Abschrift
2. Dezember 1929.
-E. Termin 4. Dezember 9 1/2 Uhr.
An das
Landgericht Hamburg,
Zivilkammer 11.
Z.XI.566/29.
Replik
in der Sache
gegen
1. Schabbel
2. Hartmeyer
(RA. Dr. Bintz)
1.) Es ist einerlei, ob der
beanstandete Beitrag von einem Mitglied
der Schriftleitung stammt oder von
einem am andern, namentlich genannten Mitarbeiter. Gleichgül
tig ist auch, ob die Behauptungen
des Verfassers den Beklag
ten als zuverlässig erscheinen
konnten; für den Tatbestand
der
üblen Nachrede (§ 186 StGB.) spielt der gute Glaube an
der Richtigkeit der unwahren
Behauptung keine Rolle.
2.) Irrig ist die Ansicht, die
Berichtigung ge
mäss
§ 11 PG. mache den zivilrechtlichen Schadensersatz
anspruch, wie er hier
erhoben wird, hinfällig. Die Berichti-
gung ist nur der erste Behelf,
der von der Zeitung sofort
veröffentlicht werden muss (§ 11 Abs. 2 PG.). Dieser
Behelf
hat den Mangel, dass er
noch keinen Beweis schafft, denn
der Schriftleiter
muss die Berichtigung bringen, ob sie nun
zutrifft oder nicht. Erst durch
eine von der Schriftleitung
selbst stammende Erklärung wird der Beweis geliefert, dass
die beanstandete Behauptung
tatsächlich falsch war.
Die Ansicht, dass der
Anspruch auf Rücknahme
einer
Pressbeleidigung nicht über die Erinnerung des Durch
schnittslesers hinausreiche,
ist auf jeden Fall originell.
Juristisch ist sie natürlich nicht haltbar. Der hier frag
liche Artikel ist im übrigen am 8. Mai 1929 erschienen
und
dem Kläger erst einige Zeit später bekannt geworden; am 6.
Juni
ist der Unterzeichnete an die Beklagten herangetreten
und hat
am 8. Juli die Klage
eingereicht, deren Durchführung sich
nur durch die
Vergleichsversuche verzögert hat.
Die Gefahr, dass Leser der
Hamburger
Nachrichten
beim Kläger ein Reklamebedürfnis unterstellen
könnten, will
der Kläger auf sich nehmen. Es könnte sich hier nur
um Leser
handeln, die den
Fall nicht zu übersehen vermögen und die
von der Persönlichkeit des
Klägers nichts wissen. Die
Meinung solcher Leser ist
nicht wichtig.
3.) Nachdem die
Vergleichsverhandlungen geschei
tert sind, wird die Korrespondenz
darüber nicht mehr in
teressieren. Heute handelt es sich nicht mehr darum, was die
Beklagten im Vergleichsstadium
angeboten haben, sondern nur
noch darum, ob der hier
erhobene Klaganspruch berechtigt
ist. Wenn aber der
Briefwechsel schon vorgelegt wird, muss
er auch vollständig
vorgelegt werden. Am 6. Juni 1929 (die
sen Brief lässt die
Gegenseite weg) hat der Unterzeichnete
an die Hamburger Nachrichten folgenden Brief geschrieben:
„In der
Anlage übersende ich Ihnen eine von Herrn Karl Kraus, Wien, unterzeichnete Berichtigung und er
suche Sie in Vollmacht des
Herrn Karl
Kraus gemäss
§ 11 PressG., die Berichtigung in der nach Empfang
der Einsendung nächstfolgenden
Nummer abzudrucken.
Auftragsgemäss ersuche ich Sie ferner, mit dem Ab
druck der Berichtigung Ihre unzutreffende Mitteilung
vom 8. Mai mit dem Ausdruck
des Bedauerns zurückzu
nehmen, widrigenfalls Herr Karl Kraus gegen
Sie
wegen der beanstandeten
Äusserung Zivilklage und
Strafklage wegen übler Nachrede einleiten würde.
Meine schriftliche Vollmacht
steht Ihnen zur Ein
sicht zur Verfügung.“
Hätten die Beklagten damals
mit der Berichtigung zugleich
auch von sich aus die falsche Behauptung zurückgenommen, so
wäre alles in Ordnung
gewesen. Erst als sie es unterlassen
haben, ist, wie angekündigt,
gerichtlich vorgegangen worden,
wodurch natürlich Kosten
entstanden sind. Die den Beklag
ten aufgegebenen Kosten sind
tarifmässig berechnet.
Die Ausdrucksweise,
der Kläger glaubte, die Situation
benutzen
zu dürfen, um eine
Busse vom RM 200.– und
Kosten von
RM 223.25 „
herauszuho
len“
ist durchaus unangebracht. Der
Kläger hat
ausdrücklich
erklären lassen,
dass die geforderte Busse wohltätigen
Zwecken dienen würde, so
wie der Kläger
fortgesetzt erheb
liche Teile seiner aus Schriften und Vorträgen erzielten
Einkünfte wohltätigen Zwecken
zuführt; seine Zeitschrift
Die Fackel bringt hierüber genaue Ausweise. Die beanspruchten
Kosten waren die des Gerichts und der Anwälte, deren Erstattung
der Kläger selbstverständlich gefordert hat.
4.) Vollkommen irrig sind
die Ausführungen zu
§ 21 PG. § 21 ist eine
Hülfsvorschrift für den Fall, dass
die Täterschaftsvermutung
des § 20 nicht anwendbar ist. Im
vorliegenden Fall ist aber
schon die Vermutung des § 20 ent
behrlich, denn die Beklagten
haben sich durch Verbreiten
einer herabwürdigenden
Behauptung, deren Unrichtigkeit sie
zugeben, selbständig eines
Vergehens gegen § 186 StGB.
(üble Nachrede) schuldig
gemacht und sind daher als Täter
ohne weiteres verantwortlich
(vgl. Kitzinger
PG. S. 125).
Zum mindesten aber greift
die Vermutung des § 20 Abs. 2 durch,
weil besondere Umstände,
durch welche die Annahme einer
Täterschaft ausgeschlossen würde, nicht vorliegen.
Der Beklagte 2) insbesondere ist Mittäter oder
Gehilfe des Beklagten 1). Er hat, wie regelmässig, so auch
hier den Beitrag schon vor dem
Abdruck gelesen. Dies ist
umso
eher ansunehmen, als der Kläger wegen fortgesetzter
An
griffe gegen die
Presse bisher von den Zeitungen totgeschwie
gen zu werden pflegte und sein
Name erst neuestens anläss
lich seiner Vorlesungen und der
Aufführung seiner Stücke
genannt
wird. Ehe nun die Hamburger Nachrichten über den
Kläger und sein Bühnenstück
einen längeren Bericht druck
ten, hat sicherlich
der Beklagte 1) dem Beklagten 2) als
dem Inhaber und
Hauptschriftleiter des Blatts diesen Bericht
vorgelegt. Es wird gebeten,
hierüber den Beklagten 2) per
sönlich zu vernehmen; notfalls
wird ihm der Eid zugeschoben.