GerichtssaalNeues Wiener Journal, 29.5.1929Rechtsanwalt Dr. Samek sendet im Namen Karl Kraus’ …Neues Wiener JournalHandel, Industrie, GewerbeVerurteilt und von Strafe befreitNeues Wiener Journal, 27.6.1929


1 U 231/29
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Im Namen der Republik!


Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwart
des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek
und des Verteidigers Dr. Desider Friedmann
über die Anklage verhandelt, die der Privatankläger Karl Kraus gegen
Dr. Desiderius Papp, 33 Jahre alt, ledig
wegen der Übertretung nach § 24 (6) Pressgesetz erhoben hatte, und
über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung
zu Recht erkannt:


Dr. Desiderius Papp wird von der wider ihn erhobenen Anklage,
er sei schuldig, die Zeitung: „Neues Wiener Journal
vor Erfüllung der ihm mit Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien
vom 25. Juni 1929 G.Z. 1 U 223/29 aufgetragenen Verpflichtung zur Ver
öffentlichung der von Karl Kraus verlangten Berichtigung in dem vom
Gerichte mit dem eben erwähnten Urteile festgestellten Ausmasse weiter
erscheinen lassen zu haben und habe hiedurch die Übertretung nach § 24(6) Pressgesetz begangen, nach § 259/3 St.P.O. freigesprochen.


Gem. § 390 St.P.O. hat der Privatankläger Karl Kraus die
Kosten des Strafverfahrens zu ersetzen.


Entscheidungsgründe .


Aus dem Impressum und den Angaben des Verteidigers hat das
Gericht als erwiesen angenommen, dass der Beschuldigte während der in
Betracht kommenden Zeit der verantwortliche Schriftleiter der Zeitung:
Neues Wiener Journal“ war, in welcher die vom P.A.
Karl Kraus verlangte Berichtigung von in der Nummer 12 757 der genannten
Zeitung mitgeteilten Tatsachen auf Grund der mit hg. Urteil vom 25.VI.
1929, 1 U 223/29–3 vorgenommenen Feststellung veröffentlicht wurde.


Da nach Ansicht des P.A. diese Veröffentlichung nicht in der
im Pressegesetze vorgeschriebenen Weise erfolgte, erblickte der P.A.
in dem Weitererscheinenlassen des Neuen Wiener Journal vor Erfüllung
der dem Beschuldigten mit dem obgenannten hg. Urteil auferlegten Ver
pflichtung die Übertretung nach § 24 (6) Pressgesetz.


Das Gericht hat aus der vorliegenden Nummer 12786 des Neuen Wiener Journal’s vom 27. Juni 1929 festgestellt, dass die Berichtigung in dem vom Gerichte festgestellten Wortlaut in jenem Teile der
Zeitung veröffentlicht wurde, der die Überschrift „Gerichtssaal
trägt und dem als nächste Rubrik: „Handel, Industrie, Gewerbe“ folgt.


Das Gericht hat ferner aus Nummer 12 757 der genannten Zeitung festgestellt, dass auch der berichtigte Aufsatz in dem Teile er
schienen ist, der die Überschrift „Gerichtssaal“ trägt und dem als nächst
Rubrik: „Handel, Industrie, Gewerbe“ folgt. Es ist somit der Anfor
derung des Pressgesetzes, dass die Berichtigung im selben Teile wie die
berichtigte Mitteilung veröffentlicht werden muss, Genüge geleistet
worden. Das Gericht hat sich nicht der Ansicht des Herrn Privatanklägers angeschlossen, dass durch die Abtrennung der Berichtigung
von der vorher abgedruckten Mitteilung durch einen dicken Strich ein
anderer Teil der Zeitung geschaffen wurde. Das Gericht ist vielmehr
der Ansicht, dass die Trennung durch einen Strich ganz berechtigter
Weise geschah, da sonst die Berichtigung sich nicht genügend deutlich
von dem voranstehenden Berichte: „Verurteilt und von Strafe befreit
abgehoben hätte.


Der P.A. hat ferner eine nicht gesetzmässige Veröffentlich
ung der Berichtigung darin zu erblicken vermeint, dass die Berichtigung durch ein Inserat unterbrochen wurde, sodass nach Meinung des
Privatanklägers eine der in § 23 Pressgesetz verbotenen Einschaltungen
vorliege.


Das Gericht kann sich dieser Meinung nicht anschliessen,
da der Zusammenhang der Berichtigung durch diese Anordnung nicht
unterbrochen wird und für jeden Leser klar ist, dass die Berichtigung
in der zweiten Spalte unter dem Inserat: „Das Hundert-Schilling-Preis
rätsel …“ ihre Fortsetzung findet, umsomehr, als, wie aus den vor
liegenden Nummern des Neuen Wiener Journal’s festgestellt wurde, wie
derholt Inserate im Textteile dieser Zeitung erscheinen und in der
vorhergehenden Spalte begonnenen Aufsätze nach solchen Inseraten fort
laufen, ohne dass der Sinn gestört würde.


Der Privatankläger hat ferner noch inkriminiert, dass im
Texte der Berichtigung unrichtigerweise das Wort: „Freispruch“
gesperrt gedruckt wurde, ohne dass das Berichtigungsschreiben ein Ver
langen nach einem Sperrdruck erkennen liess. Das Gericht hat festge
stellt, dass in der Veröffentlichung der Berichtigung zweimal das
Wort: „Freispruch“ gesperrt gedruckt ist, dass aber auch in der
berichtigten Mitteilung in Nummer 12 757 der genannten Zeitung das Wort
„Freispruch“ gesperrt gedruckt ist. Da § 23 (1) Pressgesetz vorschreibt, dass die Berichtigung, und dementsprechend auch die
auf Grund einer gerichtlichen Feststellung zu veröffentlichende,
Berichtigung in gleicher Schrift wie die zu berichtigende Mitteilung
zu veröffentlichen ist, war der Beschuldigte gezwungen, das Wort:


„Freispruch“ in Sperrdruck zu bringen, da er sich sonst
einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hätte.


Ob das Berichtigungsschreiben ein Begehren nach Veröffentlich
ung in Sperrdruck enthält oder nicht, ist ganz gleichgültig, da ledig
lich die gesetzlichen Vorschriften, nicht aber der Wille des Berichtigungswerbers für die Art und Weise der Veröffentlichung, „in
der gleichen Schrift“ massgebend sind. Da somit die Veröffentlichung
der Berichtigung in vollkommen Gesetz entsprechender Weise erfolgte, war der Beschuldigte seinen, ihm mit hg. Urteil 1 U 223/29–3 auferlegten Verpflich
tungen nachgekommen und begründete daher das Erscheinen lassen der
Nummer 12 786 des „Neuen Wiener Journals“
nicht den Tatbestand der Übertretung nach § 24 (6) Pressgesetz.
Gem. § 259/3 St.P.O. war daher der Beschuldigte freizusprechen.


Gem. § 390 St.P.O. war dem Privatankläger der Kostenersatz
aufzuerlegen.


Wien, am 5. Juli 1929.
Michael


Die Kosten sind einbringlich.


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