1 U 223/29
An das
Strafbezirksgericht I.Wien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftleiter in Wien, III.Hintere
Zollamtstrasse 3
durch:
Beschuldigter: Desiderius Papp, verantwortlicher
Redakteur des Neuen Wiener
Journal, Wien, I.Biberstrasse 5
1 fach
Ausführung
der Berufung.
Gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes I
vom
25. Juli 1929 habe ich die
Berufung angemeldet und um Zusendung
einer Urteilsausfertigung zwecks
Ausführung der Berufung gebeten.
Das Urteil wurde meinem Anwalt am 6. Juli 1929 zugestellt.
Fristgerecht erstatte ich
nachfolgende
Ausführung der
Berufung:
Als Richtigkeitsgrund wird der
des § 468 Ziffer 3
(§ 281 Ziffer 9a und 10) geltend gemacht.
Das Erstgericht hat die Berichtigung im ganzen als
dem Gesetze entsprechend
anerkannt und lediglich die Stelle
„Es ist unwahr, dass
Karl Kraus
die unentgeltliche Ankündigung
seiner Vorträge erzwingen will. Wahr ist, dass Karl Kraus die
Aufnahme einer Berichtigung
erzwingen will“ nicht als Tatsachen
berichtigung
anerkannt. Begründet wird dies damit, dass lediglich
eine persönliche Ansicht der Zeitung wiedergegeben worden sein
soll, wenn behauptet wurde, dass
Karl Kraus die
unentgeltliche
Ankündigung
seiner Vorträge erzwingen will. Aber dieses Moment
kann nicht dafür ausschlaggebend
sein, ob die Berichtigung dem
Gesetze
entspricht oder nicht. Die persönliche Ansicht der Zei
tung ist nur dann
nicht berichtigungsfähig, wenn sie nicht ins
Tatsachenmaterial einschlägt.
Betrifft die Mitteilung eine Tat
sache, so ist es gleichgültig, ob die Zeitung die Mitteilung
auf Grund einer eigenen
Erfahrung, die sich ihr nachträglich als
fälschlich herausgestellt hat,
oder auf Grund eines Berichtes,
oder auf Grund eines Schlusses gemacht hat. Ein falscher Schluss,
der zur Tatsachenbehauptung
führt, ist berichtigungsfähig. Ich
möchte hier nur ein kurzes Beispiel anführen, das dies augen
fälliger macht. Nehmen
wir an, in einer Zeitung stünde, dass
der wiederholte Besuch der
Heimwehrkommandanten bei dem Heeres-
minister beweise, dass dieser
von den Waffenlieferungen an die
Heimwehr gewusst haben muss, ja dass er sogar wahrscheinlich
diesen Waffenlieferungen
nahesteht. Es ist kein Zweifel, dass
es dem Heeresministerium
gestattet sein muss, das zu berichti
gen und die Behauptung
entgegenzusetzen, dass es weder von den
Waffenlieferungen irgend etwas
gewusst hat, noch mit ihnen ir
gend etwas zu tun hat. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass
nach wiederholten Entscheidungen
der Zweck einer Handlung eine
berichtigungsfähige Tatsache ist, so zum Beispiel, wenn die
Zeitung berichtete, ein
Schauspieler hätte sich zu Engagement
zwecken nach Berlin begeben und er dem entgegensetzt, er sei
zum Besuch seines kranken Vaters
hingefahren. In ähnlicher
Weise
hat hier die Zeitung einen falschen Zweck, einen falschen
Willen unterschoben. Wer den
Titel des damaligen Berichtes las,
musste meinen, dass die Klage des
Herrn Karl Kraus
darauf ge
richtet war,
die Neue Freie
Presse zur unentgeltlichen Ankün
digung seiner Vorträge
zu zwingen. Das ist berichtigungsfähig;
umsomehr berichtigungsfähig, als
aus dem Artikel selbst nicht
einmal klar hervorgeht, dass es
sich um einen falschen Schluss
handelt, sondern der Leser meinen muss, dass das Ergebnis des
Gerichtsverfahrens dessen Titel
berechtigt, dass aber eben
nicht
alles mitgeteilt wurde, was in der Verhandlung vorgefal
len ist.
Ich stelle daher den
Berufungsantrag,
das Urteil
1. Instanz abzuändern, den Beschuldigten zu bestrafen,
auf Veröffentlichung der Berichtigung zu erkennen und den Beschuldigten
und zur ungeteilten Hand mit ihm den Herausgeberund Eigentümer des Neuen Wiener
Journal zum Ersatz der Ver
fahrenskosten zu verpflichten.