Sehr geehrter Herr Kollege!
Nach der reichsdeutschen
Rechtslehre stellt eine Be
leidigung den Tatbestand einer
unerlaubten Handlung dar, gegen
über welcher der Verletzte auf
Unterlassung klagen kann, wenn die
Beleidigung in ihren Folgen fortwirkt und wenn Wiederholungen
zu befürchten sind. Die
Wiederholungsgefahr wird im allgemeinen,
wenn erst einmal eine Beleidigung
gefallen ist, bejaht. Auch die
Berichtigung, die das Blatt nach § 11 PressG. gebracht hat, be
seitigt nicht die
Wiederholungsgefahr, da die Berichtigung abge
druckt werden muss, einerlei ob der Schriftleiter sie für zu
treffend hält oder nicht.
Man könnte also im
Zivilverfahren auf Unterlassung
der fraglichen Behauptung
klagen. Man kann aber nach dem Stand
punkt des Reichsgerichts
auch auf Zurücknahme der beleidigenden
Äusserung antragen und
braucht in diesem Fall nicht Wiederho
lungsgefahr zu behaupten.
Herr Kraus hatte in seinem Brief an
mich vom 21.
Mai Klage auf Widerruf angeregt. Mit dieser Klage
würden wir also aller
Voraussicht nach durchkommen. Auch hier
ist natürlich die
pressgesetzlich vorgeschriebene Berichtigung
nicht als Rücknahme der
Beleidigung anzusehen, weil die Berich
tigung zwangsmässig erfolgt.
Ich würde also in diesem Fall den
Antrag dahin fassen, dass
der Schriftleiter und der Verleger
verurteilt werden, die
beanstandete Behauptung zu widerrufen.
Nach § 11 des Gerichtskostengesetzes beträgt der
Streitwert in nicht
vermögensrechtlichen Prozessen regelmässig
RM 2.000.–, kann aber
„nach Lage des Falles“ höher oder nie
driger angesetzt werden, was
für die Kostenfrage von Bedeutung
ist. Ich würde den normalen
Wert von RM 2.000.– annehmen, da
Herr Kraus an einer Erhöhung kein Interesse haben wird,
anderer
seits
ein Antrag auf Herabsetzung die Sache als für den Belei
digten weniger
wichtigerscheinen lässt, was unerwünscht ist.
Mit kolleg. Hochachtung
ELion
Nachschrift. Im vorigen
Sommer waren meine Frau und ich in
Velden mit dem Arzt Herrn Dr. Alt aus
Wien zusammen, der, wie er
uns mitteilte, mit dem
Anwalt von Herrn Kraus befreundet ist.
Ich nehme an, dass Herr Dr. Alt Sie gemeint hat und möchte Sie
zutreffendenfalls bitten,
Herrn Dr. Alt von meiner Frau und mir
bestens zu grüssen.