Der TagDie Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier AktenDer Tag, 7.5.1929Theaterskandal in Dresden


1 U 186/29/3


Im Namen der Republik!


Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in
Gegenwart des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek, des Angeklag
ten Josef Koller und des Verteidigers Dr. Fritz Oberländer über die Anklage verhandelt, die der Privatankläger Karl Kraus
gegen Josef Koller, 43 Jahre alt, verheiratet, verantwortlicher
Schriftleiter der Zeitung: „Der Tag“ wegen der Uebertretung nach § 24(2) 3 Pressgesetz erhoben hatte und über den vom Ankläger gestellten
Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten und Verpflichtung zur Veröffent
lichung der Berichtigung in der Zeitung: „Der Tag“ zu Recht erkannt:
I. Es wird festgestellt, von der Berichtigung, die der Privatankläger
mit Bezug auf den in der Nummer 2282 der Zeitung: „Der Tag“ vom 7. Mai
1929 mit der Ueberschrift: „Theaterskandal in Dresden“ abgedruckten
Artikel dem verantwortlichen Schriftleiter Josef Koller der
erwähnten Zeitung zur Veröffentlichung zukommen ließ, ist zu veröffent
lichen


Sie schreiben: „Zwei Akte waren anstandslos gespielt worden,
als dem Publikum mitgeteilt wurde, daß Camillo Castiglioni gegen die Verwendung einer Figur, durch die er verkörpert
werden sollte, Einspruch erhoben habe und daß
diesem Einspruch stattgegeben worden sei.
Ein Schauspieler trat dann vor die Rampe und erzählte den In
halt des dritten Aktes.“ Die Behauptung, daß dem Publikum mitge
teilt wurde, einem Einspruch des Herrn Castiglioni sei stattge
geben worden, ist unwahr. Wahr ist, daß eine solche Mitteilung
dem Publikum nicht gemacht wurde. Wahr ist, daß dem Publikum mit
geteilt wurde, daß eine lebende Person, die sich in einer Figur
zu erkennen glaubte, die Veranstalter der Aufführung mit der
Einbringung einer einstweiligen Verfügung habe bedrohen lassen,
wenn nicht jede Beziehung auf sie eliminiert würde.


Sie schreiben: „Während die Sozialdemokraten applaudierten, be
gannen die Bürgerlichen ein Pfeifkonzert und war-
fen Stinkbomben.“ Diese Behauptung ist unwahr.
Wahr ist, daß während der Schauspieler vor die Rampe trat, um
dem Publikum die Weglassung des dritten Aktes mitzuteilen, ein
Zuschauer den Namen „Castiglioni“ rief, worauf eine oder zwei
Personen pfiffen und ein Mann eine übelriechende Flüssigkeit ver
schüttete.


Sie schreiben: „Unter allgemeinen Lärm konnte die Vorstellung
schließlich doch zu Ende geführt werden.“ Diese Behauptung ist
unwahr. Wahr ist, daß bei der fortgesetzten Vorstellung an kei
ner einzigen stelle Lärm entstand und die Vorstellung in keiner
Weise gestört wurde.


II. Josef Koller wird verpflichtet, diesen Teil der Berichtigung
in der nächsten oder zweitnächsten Nummer die nach Verkündigung des
Urteiles erscheinen wird in demselben Teil der genannten Zeitung und
in der gleichen Schrift, wie die zu berichtigende Mitteilung zu ver
öffentlichen, widrigenfalls die genannte Zeitung nicht mehr erscheinen
dürfte.


III. Josef Koller wird von der Anklage wegen Uebertretung nach § 23
und § 24 (2) 3 Pressgesetz, angeblich begangen dadurch, daß er als ver
antwortlicher Schriftleiter der genannten Zeitung sich grundlos weige
gerte, die vorerwähnte Berichtigung zu veröffentlichen, gemäß § 259/3St.P.O. freigesprochen.


IV. Der Privatankläger Karl Kraus hat gemäß § 390 St.P.O. die Kosten
des Strafverfahrens zu tragen.


Entscheidungsgründe:


Durch das Impressum, bzw. die Angaben des Beschuldigten ist erwiesen,
daß Beschuldigter in der in Betracht kommenden Zeit der verantwortliche
Schriftleiter der Zeitung: „Der Tag“ war, daß er das in Betracht kommende
Berichtigungsschreiben vom 13./5.1929 erhalten hat und daß seit Erhalt
desselben mehr als zwei Nummern der genannten Zeitung erschienen sind,
die verlangte Berichtigung aber nicht veröffentlicht wurde.


Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung des Beschuldigten, die
verlangte Berichtigung zu veröffentlichen, grundlos war.


Das Gericht ist der Ansicht, daß die gegenständliche Berichtigung in einigen Belangen dem Pressgesetz nicht entspricht.


Entgegen der Einwendung des Beschuldigten kommt dem Privatankläger die Stellung eines Beteiligten im Sinne des § 23 Pressgesetz
zu, da der Autor eines Theaterstückes ein Interesse an der Aufnahme
seines Werkes seitens der Zuhörer hat.


Die Berichtigung entspricht aber dem Pressgesetz insoferne nicht,
als berichtigt wird: „Wahr ist, daß einem solchen Ein
spruch nicht stattgegeben wurde und
…“


Zu dieser Antithese fehlt die bezügliche Behauptung in dem berich
tigten Aufsatze. In dem berichtigten Aufsatze wurde behauptet, daß dem
Publikum mitgeteilt wurde, daß … Einspruch erhoben
und demselben stattgegeben wurde. Es kann daher diesbezüglich ledig
lich berichtigt werden, daß dies nicht mitgeteilt wurde; der Inhalt
der Mitteilung aber konnte nicht berichtigt werden.


Weiters ist in der berichtigten Mitteilung nichts enthalten,
was den Satz der Berichtigung: „Wahr ist, daß der dritte Akt schon
auf die Drohung mit der Einbringung der einstweiligen Verfügung hin
ausgelassen wurde.“ rechtfertigen könnte.


Es war daher die Berichtigung auch in diesem Belange nicht
gesetzesgemäß.


Insoweit der Hergang der Störung berichtigt wurde, entspricht
die Berichtigung den pressgesetzlichen Bestimmungen, da berichtigt
wurde, daß die in dem berichtigten Aufsatze mitgeteilten Störungen
in anderer Weise erfolgten.


Da die verlangte Berichtigung – wie früher ausgeführt – auch
Stellen enthielt, die keine Mitteilung Berichtigung mitgeteilter Tatsachen sind,
war der Beschuldigte berechtigt, die Veröffentlichung der Berichtigung ihrem ganzen Umfange nach abzulehnen, seine Weigerung war nicht
grundlos, weshalb mit einem Freispruch vorzugehen, jedoch gemäß § 24(3) PrG. festzustellen war, was von der verlangten Berichtigung zu
veröffentlichen ist und dieser Feststellung gemäß auf Veröffentlich-
chung zu erkennen.


Der Ausspruch über die Kosten stützt sich zur § 390 St.P.O.


Wien, am 28. Mai 1929.
Kahlert


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