Karl Kraus: „Die Unüberwindlichen“Vossische Zeitung, 3.11.1928Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier AktenVossische Zeitung, 1.3.1929


Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!


in der Privatklagesache des Schriftstellers KarlKraus gegen mich möchte ich, bevor ich mich auf die Privat
klage dem Gericht gegenüber erkläre, Ihnen Folgendes unterbrei
ten:


Ich habe erst jetzt zur Vorgeschichte der infrage
stehenden Angelegenheit die Vossische Zeitung vom 3. November
1928 (No. 259) und vom 1. März 1929 (No. 51) erhalten. Aus
diesen geht hervor, dass der Referent der beanstandeten Kritik
über die Dresdner Uraufführung des von Karl Kraus verfassten
Stückes „Die Unüberwindlichen“ sich in einem Irrtum befunden
hat, da in diesen Aufsätzen von Otto Ernst Hesse (Pseudonym
Michael Gesell) Karl Kraus nicht als Plagiator hingestellt
wird, sondern als Verteidiger eines Plagiats, begangen an einem
lyrischen Gedicht, das nach der einen Version von Otto ErnstHesse, nach der anderen aber von einem Insassen der CzernowitzerLandesirrenanstalt oder von Paul Zech verfasst sein soll.


Ich stehe daraufhin nicht an, in meiner Eigenschaft


als Feuilleton-Schriftleiter der „Hamburger Nachrichten“ zu
erklären, dass die in der fraglichen Kritik veröffentlichte Be
hauptung, wonach Karl Kraus vor einem Plagiatsvorwurf Otto ErnstHesses nicht gerade rühmlich bestanden haben soll, unwahr ist,
und ich bin bereit, diese Erklärung im Feuilleton-Teil der
Hamburger Nachrichten“ zu veröffentlichen.


Es liegt weder eine böswillige noch eine fahrlässi
ge Beleidigung des Schriftstellers Karl Kraus durch mich vor; ich
habe nicht das geringste Interesse daran, Herrn Karl Kraus einer
unehrenhaften Handlung zu bezichtigen; wenn ich den Wortlaut
der mir eingesandten Kritik unseres Dresdner Mitarbeiters nicht
beanstandet habe, so geschah es deshalb, weil dieser, der vor
seiner Dresdner Tätigkeit mehrere Jahre im Redaktionsstabe der
Hamburger Nachrichten“ tätig gewesen ist, mit als eine durch
aus vertrauenswürdige Persönlichkeit hinreichend bekannt war,
als dass ich in die Glaubwürdigkeit seiner Mitteilungen auch
nur allergeringste Zweifel setzen zu müssen glaubte. Ich habe
darum diesen – Dr. phil. Egon Erich Albrecht, Pirna/Sa, Reichstr. 4
als den Autor des inkriminierten Vorwurfs bereits aufgefordert,
die Angelegenheit durch ein persönliches Schreiben an den
Schriftsteller Karl Kraus aufzuklären und beizulegen.


Da der fragliche Artikel mit „Dr. Albrecht“ ge
zeichnet war, dürfte eine ausdrückliche Zurücknahme der darin
aufgestellten Behauptung nur durch Herrn Dr. Albrecht selbst
die gewünschte Rehabilitierung bewirken, die wir gegebenenfalls
zu veröffentlichen nunmehr selbstverständlich bereit sind.


Ich hoffe, dass es unter diesen Umständen nicht erst
zu einer Klage, auch nicht zu einer Schadensersatzklage, wie sie
mir und Herrn Dr. Hartmeyer ebenfalls bereits zugestellt ist,
zu kommen braucht, und darf Sie bitten, sehr geehrter HerrDoktor, mir Ihre Rückäusserung nach Fühlungnahme mit HerrnKraus vor Ablauf der mir vom Gericht gestellten Erklärungsfrist
(möglichst bis zum 3. August) zukommen zu lassen.


Mit vorzüglicher Hochachtung
gez. Otto Schabbel
Feuilleton-Schriftleiter
der Hamburger Nachrichten.