Hamburger Nachrichten, 8.5.1929Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier AktenDie Fackel


Abschrift


Hamburg, den 10. Juli 1929.


An das
Amtsgericht Hamburg,
Abteilung für Strafsachen.


Aktenzeichen:


Privatklage


des Schriftstellers Karl Kraus,
Wien III., Hintere Zollamtsstr. 3,
Privatklägers,


vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lion,


gegen


den Schriftleiter Otto Schabbel,
Hamburg, Speersort 11
(Hamburger Nachrichten)
Privatbeklagten.


Der Privatbeklagte wird beschuldigt, zu Hamburg
am 8. Mai 1929 in Beziehung auf den Privatkläger
eine Tatsache behauptet und verbreitet zu haben,
die den Privatkläger verächtlich zu machen und
in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen ge
eignet ist, und zwar öffentlich und durch Ver
breitung von Schriften.


Vergehen gegen §§ 185, 186, 200 StGB.


In der Abendausgabe der Hamburger Nachrichten vom
8. Mai 1929 erschien in der Abteilung für Kunst und Wissenschaft,
für die der Privatbeklagte als verantwortlicher Schriftleiter
benannt ist, eine Besprechung über die Dresdner Aufführung
eines vom Privatkläger verfassten Stücks „Die Unüberwindlichen“.
In dieser Besprechung findet sich folgender Satz:


„Es handelt sich dabei um ein Werk des viel umstritte
nen Wiener Literaten Karl Kraus, Herausgeber der
Fackel‘, der erst jüngst vor einem Plagiatsvorwurf
Otto Ernst Hesses nicht gerade rühmlich bestand.“


Die mit diesen Worten aufgestellte Behauptung, dass gegen den
Privatkläger mit Grund der Vorwurf eines Plagiats erhoben
wäre, ist unwahr. Der Kläger ist als Begründer und
Herausgeber der seit 30 Jahren erscheinenden Zeitschrift
Die Fackel“ und als Verfasser vieler Schriften weitbekannt.
Dass der Privatkläger darauf angewiesen wäre, seine Gedanken
von anderen Autoren zu entlehnen, und dass er einer derartigen
Handlung überhaupt fähig wäre, ist bei Kenntnis seiner Per
sönlichkeit eine völlig undiskutierbare Unterstellung. In Wahr
heit hat auch niemals Otto Erst Hesse dem Kläger den Vorwurf
eines Plagiats gemacht, sondern umgekehrt hat nur der Privatkläger in der „Fackel“ einmal dem Hesse nachgewiesen, dass
dieser sich durch eine Dichtung von Paul Zech hat beeinflus
sen lassen.


Das Unterfangen, einem namhaften Schriftsteller in
einer verbreiteten Zeitung eine unehrenhafte Handlung nachzu
sagen, ist verwerflich und ist im vorliegenden Fall umso un-
verantwortlicher, als hier die beanstandete Äusserung in dem
gegebenen Zusammenhang ganz überflüssig war. Denn es sollte
das Bühnenstück des Privatklägers besprochen werden, und
offenbar nur, dem bei der Presse nicht beliebten Privatkläger mit aller Gewalt etwas anzuhängen, ist der angebliche
Plagiatsvorwurf hineingebracht worden, der mit dem Thema
nichts zu tun hat.


Es wird daher beantragt, den Privatbeklagten zu
bestrafen und dem verfügenden Teil des Urteils in den
Hamburger Nachrichten bekannt zu geben.


Anbei:


1. Vollmacht
2. Strafantrag.


Für den Privatkläger:
Der Rechtsanwalt:
Dr. Lion