tag“ zu Recht erkannt:
I. Es wird festgestellt, von
der Berichtigung, die der Privatankläger
mit Bezug auf den in der Nummer 2282 der Zeitung: „Der Tag“ vom 7. Mai
1929 mit der Ueberschrift:
„Theaterskandal in Dresden“ abgedruckten
Artikel dem verantwortlichen
Schriftleiter Josef
Koller der
erwähnten Zeitung zur Veröffentlichung zukommen ließ,
ist zu veröffent
lichen
Sie schreiben: „Zwei Akte
waren anstandslos gespielt worden,
als dem Publikum
mitgeteilt wurde, daß Camillo Castiglioni
gegen die Verwendung einer Figur, durch die er verkörpert
werden sollte, Einspruch erhoben habe und daß
diesem Einspruch stattgegeben worden sei.
Ein Schauspieler trat
dann vor die Rampe und erzählte den In
halt des dritten
Aktes.“ Die Behauptung, daß dem Publikum mitge
teilt wurde, einem Einspruch
des Herrn Castiglioni sei stattge
geben worden, ist unwahr.
Wahr ist, daß eine solche Mitteilung
dem Publikum nicht gemacht
wurde. Wahr ist, daß dem Publikum mit
geteilt wurde, daß eine
lebende Person, die sich in einer Figur
zu erkennen glaubte, die
Veranstalter der Aufführung mit der
Einbringung einer
einstweiligen Verfügung habe bedrohen lassen,
wenn nicht jede Beziehung
auf sie eliminiert würde.
Sie schreiben: „Während die
Sozialdemokraten applaudierten, be
gannen die Bürgerlichen
ein Pfeifkonzert und war-
fen
Stinkbomben.“ Diese Behauptung ist unwahr.
Wahr ist, daß während der
Schauspieler vor die Rampe trat, um
dem Publikum die Weglassung
des dritten Aktes mitzuteilen, ein
Zuschauer den Namen „Castiglioni“ rief,
worauf eine oder zwei
Personen pfiffen und ein Mann eine übelriechende Flüssigkeit ver
schüttete.
Sie schreiben: „Unter
allgemeinen Lärm konnte die Vorstellung
schließlich doch zu Ende
geführt werden.“ Diese Behauptung ist
unwahr. Wahr ist, daß bei
der fortgesetzten Vorstellung an kei
ner einzigen stelle Lärm
entstand und die Vorstellung in keiner
Weise gestört wurde.
II. Josef Koller wird verpflichtet, diesen Teil der Berichtigung
in der nächsten oder
zweitnächsten Nummer die nach Verkündigung des
Urteiles erscheinen wird in
demselben Teil der genannten Zeitung
und
in der gleichen
Schrift, wie die zu berichtigende Mitteilung zu ver
öffentlichen, widrigenfalls
die genannte Zeitung nicht mehr
erscheinen
dürfte.
III. Josef Koller wird von der Anklage wegen Uebertretung nach
§ 23
und § 24 (2) 3 Pressgesetz, angeblich begangen dadurch, daß er als ver
antwortlicher
Schriftleiter der genannten Zeitung sich
grundlos weige
gerte, die vorerwähnte Berichtigung zu veröffentlichen, gemäß § 259/3St.P.O.
freigesprochen.
IV. Der Privatankläger Karl Kraus hat gemäß § 390 St.P.O. die Kosten
des Strafverfahrens zu
tragen.
Entscheidungsgründe:
Durch das Impressum, bzw.
die Angaben des Beschuldigten ist erwiesen,
daß Beschuldigter in der in Betracht kommenden Zeit der
verantwortliche
Schriftleiter der Zeitung: „Der Tag“ war, daß er das in Betracht kommende
Berichtigungsschreiben vom 13./5.1929 erhalten hat und
daß seit Erhalt
desselben
mehr als zwei Nummern der genannten Zeitung erschienen sind,
die verlangte Berichtigung aber nicht veröffentlicht wurde.
Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung des Beschuldigten, die
verlangte Berichtigung zu veröffentlichen, grundlos war.
Das Gericht ist der Ansicht, daß die gegenständliche Berichtigung in einigen
Belangen dem Pressgesetz nicht entspricht.
Entgegen der Einwendung des
Beschuldigten kommt dem Privatankläger die Stellung
eines Beteiligten im Sinne des § 23 Pressgesetz
zu, da der Autor eines Theaterstückes ein Interesse an der Aufnahme
seines Werkes seitens der
Zuhörer hat.
Die Berichtigung entspricht aber dem Pressgesetz insoferne
nicht,
als berichtigt
wird: „Wahr ist, daß einem solchen
Ein
spruch nicht stattgegeben wurde und
…“
Zu dieser Antithese fehlt
die bezügliche Behauptung in dem berich
tigten Aufsatze. In dem berichtigten Aufsatze wurde behauptet, daß dem
Publikum mitgeteilt wurde, daß … Einspruch erhoben
und demselben stattgegeben
wurde. Es kann daher diesbezüglich ledig
lich berichtigt werden, daß
dies nicht mitgeteilt wurde; der Inhalt
der Mitteilung aber
konnte nicht berichtigt werden.
Weiters ist in der
berichtigten Mitteilung nichts
enthalten,
was den Satz
der Berichtigung: „Wahr ist, daß der dritte Akt schon
auf die Drohung mit der
Einbringung der einstweiligen Verfügung hin
ausgelassen
wurde.“ rechtfertigen könnte.
Es war daher die Berichtigung auch in diesem Belange nicht
gesetzesgemäß.
Insoweit der Hergang der
Störung berichtigt wurde, entspricht
die Berichtigung den pressgesetzlichen Bestimmungen, da
berichtigt
wurde, daß die
in dem berichtigten Aufsatze mitgeteilten Störungen
in anderer Weise erfolgten.
Da die verlangte Berichtigung – wie früher ausgeführt – auch
Stellen enthielt, die keine
Mitteilung
Berichtigung
mitgeteilter Tatsachen sind,
war der Beschuldigte berechtigt, die Veröffentlichung der Berichtigung ihrem ganzen
Umfange nach abzulehnen, seine Weigerung war nicht
grundlos, weshalb mit einem
Freispruch vorzugehen, jedoch gemäß § 24(3) PrG.
festzustellen war, was von der verlangten Berichtigung zu
veröffentlichen ist und
dieser Feststellung gemäß auf Veröffentlich-
chung zu erkennen.
Der Ausspruch über die
Kosten stützt sich zur § 390 St.P.O.