Karl Kraus: „Die Unüberwindlichen“Die FackelDie Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier AktenDas Reichsgesetz über die Presse vom 7. Mai 1874


Abschrift


2. Dezember 1929.


-E. Termin 4. Dezember 9 1/2 Uhr.


An das
Landgericht Hamburg,
Zivilkammer 11.


Z.XI.566/29.


Replik


in der Sache


Kraus
(RA. Dr. Lion)


gegen


1. Schabbel
2. Hartmeyer
(RA. Dr. Bintz)


1.) Es ist einerlei, ob der beanstandete Beitrag von einem Mitglied der Schriftleitung stammt oder von
einem am andern, namentlich genannten Mitarbeiter. Gleichgül
tig ist auch, ob die Behauptungen des Verfassers den Beklag
ten als zuverlässig erscheinen konnten; für den Tatbestand
der üblen Nachrede (§ 186 StGB.) spielt der gute Glaube an
der Richtigkeit der unwahren Behauptung keine Rolle.


2.) Irrig ist die Ansicht, die Berichtigung ge
mäss § 11 PG. mache den zivilrechtlichen Schadensersatz
anspruch, wie er hier erhoben wird, hinfällig. Die Berichti-
gung ist nur der erste Behelf, der von der Zeitung sofort
veröffentlicht werden muss (§ 11 Abs. 2 PG.). Dieser Behelf
hat den Mangel, dass er noch keinen Beweis schafft, denn
der Schriftleiter muss die Berichtigung bringen, ob sie nun
zutrifft oder nicht. Erst durch eine von der Schriftleitung
selbst stammende Erklärung wird der Beweis geliefert, dass
die beanstandete Behauptung tatsächlich falsch war.


Die Ansicht, dass der Anspruch auf Rücknahme
einer Pressbeleidigung nicht über die Erinnerung des Durch
schnittslesers hinausreiche, ist auf jeden Fall originell.
Juristisch ist sie natürlich nicht haltbar. Der hier frag
liche Artikel ist im übrigen am 8. Mai 1929 erschienen und
dem Kläger erst einige Zeit später bekannt geworden; am 6. Juni
ist der Unterzeichnete an die Beklagten herangetreten und hat
am 8. Juli die Klage eingereicht, deren Durchführung sich
nur durch die Vergleichsversuche verzögert hat.


Die Gefahr, dass Leser der Hamburger Nachrichten
beim Kläger ein Reklamebedürfnis unterstellen könnten, will
der Kläger auf sich nehmen. Es könnte sich hier nur um Leser
handeln, die den Fall nicht zu übersehen vermögen und die
von der Persönlichkeit des Klägers nichts wissen. Die
Meinung solcher Leser ist nicht wichtig.


3.) Nachdem die Vergleichsverhandlungen geschei
tert sind, wird die Korrespondenz darüber nicht mehr in
teressieren. Heute handelt es sich nicht mehr darum, was die
Beklagten im Vergleichsstadium angeboten haben, sondern nur


noch darum, ob der hier erhobene Klaganspruch berechtigt
ist. Wenn aber der Briefwechsel schon vorgelegt wird, muss
er auch vollständig vorgelegt werden. Am 6. Juni 1929 (die
sen Brief lässt die Gegenseite weg) hat der Unterzeichnete
an die Hamburger Nachrichten folgenden Brief geschrieben:


„In der Anlage übersende ich Ihnen eine von Herrn Karl Kraus, Wien, unterzeichnete Berichtigung und er
suche Sie in Vollmacht des Herrn Karl Kraus gemäss
§ 11 PressG., die Berichtigung in der nach Empfang
der Einsendung nächstfolgenden Nummer abzudrucken.
Auftragsgemäss ersuche ich Sie ferner, mit dem Ab
druck der Berichtigung Ihre unzutreffende Mitteilung
vom 8. Mai mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückzu
nehmen, widrigenfalls Herr Karl Kraus gegen Sie
wegen der beanstandeten Äusserung Zivilklage und
Strafklage wegen übler Nachrede einleiten würde.
Meine schriftliche Vollmacht steht Ihnen zur Ein
sicht zur Verfügung.“


Hätten die Beklagten damals mit der Berichtigung zugleich
auch von sich aus die falsche Behauptung zurückgenommen, so
wäre alles in Ordnung gewesen. Erst als sie es unterlassen
haben, ist, wie angekündigt, gerichtlich vorgegangen worden,
wodurch natürlich Kosten entstanden sind. Die den Beklag
ten aufgegebenen Kosten sind tarifmässig berechnet.


Die Ausdrucksweise,
der Kläger glaubte, die Situation benutzen
zu dürfen, um eine Busse vom RM 200.– und
Kosten von RM 223.25 „ herauszuho
len“
ist durchaus unangebracht. Der Kläger hat ausdrücklich
erklären lassen, dass die geforderte Busse wohltätigen
Zwecken dienen würde, so wie der Kläger fortgesetzt erheb
liche Teile seiner aus Schriften und Vorträgen erzielten
Einkünfte wohltätigen Zwecken zuführt; seine Zeitschrift


Die Fackel bringt hierüber genaue Ausweise. Die beanspruchten
Kosten waren die des Gerichts und der Anwälte, deren Erstattung
der Kläger selbstverständlich gefordert hat.


4.) Vollkommen irrig sind die Ausführungen zu
§ 21 PG. § 21 ist eine Hülfsvorschrift für den Fall, dass
die Täterschaftsvermutung des § 20 nicht anwendbar ist. Im
vorliegenden Fall ist aber schon die Vermutung des § 20 ent
behrlich, denn die Beklagten haben sich durch Verbreiten
einer herabwürdigenden Behauptung, deren Unrichtigkeit sie
zugeben, selbständig eines Vergehens gegen § 186 StGB.
(üble Nachrede) schuldig gemacht und sind daher als Täter
ohne weiteres verantwortlich (vgl. Kitzinger PG. S. 125).
Zum mindesten aber greift die Vermutung des § 20 Abs. 2 durch,
weil besondere Umstände, durch welche die Annahme einer
Täterschaft ausgeschlossen würde, nicht vorliegen.


Der Beklagte 2) insbesondere ist Mittäter oder
Gehilfe des Beklagten 1). Er hat, wie regelmässig, so auch
hier den Beitrag schon vor dem Abdruck gelesen. Dies ist
umso eher ansunehmen, als der Kläger wegen fortgesetzter An
griffe gegen die Presse bisher von den Zeitungen totgeschwie
gen zu werden pflegte und sein Name erst neuestens anläss
lich seiner Vorlesungen und der Aufführung seiner Stücke
genannt wird. Ehe nun die Hamburger Nachrichten über den
Kläger und sein Bühnenstück einen längeren Bericht druck
ten, hat sicherlich der Beklagte 1) dem Beklagten 2) als
dem Inhaber und Hauptschriftleiter des Blatts diesen Bericht
vorgelegt. Es wird gebeten, hierüber den Beklagten 2) per
sönlich zu vernehmen; notfalls wird ihm der Eid zugeschoben.


Für den Kläger:
Der Rechtsanwalt:
Dr. Lion