Arbeiter-Zeitung, 12.11.1929Die neue StadtVorgelesene Operetten. Zum Offenbach-Zyklus von Karl KrausDas Jubiläums-Arbeiter-Symphoniekonzert.Arbeiter-ZeitungBerliner Börsen-Zeitung, 15.11.1929 (inkl. Unterhaltungs-Beilage)Berliner Börsen-Zeitung, 14.9.1930Auf den Straßen zu singenPrinzessin von TrapezuntArbeiter-Zeitung, 9.6.1929Schönberg-Uraufführungen in Wien.Die FackelBerliner Börsen-Zeitung, 5.11.1930, Morgenausgabe


Durchschlag der endgültigen Eingabe nicht im Akt.


Dr.S/Fa. G.Z. 4 U 114/30.


An das
Strafbezirksgericht I
Wien.


Privatankläger: Dr. Paul Amadeus Pisk, Musiker und Musik
schriftsteller in Wien IV., Schleifmühlgasse 19,
durch:
Dr. Otto Pisk
Rechtsanwalt in Wien


als Verteidiger des
Beschuldigten: Karl Kraus, Schriftstellers in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,


wegen Ehrenbeleidigung


1 fach


Ausführung der Berufung.

1


2


Als Verteidiger des Beschuldigten Herrn Karl Kraus
führe ich die gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes I
in Wien vom 4. Dezember 1930, zugestellt am 31. Dezember 1930,
rechtzeitig angemeldete Berufung aus.


Geltend gemacht werden die Nichtigkeitsgründe des
§ 468, Absatz 1, Z. 2 und 3 St.P.O. (§ 281, Z. 4, 5 und 9b StPO.)


Den Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 4 erblicke ich darin,
dass entgegen den Anträgen der Verteidigung die Verlesung
des Manuskriptes und die Einvernahme Dris. Oskar Samek als
Zeugen abgelehnt wurde. Die Verlesung des Manuskriptes war
aus folgenden Gründen von wesentlichster Bedeutung. Dem Gerichte erster Instanz wurde der Abdruck dieses Manuskriptes
in den Nummern 811 bis 819 des 31. Jahres der August-Nummer 1929 der Fackel, welche
anfangs August 1929 erschienen waren,
vorgelegt, worden und es
war notwendig festzustellen, dass dieser Abdruck bis auf ge
ringfügige stilistische Abänderungen
winzige, an der Hand der Bürstenabzüge nachweisbare formale Änderungen wie Aus
tausch von Synonima (körperlich anstatt physisch, anwenden anstatt durchführen) genau dem Manuskripte
3 entsprach. Der Beschuldigte Karl Kraus spricht niemals frei
sondern immer nach einem auf das genaueste vorbereiteten
und bis in das letzte Detail, bis in die letzte Interpunktion durchdachten Manuskripte. Es ist
vollständig ausgeschlossen, dass auch nur ein Wort mehr
oder weniger gesprochen wird, als das Manuskript enthält.
Alle Zeugen, die das Gegenteil gefunden ausgesagt haben, haben ent
weder wissentlich oder fahrlässig eine falsche Aussage ab
gelegt, deren Untersuchung Sache der Staatsanwaltschaft wäre und möglicherweise auch sein wird. Zur Vorlesung des Manuskriptes und dessen Vergleich
mit dem Abdruck war umsomehr Anlass, als die die von der Gegenseite geführten Zeugen
ihre falschen Aussagen nicht mit der notwendigen Entschiedenheit und zur Urteilfällung erforderlichen Genauigkeit gemacht haben, die in
der Anklage inkriminierten Beleidigungen bestätigt hatten
und,
soweit sie dies die Angaben der Anklage bestätigt haben, durch ihre eigenen vorher dem [Steno] abgegebenen [Steno] andere Zeugen wider
legt wurden. Den wichtigsten Anlass aber gab die Zeugenaus
sage des Fritz Löwy, von dem der Privatanklagevertreter auch
eine Erklärung vorlegte, in der er sagte, dieser Zeuge bekundet hatte, dass
er, wenn auch die Niederschrift erschwert war, weil der Saal
vollkommen verfinstert war, er doch in der Lage war, einzel
ne Stellen mitzuschreiben. Diese mitgeschriebenen Stellen
entsprechen nun vollkommen wörtlich den in der Fackel ab
gedruckten:


„… das gegen mich wirkende Schlieferl- und Tinterl
tum …“ der Stelle: Fackel August-Nummer Seite 76, Zeile 9ff.,


„… der Musikkritiker des Organs, der Referent, der seit
Jahren den Kitsch der bürgerlichen Operette toleriert und
bejaht …“ der Stelle: Seite 78, Zeile 22ff.,


„… unter dem Vorwand einer Fachkritik …“ Seite 78, Zeile 29.


„… die leichtfertige journalistische Mache wird abgelöst von
der planvollen …“ der Stelle: Seite 79, Zeile 1ff.,


„… kümmerliches Fachwissen …“


„… bessere Schönbergschüler haben anders gesprochen …“
der Stelle: Seite 79, Zeile 14ff.,


„… unter fachlichem Vorwand eine üble Gesinnung auszudrücken …“
der Stelle: Seite 80, Zeile 1 und 2.,


„… dass ich in solcher Fachkritik eine Petite erkenne …
4Correpetite …“ der Stelle: Seite 80, Zeile 6 und 7.,


5„… der unapettitliche Plan, meine Hingabe an seine Kunst
herabzuwürdigen …“ der Stelle: Seite 80, Zeile 20 und 21.,


„… diese armen Teufel nennen sich Fachmänner …“ der Stelle: Seite 81,
Zeile 12 und 13.,


„… jede Parole gegen mich nach Partei- und Redaktionsbe
schluss gebrauchsfertig zu machen …“ der Stelle: Seite 81, Zeile 5ff. v.u.,


„… Schlieferlpraktiken …“ der Stelle: Seite 84, Zeile 11 und 12.


Alle diese Stellen zeigen die wörtliche Uebereinstimmung des
gedruckten mit dem gesprochenen Worte und von de m n in der Erklärung des Herrn Fritz Löwy angeführten Stellen fehlen in der Fackel le
diglich zwei, nämlich: „… das Schlieferl schreibt …“
und „… armseliges Fachwissen …“. Diese wurden aber auch
nie gesprochen. Wie wenig verlässlich eine Zeugenaussage
über gebrauchte Worte ist, wenn nicht der besondere Fall, wie
bei dem als Zeugen geführten Dr. Oskar Samek vorliegt, – der
den Aufsatz in seinem wesentlichen Teil vor der Wiedergabe
in der Rede kennen lernte und den Abdruck nicht erst bei der
Veröffentlichung, sondern unmittelbar nach dem Vortrag bei
der Drucklegung –, geht schon daraus hervor, dass dieser Zeuge
6Löwy auf die Frage des Privatanklagevertreters bestätigte, dass der Ausdruck „kümmerlicher
Schönbergschüler“ gefallen sei, obwohl er ihn selbst in sei
ner Erklärung nicht anführt und aus dieser Erklärung genau
zu rekonstruieren ist, dass es sich um den Satz
des Vortrags handelt, der auf Seite 79, Zeile 14ff. abge
7druckt ist: „der Mann, der hier sein kümmerliches Fachwissen
– denn bessere Schönbergschüler haben anders von mir ge
sprochen – zur Exequierung einer Meinungsrache hergeben
musste …“ Wenn also schon dieser Zeuge der Suggestion der
Frage des Privatanklagevertreters erlag, um wieviel mehr
musste dies bei den anderen von der Privatanklageseite
geführten Zeugen der Fall sein, die sich nicht vor Ablegung
8ihrer Zeugenaussage durch Einsichtnahme in ihre „Erklärungen“
den Tatbestand rekonstruieren konnten.


Wenn man nun damit die Notizen des Herrn Otto Silbermann vergleicht oder die der Zeugin Herta Gropper, so
lässt sich leicht konstatieren, dass diese Niederschriften
nicht im Vortragssaal selbst gemacht worden sein können,
sondern auf Grund einzelner Schlagwörter nachträglich
konstruiert wurden. Sie widersprechen sowohl in der An
ordnung als auch im Wortlaut denen des Zeugen Löwy, dessen
Anführungen wieder im Wortlaut und in der Anordnung dem
Vortrag entsprechen. Es ist also kein Zweifel, dass der
Vortrag so gehalten wurde, wie er in der Fackel abgedruckt war
und zu dieser Konstatierung war sowohl die Verlesung des
Abdruckes als auch des Manuskriptes erforderlich, wodurch
erst wirklich festgestellt hätte werden können, was beim
Vortrage wirklich tatsächlich gesprochen wurde. Ergänzend aber war
eventuell auch die Einvernahme Dris. Oskar Samek notwendig,
der als bester Kenner des Vortrags, seiner Entstehung und
seine s r Abdruckes Drucklegung für die Uebereinstimmung des Abdrucks sowohl mit
9de s m Manuskriptes und als auch mit dem gesprochenen Worte der beste
Zeuge ist.


Die Vorlesung des Abdruckes und des Manuskriptes hätte
aber auch die logische Unmöglichkeit gezeigt, dass d as ie Worte
„das Schlieferl schreibt“ oder „das Schlieferl schreibt
weiter“ gebraucht wurden. Der Zusammenhang der Rede lässt
einen solchen Gebrauch gar nicht zu. Es wurden nicht Sätze
des Aufsatzes des Privatanklägers vorgelesen, sondern Stellen
aus diesem Aufsatz in die Rede verflochten, so dass für Worte
wie „das Schlieferl schreibt“ oder „das Schlieferl schreibt
weiter“ gar kein Raum war. Auch der ästhetische Eindruck des
Vortrages hätte diese Tatsache noch verstärken müssen und
gleichzeitig auch die Unmöglichkeit dargetan, aus einem sich einen Vortrag von so
10kunstvolle n m , schwierige n m Gefüge sich einzelne Wörter so genau
zu merken, oder gar um ihn wiederzugeben. Der Zeuge gibt also nur Worte
daraus wieder, deren Schall ihm geblieben ist, und ist so aber noch imstande, aus einer Betrachtung über „Schlieferlpraktiken“ des Wortes „Schlieferl“ habhaft zu werden.


Bei diesem Sachverhalt können die Anträge der Verteidigung gewiss nicht als unerheblich bezeichnet werden,
sondern im Gegenteil, sie waren einzig und allein geeignet,
den wirklichen Sachverhalt festzustellen.


Den Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 5 erblicke ich
darin, dass der Richter erster Instanz den Widerspruch
der Aussagen der Zeugen Fritz Löwy, Hanna Schwarz und Hertha Gropper mit
ihren Erklärungen, die sie Herrn Dr. Pisk gegenüber abge
geben haben, nicht beachtet hat, dass er nicht beachtet
hat, dass die Aussagen weit über die „Erklärungen“ hinausgingen,
und dass er auch nicht begründet hat, warum er über diesen
Widerspruch bei der Beurteilung der Zeugenaussagen hinwegge
gangen ist. In ihrer Erklärung vom 10. November 1929 schreibt
Fräulein Hanna Schwarz, dass Herr Kraus in seinem Vortrag
die Bemerkung einflocht: „es hat sich ein ‚Schlieferl‘ ein
geschlichen und morgen werden Sie wahrscheinlich in der
Zeitung lesen, dass ich nicht singen kann.“ Das ist zwar
nicht die wörtliche Wiedergabe dessen, was gesprochen wurde,


Daß es kriminalistisch monströs ist, daß das Gericht die
Angabe über ein nicht mehr vorhandenes Stenogramm
für beweiskräftiger hält, als vorhandene Manuskripte,
Bürstenabzüge, einen Abdruck, sämtliche Zeugenaussagen,
die deren Wahrhaftigkeit bestätigen und das Angebot eines
Anwaltes, der bereit ist, sein Verteidigungsamt
niederzulegen, ein als Zeuge des inkriminierten
Vorganges die Wahrhaftigkeit einer Verteidigung und die
Wahrheitswidrigkeit einer Anklage zu Urkunden.
Schon, die von der Gegenseite vorgelegte Erklärung des
Zeugen Löwy, die gleichfalls nach einem Stenogramm
sein soll, widerspricht in flagrantester Weise der Möglichkeit,
daß das was die Zeugin Gropper angibt, auf Grund
eines Stenogramms hergestellt wurde. Es ist, selbst
wenn man von dem stärksten Verdacht durch
drungen sein könnte, daß Herr Karl Kraus
einen nachträglich redigierten Sachverhalt zu veröffentlichen
imstande ist, im Bereiche des schlichtesten Menschen
verstandes schlechthin unmöglich, daß zwei Stenogramme
von zwei Zeugen, die ihn doch beide belasten sollen, einander
so kraß widersprechen. Hier war der Punkt ge
geben, wo der Richter, anstatt auf Grund einer
so verdächtigen Angabe über ein nicht mehr vor
handenes Stenogramm zur Urteilsfällung und
Schuldspruch zu gelangen, in der viel erheblicheren
kriminalistischen Angelegenheit, als so die Beleidigung
des Herrn Pisk bot, die Abtretung an die Staatsanwaltschaft
hätte beschließen sollen.


aber immerhin entspricht es noch halbwegs dem Sachverhalt
11wie er richtig und wortgetreu auf Seite 83 der August-Nummer 1929 der Fackel ab
gedruckt wurde. Bei der Hauptverhandlung erweiterte die Zeu
gin Hanna Schwarz schon ihre Angaben und sagte, dass Herr
Kraus auch die Worte gebraucht hat: „Es wird ihnen morgen
ein Schlieferl erzählen, dass ich nicht singen kann“. Und
12das ist vollkommen unwahr die handgreiflichste Unwahrheit. Der Zeuge Fritz Löwy hat in sei
nen Aufzeichnungen nichts von einem „kümmerlichen Schönbergschüler“. Bei der Hauptverhandlung hat er den Ausdruck
wenn auch bei über Befragen bestritten bestätigt.
Die Aufzeichnungen der Zeugin
Herta Gropper, welche dem Gerichte vo m der Privatanklägevertret ung er vorgelegt wurden, w ie ei sen in der Anordnung der
artige Verschiebungen auf, dass sie unmöglich einer wirklichen
stenografischen Niederschrift entsprechen können. Die Zeugin erklärte, daß sie diese stenographische [Steno] insoferne [Steno]. Es wird Sache der Untersuchungsbehörde sein, dieses äußerst verdächtige Moment aufzuklären. Man kann wohl behaupten, Das Gericht erster Instanz hat sich auch über diese horrende, wie über alle anderen Tatsachen hin
13weggesetzt und nicht einmal begründet, warum es dies tat. Es wäre
14aber außerdem von grösster Bedeutung gewesen, dass das Gericht
erster Instanz d ieses as Hinausgehen der dieser und der anderen Zeug i e n über ihre
15ursprünglichen Angaben in de n r „Erklärungen“ in Erwägung ge
zogen hätte, oder begründet hätte, warum es eine solche Er
wägung für überflüssig hielt. In Widerspruch mit sämtlichen
Aussagen steht aber die Behauptung des Urteils, dass die
Kritik des Privatanklägers anschliessend an die Besprechung
des Artikels des Privatanklägers erfolgt ist. Keiner der
Zeugen hat bestätigt oder nur erwähnt, dass zuerst eine
Besprechung des Artikels des Privatanklägers und anschlies
send daran eine Kritik erfolgt ist, sondern alle Zeugen
haben bestätigt, dass der Vortrag mit der Zitierung der
Schlussstrophe der Zanetta aus der „Prinzessin von Trapezunt
eingeleitet wurde und sich daran die Worte anschlossen:
„Das Krupnikorgan … zwingt mich die Verunstaltung Offenbachs für eine Weile zu unterbrechen … und so weiter.
Dies ist von wesentlicher Bedeutung, weil sich offenbar trotz
16allem Widerspruch de r s Verteidig ung ers und, trotzdem wiewohl kein einziger
Zeuge es bestätigt hatte, im Kopfe des Erstrichters die
Meinung festgesetzt hatte, dass es so etwas wie eine beson
dere Besprechung oder Vorlesung des Artikels des Privatanklägers gegeben hat.


Als Nichtigkeitsgrund der Ziffer 5 des § 281 StPO.
muss auch gerügt werden, dass der Richter erster Instanz
ohne Begründung als erwiesen annimmt, dass der Beschuldigte
die Bemerkung machte: „Ich weiss nicht, ob sich das Schlie
ferl wieder in den Saal verirrt hat.“ Der Gebrauch der
Anführungszeichen lässt darauf schliessen, dass der Richter
erster Instanz dies für eine wörtliche Wiedergabe hält. Auf welche
17Aussage sich der Richter dabei stützt, ist einfach unerklärlich.
Der Zeuge Fritz Löwy hat in seiner Erklärung die Anrede in
folgendem Wortlaut wiedergegeben: „Ich muss nachsehen, ob
sich das Schlieferl wieder im Saale befindet.“; D d er Zeuge
Otto Silbermann in folgendem Wortlaut: „Wenn (das Schlieferl) heute
hier ist, so beneide ich ihn nicht um den Beifall, den meine
Polemik und Satire hier auslösen wird.“ (was selbstverständlich nicht Eigenlob sondern ironische Zitierung des Lobs war, daß Herr Pisk eines prosaistischen Vortragskunst gespendet hatte. s. den Artikel) Die Zeugin HertaGropper hat bei ihrer mündlichen Einvernahme angegeben, dass
sie gehört habe, wie der Beschuldigte sagte: „Ich weiss nicht,
ob sich das Schlieferl wieder in den Saal verirrt hat.“ In
Wirklichkeit hat der Satz gelautet: „Aber sollte der Musikfachmann, der behauptet hat, dass ihm die Bezeichnung
‚Schlieferl‘ gelte, jener ‚dienstlichen Verpflichtung‘ ent-
sprechend, für die ich seit dreissig Jahren ein Gelächter
habe, heute wieder anwesend sein, so wünsche ich ihm noch
bessere Nerven als mir. Denn ich beneide ihn nicht um die
geradezu elementare Wirkung, die ich auf mein Publikum als
Schriftsteller durch Polemik und Satire erziele.“ (siehe oben) Schon die
Divergenz dieser Zeugenaussagen in diesem Punkte hätte de n m Richter veranlassen
müssen, sich darüber klar zu werden
machen müssen , dass es sich hier nicht um eine wörtliche sondern um eine
dem Sinn, wie ihn der Zeuge aufgefasst hat, entsprechende
Wiedergabe handeln muss und er hätte unbedingt dazu Stellung
nehmen müssen, warum er den Wortlaut, wie er in der Fackel
abgedruckt ist, sich nicht zu Eigen gemacht hat anerkennt . Denn mag man
es noch hingehen lassen, dass er glaubt, dass etwas gesprochen
wurde, was in der Fackel nicht drinen steht, obwohl dies voll
ständig unwahr wäre
das diametralste Gegenteil der Wahrheit wäre, so kann man es doch keinesfalls glauben,
dass darf doch der Richter erster Instanz keinesfalls annehmen darf, dass alles, was
in der Fackel drinnen steht, anders gesprochen wurde, und zwar noch dazu
in dieser unkünstlerischen und einfältigen Form, wie es sie sich
die Hörer gemerkt zu haben glauben. Die zitierten Worte
bilden den
Diese Abschlussstelle der Rede, und verwenden welche die Worte „dienst
liche Verpflichtungen“ und „geradezu elementare Wirkung,


Leider scheint auf den Richter auch ein Argument des Privatanklagevertreters Eindruck gemacht zu haben, dessen geringe Eignung ein
zuleuchten in die Augen fällt: nämlich, daß eine Abänderung
des Druckes – ein Ansinnen, das geradezu der Vorwurf der Fälschung wäre;
aus dem Grunde erfolgt sein könnte, weil der Beschuldigte das
Bedürfnis hatte, im Bannkreis der angekündigten Klage ein Ab
schwächung festzulegen, dieses Argument fällt in nichts zu
sammen vor der Tatsache, daß ja gerade die inkriminierte
Rede vom 10. Juni von der am 9. Juni angedrohten Klage
gehandelt hat, also alle Vorsichtsmaßregeln, alle verbale Zurück
haltung schon beim Vortrag am Platze gewesen wäre. Tatsächlich
wurde gerade in der juristischen Besprechung, die zwischen
mir und meinem Klienten vor dem Vortrag und im Hinblick
auf die angedrohte Klage stattfand, das größte Gewicht
darauf gelegt, daß nicht etwa der Zweck und Sinn des Vortrages,
die gerichtliche Beweisführung, der man entgegengesehen hat,
durch eine formale Beleidigung vereitelt würde. Ich bin
überzeugt, daß der Privatankläger, um zu einer billigen
Genugtuung zu gelangen, in der Hoffnung, daß das Gericht
das Wort „Schlieferl“ als unbeweisbares Schimpfwort auffassen
werde, vom Drange beseelt war, eine solche Handhabe zu finden,
und daß die in den Vortrag zu Kontrollzwecken entsandten
Freunde ihm darin assistiert haben. Hätte der Privatankläger
nur den wahrheitsgetreuen Druck und dazu sogar noch
das Stenogramm des Zeugen Löwy vor sich gehabt, das ja
mit dem Druck in fast allen Punkten übereinstimmt, so wäre
es ihm nicht eingefallen, sich der Beweisführung über einen
Sachverhalt auszusetzen, von dem er ganz gut weiß, daß er
ihn im Gerichtssaal nicht mit heiler moralischer Haut
vertreten kann. Keinesfalls war er darauf gefaßt, daß der
Richter, wie er es mit Recht getan hat, die Beweisfähigkeit
selbst des Ausdruckes „Schlieferl“ als solchen erkannt und,
wie ausgeführt werden wird, lediglich in der Auffassung
des Begriffes geirrt hat. Daß die angebotenen Beweise
gerade auch der engeren Bedeutung des Wortes, wie sie der
Richter entgegen dem Sprachgebrauch annahm, gerecht
werden, soll später dargetan werden.


die ich auf mein Publikum als Schriftsteller durch
Polemik und Satire erziele“, aus dem Aufsatz des Privatanklägers ironisch verwendet, war die einzige Stelle und die einzige Form, in der sich der Sprecher an den Verfasser der Kritik gewendet hat, und keineswegs die von den Zeugen ausgesagte Apostrophierung. Der Richter erster Instanz durfte sich nicht
mit einer der allgemeinen Begründung, dass das Manuskript keine
verlässliche Unterlage dafür bieten kann, dass sämtliche
mündlichen Aeusserungen des Beschuldigten in dasselbe
Aufnahme gefunden haben, darüber alles hinwegsetzen, sodass er auch
dort die Worte der Zeugen zur Grundlage seines Urteils
machte, wo der Manuskript und Abdruck oder sowie die Angaben der
von mir geführten Zeugen und des Beschuldigten selbst einen dem Sinn entsprechenderen und
logischeren Wortlaut angeben. Text feststellen ließen.


Als Nichtigkeitsgrund der Ziffer 5 des § 281StPO. wird auch angesehen betrachtet , dass das Gericht erster Instanz
ganz allgemein die Verantwortung des Beschuldigten als
dahingehend annimmt, auffasst, „ dass die Aeusserungen derart gehalten
waren, dass aus denselben und den Begleitumständen für die
Oeffentlichkeit der Privatankläger nicht erkennbar gewesen
sei“. Diese Verantwortung Diese Annahme steht im Widerspruch zu dem
von mir im Namen des Beschuldigten eingereichten Schriftsatz vom 24. Juni 1930 und zum Vorbringen in der Hauptver-
handlung. Nur für den Vortrag vom 7. Juni gilt sie. Nur
damals war der Privatankläger nicht erkennbar, beim
Vortrag vom 10. Juni war der Privatankläger natürlich voll
18ständig erkennbar, weil ja unterdessen sein Aufsatz in der
Arbeiter-Zeitung vom 9. Juni erschienen war. Für den Vor
trag vom 10. Juni 1929 wurde vom Beschuldigten lediglich
vorgebracht, dass die Polemik nicht gegen den Privatxankläger als Person Individuum, sondern gegen das Zentralorgan der
Sozialdemokratie gerichtet war und sich mit dem Privatankläger nur insoweit befasste, als sein Aufsatz die
Grundlage dieser Polemik bildete.


Es möge gestattet sein, an dieser passenden Stelle
gleich die Schuldberufung wegen des Vorfalles am vom 7. Juni 1929
auszuführen. Lediglich für diesen Vorfall galt die Ver
antwortung des Beschuldigten, dass der Privatankläger
nicht erkennbar gewesen ist. Der Privatankläger hat Zeugen
dafür geführt, dass er erkannt wurde. Wie ich nach gewiesen weisen
werden soll will , haben diese Zeugen auf Grund eines vollstän
dig falschen Schlusses und in Unverständnis weil sie d er ie tatsäch
lich gesprochenen Worte nicht erfaßten, den Privatankläger erkannt oder
glaubten ihn zu erkennen geglaubt. Aber ungeachtet des Umstandes, dass
der Privatankläger erkannt wurde, bleibt doch die Behauptung
aufrecht, dass der Privatankläger nicht erkennbar war. Die
aussagenden Zeugen haben auf den Privatankläger als Belei
digten geschlossen, weil er am 7. Juni im Vortragssaal an
wesend war. Die Bemerkung im Vortrag vom 7. Juni bezog sich aber offen
kundig nicht auf eine Person, die am 7. Juni an diesem Tage anwesend war,
sondern in einer früheren Vorlesung, denn dort es ist die Rede
von einem Schlieferl, das sich in diese m n Saal verirrt hat
und an einer Zusatzstrophe Anstoss nahm. Es musste sich
– aus der Verbindung „Anstoß nahm“ und „verirrt hat“ –
also logischerweise um etwas Vergangenes handeln, denn es
wäre doch unmöglich gewesen, während des Vortrages von einem
Zettel abzulesen, was gegen eine Person gerichtet ist, die
gerade an einer Zusatzstrophe dieser Vorlesung Anstoss
nimmt. Durch welche Zauberkunststücke sollte der Vortragende während des Vortrages sich einen solchen Zettel fabri
zieren können. Dies wurde auch schon in der von der Ver
teidigung des Beschuldigten gemachten Eingaben vom 24.Juni 1930 genau ausgeführt und daraufhin von der Privat
anklageseite, d ie er in der Privatanklage selbst, die Bemerkung,
dass „das Schlieferl an einer Zusatzstrophe Anstoss ge
nommen habe“, noch aufgenommen hatte, und offenbar aus
20einem Mangel an Vorstellungsvermögen heraus Fähigkeit sich vorzustellen, was bei
einer Vorlesung sich abspielen könnte, die Meinung ausge
sprochen hatte, dass der Beschuldigte dies „vielleicht
aus einer abwehrenden Bewegung schliessen konnte, die er
der Privatankläger möglicherweise gemacht hatte ohne
21sich dessen bewusst zu sein, und diese Tatsache zum Beweis seiner Erkennbarkeit verwenden wollte, hat dann, als er einsah, daß dies ein Unsinn sei, über diese Tatsachen einen
Schleier der Vergessenheit gebreitet, der sich auch über
den Richter die Verhandlung erster Instanz legte, so dass der Richter in seinen Entscheidungs
gründen gar nicht berücksichtigte und begründete, warum
Herr Dr. Pisk erkennbar gewesen ist, wo doch offenbar die
Zeugen ihn nur deshalb erkannt hatten, weil er gerade im
Saal anwesend war, während sich die Sätze mit jemandem
Beschäftigten, der bei einer früheren Vorlesung anwesend
war. Wenn also Herr Pisk auch erkannt wurde, so war er
doch nicht erkennbar, und wäre an diesem Tage anstatt des
Herrn Pisk Herr Bach oder Herr Otto Koenig im Saale an
wesend gewesen, so hätten mit derselben falschen Logik
die Zeugen bestätigt, dass sich die Worte gegen diesen Personen
richteten.


Der Nichtigkeitsgrund der Ziffer 9b des § 281 StPO.
liegt darin, dass das Gericht erster Instanz zu Unrecht
erkannt hat, dass „die vorgebrachten Argumente, deren
Wahrheit erwiesen werden sollte, nicht geeignet sind, um
die gegen den Privatankläger erhobenen Anschuldigungen
zu rechtfertigen, weshalb sie als zur Führung des Wahrheits
beweises vollkommen ungeeignet von vorneherein abzuweisen
waren“. Dabei geht das Gericht von der in keinem Dialekt
lexikon auffindbaren Ansicht aus, dass man „unter Schlie
22ferl im Allgemeinen einen Menschen ansehen muss, der sich
im Gesellschaftskreise oder Berufszweige hineindrängt bezw.
23aufdrängt, ohne dass die hiezu erforderlichen persönlichen
Voraussetzungen vorliegen“. Ich habe in meiner Eingabe vom
24. Juni 1929 anhanden verschiedener Dialektwörterbücher
nachgewiesen, dass unter „Schlieferl“ ein widerlicher
Schmeichler, Liebediener zu verstehen ist, jemand, der
24sich um die Gunst eines anderen bewirbt und aus dieser Be
werbungsa
A bsicht heraus Handlungen begeht, die der allgemeinen
Sachlichkeit Moral widersprechen. Wenn es auch möglich ist,
dass der Erstrichter das Wort „Schlieferl“ nur auch zur Be
zeichnung eines Menschen verwenden würde, der sich in
einem Gesellschaftskreis oder Berufszweig hinein
drängt ohne die erforderlichen persönlichen Voraussetzun
gen zu besitzen, so geht es doch keinesfalls an, dass
jemand, der das Wort in einem anderen geläufigeren Sinne verwendet,
von der Führung des Wahrheitsbeweises ausgeschlossen
25wird, also darüber, dass Handlungen vorliegen begangen wurden , die das Wort in seinem dem
26Sinne rechtfertigen, in welchem er es, gerechtfertigt durch Wörterbücher, gebraucht hat. Am allerwenigsten ist dies aber
27möglich, wenn für den gebrauchten Sinn ein hinlänglicher
Beweis in den vorhandenen Dialektwörterbüchern gegeben
ist.
Selbst wenn dieser Gebrauch falsch wäre, würde ein solcher Irrtum des Beschuldigten die Strafbarkeit ausschließen. Aber sogar für den Sinn des Wortes, wie ihn der
Richter meinte, liegt ein der Wahrheitsbeweis vor. Denn wenn
es richtig ist, dass man unter „Schlieferl“ jemanden
verstehen darf, der sich in einem Gesellschaftskreis
hineindrängt, ohne dass die hiezu erforderlichen per
sönlichen Voraussetzungen vorliegen, so ist dies auch
für den Privatankläger bewiesen worden. Entgegen dem
Verhandlungsprotokoll hat der Richter angenommen, dass
dem Privatankläger zum Vorwurf gemacht werde, dass er
„zugleich für Zeitungen verschiedener politischer Richtung
28tätig“ ist. Dies ist unrichtig und begründet auch einen
Nichtigkeitsgrund nach § 281, Z. 5 STPO. denn es wurde
dem Privatankläger zum Vorwurf gemacht, dass er „als
organisierter Sozialdemokrat Mitarbeiter der BerlinerBörsen-Zeitung ist“ – nicht wie im Urteil steht „Börsen Courier“, der ein linksgerichtetes bürgerliches Blatt ist –, „die auf der äussersten Rechten
steht und gegen die Sozialdemokraten auftritt“. Entweder
auf Seiten der Sozialdemokraten oder auf Seiten der
Nationalsozialisten ist der Privatankläger unmöglich (also
auch ein „Schlieferl“ im Sinne des Erstrichters.)
Diese beiden Richtungen können auch nicht in der Kunst
rubrik von einer und derselben Person einwandfrei vertreten werden, da die radikal ent
gegengesetzten Welta politischen A nschauungen auch zu radikal ent
gegengesetzten Welt- und Kunstanschauungen geführt haben bedeuten, wofür ich
ja auch in meinem Schriftsatz vom 24. Juni 1929 den
Beweis angetreten
krassesten Beleg gebracht habe, ganz besonders gegen die österreichische Sozialdemokratie, deren Mitglied ihr Wiener Korrespondent ist, gegen die Wiener Arbeiterzeitung, deren Redakteur er ist. Ich habe den Bericht des Privatanklägers über das Jubiläumskonzert anlässlich der 25.
Jahrfeier der Wiener Arbeiter Symfoniekonzerte in der
Arbeiter-Zeitung vom 12. November 1929 und seinen Bericht
über dasselbe Konzert in der Berliner Börsen-Zeitung vom 15. November 1929 vorgelegt. In dem Wiener Bericht
waren ausser den Werken von Schönberg auch Arbeiter
chöre von Hans Eisler besprochen, es wird dort sogar
behauptet, dass sie den Höhepunkt bildeten. Die Chöre
werden „wirklich revolutionäre Stücke“ genannt, der
Privatankläger sagt von diesen Stücken: „Unsere Ge
danken, unsere Gefühle sind hier im Worte gefasst und
sprechen auch aus der Musik zu uns allen.“ Von dem
zweiten Chor „Auf den Strassen zu singen“ sagt der
Privatankläger: „Man spürt in der Melodie, in der be
sonders ein breiter Kehrreim öfter wiederkehrt, das
eherne Schreiten der Massen, die alles mit sich fort
reissen“. Worte wie „Opfer der Revolution“, „Revolutions
chor“ u.dgl. erfüllen den Artikel. Man vergleiche damit
den Bericht desselben Berichterstatters in der BerlinerBörsen-Zeitung. Die beiden Chöre werden nicht einmal
erwähnt, obwohl sie „den Höhepunkt bildeten“. Kein
Wort von revolutionärer Musik, kein Wort vom Schreiten
29der Massen. Wie ist es also mit dieser Kunst und dieser
Kunstkritik bestellt? Hat sie wirklich mit Politik nichts
zu tun wie der gegnerische Anwalt zur Exkulpierung des Klägers vorgebracht hat, und darf der Kritiker das Kunstwerk,
30von dem er in der Arbeiter-Zeitung sagt, dass seine und seiner Gesinnungsgenos
sen Gedanken und Gefühle hier in Worten gefasst sind und
auch aus der Musik zu ihnen allen sprechen, verkünden?
Er musste schweigen, weil es aber im Bannkreis Gebiete der „Schlieferl-
31und Tinterlpraktiken“ eben nicht angängig gestattet ist, das zu
loben, was auf der anderen politischen Seite steht.
Ich habe auch die Nummern der Berliner Börsen-Zeitungvom 14. September und 5. November 1930 vorgelegt, um zu
beweisen, welcher Richtung diese Zeitung angehört. Der
Privatankläger hat behauptet, dass die Zeitung von sich
selbst sage, dass sie „keiner Partei zugehörig, unab
hängig von jeder Organisation oder Interessengruppe …
überparteilich … sei. Sie leihe ihre Hilfe jeder Gruppe,
jeder Partei, jeder Koalition und jeder Regierung …“
Die Überparteilichkeit sieht so aus: „Wer nicht wählt,
überantwortet sich, seine Familie und Deutschland den
32roten Verderbern!“ Oder: „Riesige Waffenfunde bei den
Austromarxisten … Die Austromarxisten sind von jeher offener,
brutaler und gradliniger in der Verfolgung ihrer Ziele


Wenn nicht das Wort „Börsenzeitung“ für
sozialdemokratische Begriffe etwas grundsätzlich beruhigendes
hat, so erweist jede ihrer Nummern, daß diese
Zeitung der Sozialdemokratie totfeindlich
gegenübersteht.


gewesen als ihre reichsdeutschen Gesinnungsfreunde.
Schon mehr als einmal hat man handgreiflich den öster
reichischen Sozialdemokraten die Vorbereitung des
bewaffneten Umsturzes nachweisen können, und die Er
innerung an jenen blutigen Sommertag, der mit dem Brande
des Wiener Justizpalastes endete, ist noch wach …“


Und in diesem Artikel war auch das eigene Blatt des Privatanklägers, die Arbeiterzeitung der tückischen Lüge beschuldigt angegriffen.
Ist dies alles dem Privatankläger unbekannt geblieben?
Hat er sich wirklich damit begnügt, das zu hören und zu
33wissen was ihm die Zeitung selbst sagte zum Abonnentenfang zu einer Jubiläumsnummer an Phrasen der Neutralität vorgewendet hat ? Und hat er
niemals ein solches Blatt in die Hand bekommen, das ihm
den wahren Charakter dieser Zeitung gezeigt hätte? Jede Nummer, die ihm als Belegexemplar seiner Kritiken zugesendet wird, offenbart diesen extrem rechtsradikalen Charakter der für Berliner Begriffe den Standpunkt des Lokalanzeigers weit hinter sich läßt. Das Wort „Börsenzeitung“
Es wäre mir natürlich möglich gewesen, hunderte von Beleg
exemplaren für die Gesinnung der Berliner Börsen-Zeitung
vorzuweisen. Ich habe solche aus der letzten Zeit aus
gewählt, weil die Erinnerung noch wach sein dürfte, dass
es sich bei diesen „riesigen Waffenfunden“ nach dem Be
richte der Arbeiter-Zeitung gar nicht um Waffen gehandelt
hat die dem Zwecke der sozialdemokratischen Partei dienen sollten, sondern um
34solche, welche seinerzeit im Einverständnis mit Herrn
Vaugoin den Blicken der Entente entzogen werden sollten,


die in heuchlerischer Weise die Praktiken der bürgerlichen
Journalistik zugleich angreifen und befolgen tadeln und praktizieren, ja
es ermöglichenm daß der sozialdemokratische Journalist
im gegnerischen journalistischen Lager mitwirkt,
dem gegnerischen Bedarf durch Wort und
Schweigen dient und an dem Sold partizipiert,
auf deren Quell finanziellen Quellen wirtscha ökonomischen Ursprung Schwer und
von der Sozialdemokratischen Publizistik
als eine Schmach hingewiesen wird.


um sie im Bedarfsfalle für den Staat zur Verfügung zu haben. Der
Privatankläger redet sich allerdings damit aus, dass
die Mitarbeiterschaft an dieser Zeitung der Arbeiter-Zeitung und der sozialdemokratischen Partei bekannt
sind ist. Das mag sein, ändert aber eher zu Ungunsten der
Sache etwas
offenbart aber nur die Unsauberkeitder Partei selbst und beweist nur umsomehr, wie berechtigt
die Polemik vom 10. Juni 1929 war. Denn diese Polemik
richtete sich, wie schon erwähnt wurde, nicht gegen
den Privatankläger als Person, sondern gegen diese Par
tei , und sie und die bei ihr üblichen journalistischen Praktiken. Die Polemik betraf den Privatankläger nur, gerade soweit er
35das Faktotum dieser so beschaffenen Parteijournalistik war. Wenn die sozialde
mokratische Partei es zulässt, dass ihr Genosse und
Mitarbeiter, der musikalische Verherrlicher ihrer Ideen,
an einem solchen Blatt mitarbeitet, so ist der Ausdruck
von de m n „ Schlieferl- und Tinterlpraktiken“ sowohl für
die Erlaubnis, als auch für deren Gebrauch zulässig.
Es ist also mindestens auch der Beweis erbracht worden, dass der
Privatankläger sich in einer Gesellschaft befindet, in
die er nicht hineingehört.


Ich bleibe aber dabei, dass die geläufigere Verwendung
des Wortes „Schlieferl“ für einen Menschen erfolgt, der
aus Liebedienerei handelt. Und auch dafür nämlich, dass der
Privatankläger seine Kritik nicht aus sachlichen Gründen
betrieben geschrieben hat, sondern, um in die zwischen Herrn KarlKraus und der Arbeiter-Zeitung bestehende Polemik auch
als „Fachmann“ einzugreifen und eine Blamage der Arbeiter-Zeitung der Behauptung, daß Offenbach verklungen und vertan sei, wettzumachen, habe ich den Beweis ange
treten. Der Herr Privatankläger hat versucht – hoffentlich vergebens –,
das Geständnis seiner Privatanklage, dass er
sich „über Auftrag der Schriftleitung seines Blattes
Karten zu vier Vorlesungen gekauft hat, um „über den
musikalischen Teil dieser Darbietung in der Arbeiter-Zeitung zu berichten“, aus der Welt zu schaffen. Keines
36falls ist das aber durch die Behauptung möglich, dass
der Privatankläger „niemals von irgend einer Seite mit
der Leitung der Arbeiter-Zeitung in Wien oder mit der
sozialdemokratischen Parteileitung in Wien in Verbindung
stehenden Person einen Auftrag oder auch nur einen Wink
erhalten hätte, in gewisser Richtung zu schreiben“.


Schluß des Artikels von
anderen stilisiert


Beschimpfungsmotiv.
von der Klage gewußt.


Aber die Befolgung dieses Winkes hat sichtlich auch der
Kontrolle der Auftraggeber unterlegen und es könnte
durch Zeugen und stilistische Sachverständige nachgewiesen, daß der Schluß der „fachmännischen
Artikels“, der nach einer langen Periode des Totschweigens
überraschend erschien, nicht mehr die so wenig
markante geistige Tat Handschrift des Kritikers, sondern
die anderer Stilisten seiner redaktionellen Umgebung
aufweist. Es war ganz bestimmt eine redaktionelle
Äußerung, die auf Grund einer Verabredung, einer
Konferenz und zur kläglichen Wettmachung der kläglichen Parole „Ver
klungen und vertan“ zustande gekommen ist,


Er wäre ein schlechter Diener seiner Herren, wenn es
noch eines besonderen Winkes bedurfte, wie er zu schreiben
habe, wenn man ihm zur Kritik eines Vortrages auffordert
Auftrag gibt, wo der Vortragende in offener Polemik zu
seine m n Herren steht. Dass er den Auftrag nach jahrelangem
Schweigen über das Wirken des Herrn Kraus erhielt, nach
37vielen Angriffen und Gegenangriffen, ist Wink genug. Aber
das beste Zeichen des Winkes ist ja die Art, wie der P.A.
sich des Auftrages entledigt hat. War es dem Herrn
Privatankläger, der den Beschuldigten sicher besser kannte
als dieser ihn, denn nicht von vorneherein klar, dass bei
einem Vortrag des Herrn Kraus von Offenbachoperetten nicht „über den
musikalischen Teil dieser Darbietung“ zu berichten war,
38dass es Herrn Kraus nicht darauf ankam, Musik im gesangstechnischen Sinn darzubieten,
sondern das Kunstwerk Offenbachs, welches einer durch
die moderne Operette schwerhörig gewordenen Zeitgenos
senschaft, abhanden gekommen war, neu zu beleben?
Hier handelte es sich nicht darum, dass man auch anderer
Ansicht sein dürfte , g . G ewiss steht jedem sein Urteil frei.
39und seine Kritik ist natürlich häufig lediglich auch eine Kritik seines
Wesens, die man seinen Lesern überlassen muss.
Hier
handelte es sich aber von vorneherein nicht um Kritik,
eine solche war niemals beabsichtigt, denn seitdem
Herr Kraus sich von der in bürgerliches Fahrwasser ge
40ratenen sozialdemokratischen Partei der er freili niemals als Mitglied angehörte, abgewendet hatte, wurde
kein neu erschienenes Buch, keine Vorlesung sei es eigener Schriften oder, sei es der Werke Shakespeareischer Dramen oder der Werke Shakespeares
41Goethes, Nestroys, Raimunds oder anderer Geistesgrössen Dichter besprochen.
Es handelte sich dem Privatankläger und seiner Partei
42lediglich darum, eine sich selbst zugefügte Blamage, daß Offenbach verklungen und vertan sei, aus
zumerzen und unter dem Vorwand einer fachlichen Kritik
wurde „kümmerliches Fachwissen“ dem lebendigen Kunstwerk
entgegengesetzt, um einen Unsinn, der das Hohngelächter
der Kunstwelt hervorgerufen hatte, vergessen zu machen.
43Ich habe die Berichte über die von Herrn Kraus gehaltenen
Offenbach-Vorträge oder von ihm geleitete Inszenierung
Offenbach’scher Werke nicht zu dem Zwecke vorgelegt, um
zu zeigen welche Anerkennung diese Wirksamkeit gefunden
hat, sondern lediglich deshalb, weil es eine Offenbach-
Renaissance erst seit dem Wirken des Herrn Kraus für Offenbach


Ganz zutreffend hat der Erstrichter erkannt, daß selbst der Ausdruck
„Schlieferl“ in dem gegebenen Zusammenhang, der Ausdruck als
solcher, der wie nachweisbar fälschlich der Rede vom 10. Juni
abgehört wurde, einer Bewe der Führung eines Wahrheitsbeweises
zugänglich sei, weil es ja doch klar ist und wiederholt durch
oberstgerichtliche Entscheidungen festgelegt, daß derjenige, der
in einem Zusammenhange ein Wort, das eine moralische
Qualität bezeichnet, straflos anwenden darf, wenn er
imstande ist, die Gesinnungen und Handlungen
nachzuweisen, die durch das Wort charakterisiert werden.
Das ist Erlaubnis wäre hier, im hohen Grade wo tatsächlich von „Schlieferl-
und Tinterlpraktiken“ die Rede war und klarerweise
die Absicht vorwaltete, diese darzustellen und an
einem fragranten Fall zu geißeln, in höchstem Grade
gegeben. Wenn der Vortragende statt von „Schl. u. T.praktiken“
von „Lumpereien“ gesprochen, ja selbst den Ausdruck
„Lump“ gebraucht hätte, – wie er nach der Annahme
des Richters Wort „Schlieferl“ gebraucht hat, – so
hätte das vorliegende Material zum Beweis de Beweis und zur Deckung
des Wortinhalts vollständig ausgereicht, da nichts geringeres
behauptet werden sollte kann, als daß ein eingeschriebener Sozialdemokrat, Schöpfer der Wohnbau einer Wohnbaukantate zum Preise der Gemeinde Wien im
Nebenamt eine Journalistik bedient, die in ihren
politischen Äußerungen und ihrer wirtschaftlichen Spalten[¿]
von den Hintergründen des Hakenkreuzes nicht zu weit entfernt
ist und daß er also im Solde einer Zeitung, die die österreichi
sche Sozialdemokratie am heftigsten bekämpft und deren Gesinnungen
von diesen am heftigsten bekämpft wird, publizistisch
wirkt und der gegenteiligen Richtung durch Abschwächung
und Unterdrückung von Meinungen anpasst, wobei
es fast noch erstaunlicher ist, daß ein Blatt extrem
nation deutschnationaler Richtung, als daß die Sozialdemokratie dieses Kuriosum Abend dem von Inkompatibilität
läßt. Der Fall läßt sich offenbar
nur so erklären, daß zwar Herr Pisk be
haupten kann, daß seine Parteigenossen von seiner Mitarbeit Gastrolle
im feindlichen Lager Kenntnis haben, nicht aber dessen Beherrscher
von der sozialdemokratischen Gesinnung des Gastes. Wenn
eine derartige Verwendbarkeit und Gewandtheit, eine derartige treue Diener Anschmiegsamkeit und treue Dienerschaft Dienstbereitschaft für zwei Herren eines Journalisten
nicht zureichen sollte, dem vom Erstrichter gesetzten engsten
Begriff von Schlieferltum als einer Beteiligung an zu entsprechen,
dann läge wohl der erstaunlichste Fall jener Unterdrückung
der freien Meinungsäußerung vor, gegen die sich vor allem
die Sozialdemokratische Publizistik zu wenden pflegt.


gibt, weil dieses Wirken einem Kunstwerk wieder Anerken
nung verschafft hat, das geeignet ist, dem Schundwerk
der modernen Operette den Garaus zu machen und weil aus
der Entgegenhaltung des Berichtes des Privatanklägers
mit den vorgelegten Berichten klar zu Tage tritt, dass
der Privatankläger bewusst und willkürlich in den kritischen
Vordergrund stellt, was wenn es überhaupt wahr ist und von irgendeinem Sachstandpunkt zu halten (den [¿] keiner der hundert Kritiker hervorgekehrt hat), nebensächlich und für den gewollten
Erfolg bedeutungslos war. Es ist unerfindlich, wieso der
Richter erster Instanz zur der Ansicht kommen konnte, dass
all dies nicht geeignet sein sollte wäre , um „Schlieferl- und
Tinterlpraktiken“, „kümmerliches Fachwissen“ und das
übrige Gesprochene zu beweisen.


Ich stelle daher den


Antrag:


dieser Berufung Folge zu geben und , das Urteil erster
Instanz aufzuheben und ihr aufzutragen, die beantragten
Beweise durchzuführen; eventuell diese Beweise selbst durch
zuführen und zu entscheiden. Ich beantrage
den Freispruch des Beschuldigten.


Für den Fall, als das Berufungsgericht die Beweise
selbst durchführt und mich als Zeugen ladet, bitte ich um
einen mindestens vierzehntägigen Zwischenraum zwischen
Zustellung der Ladung und der Hauptverhandlung, damit für
eine entsprechende neue Verteidigung gesorgt werden kann.


Dr. Oskar Samek als Verteidiger
des Herrn Karl Kraus.


Für Herrn Kraus


8. Jänner 1931.
Dr.S/Fa.
G.Z. 4 U 114/30.


An das
Strafbezirksgericht I
Wien.


Privatankläger: Dr. Paul Amadeus Pisk, Musiker und Musik
schriftsteller in Wien IV., SchleifmühlgasseNr. 19,
durch:
Dr. Otto Pisk,
Rechtsanwalt in Wien


als Verteidiger des
Beschuldigten: Karl Kraus, Schriftstellers in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,


wegen Ehrenbeleidigung


1 fach


Ausführung der Berufung.


Als Verteidiger des Beschuldigten KarlKraus führe ich die gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes I
in Wien vom 4. Dezember 1930 rechtzeitig angemeldete Berufung
aus.


Geltend gemacht werden die Nichtigkeits
gründe des § 468, Absatz 1, Z. 2 und 3 STPO. (§ 281, Z. 4, 5 und9 b STPO.)


Den Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 4 er
blicke ich darin, dass entgegen den Anträgen der Verteidigung
die Verlesung des Manuskriptes und die Einvernahme Dris. OskarSamek als Zeugen abgelehnt wurden. Die Verlesung des Manuskrip
tes war von wesentlichster Bedeutung. Dem Gerichte erster
Instanz wurde der Abdruck dieses Manuskriptes in der August-Nummer 1929 der Fackel vorgelegt und es war notwendig, fest
zustellen, dass dieser Abdruck bis auf winzige, an der Hand
der Bürstenabzüge nachweisbare formale Aenderungen wie z.B.
Austausch von Synonima (körperlich anstatt physisch, anwenden
anstatt durchführen) genau dem Manuskripte entsprach. Der Be
schuldigte Karl Kraus spricht niemals frei sondern immer nach
einem auf das genaueste vorbereiteten und bis in das letzte
Detail, bis in die letzte Interpunktion durchdachten Manus
kripte. Es ist vollständig ausgeschlossen, dass auch nur ein
Wort mehr oder weniger gesprochen wird, als das Manuskript
enthält. Alle Zeugen, die das Gegenteil ausgesagt haben, haben
entweder wissentlich oder fahrlässig eine falsche Aussage ab
gelegt, deren Untersuchung Sache der Staatsanwaltschaft wäre
und möglicherweise auch sein wird. Zur Vorlesung des Manus
kriptes und dessen Vergleich mit dem Abdruck war umsomehr An
lass, als die von der Gegenseite geführten Zeugen ihre falschen
Aussagen nicht mit der zur Urteilfällung erforderlichen Ge
nauigkeit gemacht haben, und, soweit sie die Angaben der Anklage bestätigt haben, durch ihre eigenen vorher dem gegnerischen Anwalt gegenüber abgegebenen schriftlichen Erklärungen
und andere Zeugen widerlegt wurden. Den wichtigsten Anlass aber
gab die Zeugenaussage des Fritz Löwy, von dem der Privatanklagevertreter auch eine Erklärung vorlegte, in der dieser Zeuge be
kundet hatte, dass er, wenn auch die Niederschrift erschwert
war, weil der Saal vollkommen verfinstert war, er doch in der
Lage war, einzelne Stellen mitzuschreiben. Diese mitgeschriebe
nen Stellen entsprechen nun vollkommen wörtlich den in der
Fackel abgedruckten:


„…. das gegen mich wirkende Schlieferl- und Tinterltum …“
der Stelle: Fackel August-Nummer Seite 76, Zeile 9ff;


„…. der Musikkritiker des Organs, der Referent, der seit Jahren
den Kitsch der bürgerlichen Operette toleriert und bejaht …“
der Stelle: Seite 78, Zeile 22ff;


„…. unter dem Vorwand einer Fachkritik ….“ der Stelle: Seite78, Zeile 29;


„…. die leichtfertige journalistische Mache wird abgelöst von
der planvollen ….“ der Stelle: Seite 79, Zeile 1ff;


„…. kümmerliches Fachwissen ….“


„…. bessere Schönbergschüler haben anders gesprochen .…“
der Stelle: Seite 79, Zeile 14ff;


„…. unter fachlichem Vorwand eine üble Gesinnung auszudrücken …“
der Stelle: Seite 80, Zeile 1 und 2;


„…. dass ich in solcher Fachkritik eine Petite erkenne ….
Correpetite ….“ der Stelle: Seite 80, Zeile 6 und 7;


„…. der unappettitliche Plan, meine Hingabe an seine Kunst
herabzuwürdigen ….“ der Stelle: Seite 80, Zeile 20 und 21;


„…. diese armen Teufel nennen sich Fachmänner ….“ der Stelle:
Seite 81, Zeile 12 und 13;


„… jede Parole gegen mich nach Partei- und Redaktionsbe
schluss gebrauchsfertig zu machen …“ der Stelle:
Seite 81, Zeile 5ff v.u.;


„… .Schlieferlpraktiken …“ der Stelle: Seite 84, Zeile 11
und 12. Alle diese Stellen zeigen die wörtliche Uebereinstim
mung des gedruckten mit dem gesprochenen Worte und von den
in der Erklärung des Herrn Fritz Löwy angeführten Stellen
fehlen in der Fackel lediglich zwei, nämlich: „…. das Schlieferl
schreibt .…“ und „…. armseliges Fachwissen .…“. Diese wurden
aber auch nie gesprochen. Wie wenig verlässlich eine Zeugenaus
sage über gebrauchte Worte ist, wenn nicht der besondere Fall,
wie bei dem als Zeugen geführten Dr. Oskar Samek vorliegt, – der
den Aufsatz in seinem wesentlichen Teil vor der Wiedergabe in
der Rede kennen lernte und den Abdruck nicht erst bei der Ver
öffentlichung, sondern unmittelbar nach dem Vortrag bei der
Drucklegung, – geht schon daraus hervor, dass dieser Zeuge Löwy
auf die Frage des Privatanklagevertreters bestätigte, dass der
Ausdruck „kümmerlicher Schönbergschüler“ gefallen sei, obwohl er
ihn selbst in seiner Erklärung nicht anführt und aus dieser Erklärung genau zu rekonstruieren ist, dass es sich um den Satz
des Vortrags handelt, der auf Seite 79, Zeile 14ff abgedruckt
ist: „der Mann, der hier sein kümmerliches Fachwissen – denn
bessere Schönbergschüler haben anders von mir gesprochen – zur
Exequierung einer Meinungsrache hergeben musste ….“ Wenn also
schon dieser Zeuge der Suggestion der Frage des Privatanklagevertreters erlag, um wieviel mehr musste dies bei den anderen
von der Privatanklageseite geführten Zeugen der Fall sein, die
sich nicht vor Ablegung ihrer Zeugenaussage durch Einsichtnahme
in ihre „Erklärungen“ den Tatbestand rekonstruieren konnten.


Wenn man nun damit die Notizen des Herrn Otto Silbermann vergleicht oder die der Zeugin Herta Gropper, so lässt sich
leicht konstatieren, dass diese Niederschriften nicht im Vor
tragssaal selbst gemacht worden sein können, sondern auf Grund
einzelner Schlagwörter nachträglich konstruiert wurden. Sie
widersprechen sowohl in der Anordnung als auch im Wortlaut denen
des Zeugen Löwy, dessen Anführungen wieder im Wortlaut und in
der Anordnung dem Vortrag entsprechen. Es ist also kein Zweifel,
dass der Vortrag so gehalten wurde, wie er in der Fackel abge
druckt war und zu dieser Konstatierung war sowohl die Verlesung
des Abdruckes als auch des Manuskriptes erforderlich, wodurch
erst wirklich festgestellt hätte werden können, was beim Vor
trage tatsächlich gesprochen wurde. Ergänzend aber war eventuell
auch die Einvernahme Dris. Oskar Samek notwendig, der als bester
Kenner des Vortrags, seiner Entstehung und seiner Drucklegung
für die Uebereinstimmung des Abdrucks sowohl mit dem Manuskript,
als auch mit dem gesprochenen Wort der beste Zeuge ist.


Die Vorlesung des Abdruckes und des Manuskriptes hätte
aber auch die logische Unmöglichkeit gezeigt, dass die Worte
„das Schlieferl schreibt“ oder „das Schlieferl schreibt weiter“
gebraucht wurden. Der Zusammenhang der Rede lässt einen solchen
Gebrauch gar nicht zu. Es wurden nicht Sätze des Aufsatzes des
Privatanklägers vorgelesen, sondern Stellen aus diesem Aufsatz
in die Rede verflochten, so dass für Worte Wendungen wie „das Schlieferl
schreibt“ oder „das Schlieferl schreibt weiter“ gar kein Raum
war. Auch der ästhetische Eindruck des Vortrages hätte diese
Tatsache Einsicht noch verstärken müssen und gleichzeitig auch die
Unmöglichkeit dargetan, sich einen Vortrag von so kunstvollem,
schwierigem Gefüge so genau zu merken, um ihn wiederzugeben.
Der Zeuge gibt also nur Worte daraus wieder, deren Schall ihm
geblieben ist, und ist so eben noch imstande, aus einer Be
trachtung über „Schlieferlpraktiken“ des Wortes „Schlieferl“ habhaft
zu werden.


Bei diesem Sachverhalt können die Anträge der Verteidigung gewiss nicht als unerheblich bezeichnet werden, son
dern im Gegenteil, sie waren einzig und allein geeignet, den
wirklichen Sachverhalt festzustellen.


Den Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 5 erblicke ich
darin, dass der Richter erster Instanz den Widerspruch der
Aussagen der Zeugen Fritz Löwy, Hanna Schwarz und HerthaGropper mit ihren Erklärungen, die sie Herrn Dr. Pisk gegenüber
abgegeben haben, nicht beachtet hat, dass er nicht beachtet
hat, dass die Aussagen weit über die „Erklärungen“ hinausgingen,
und dass er auch nicht begründet hat, warum er über diesen Wider
spruch bei der Beurteilung der Zeugenaussagen hinweggegangen ist.
In ihrer Erklärung vom 10. November 1929 schreibt Fräulein HannaSchwarz, dass Herr Kraus in seinem Vortrag die Bemerkung ein
flocht: „es hat sich ein ‚Schlieferl‘ eingeschlichen und morgen
werden Sie wahrscheinlich in der Zeitung lesen, dass ich nicht
singen kann.“ Das ist zwar nicht die wörtliche Wiedergabe dessen,
was gesprochen wurde, aber immerhin entspricht es noch halbwegs
dem Sachverhalt,wie er richtig und wortgetreu auf Seite 83 der
August-Nummer 1929 der Fackel abgedruckt wurde. Bei der Haupt-
verhandlung erweiterte die Zeugin Hanna Schwarz schon ihre
Angaben und sagte, dass Herr Kraus auch die Worte gebraucht
hat: „Es wird ihnen morgen ein Schlieferl erzählen, dass ich
nicht singen kann“. Und das ist die handgreiflichste Unwahrheit.
Der Zeuge Fritz Löwy hat in seinen Aufzeichnungen nichts von
einem „kümmerlichen Schönbergschüler“. Bei der Hauptverhandlung
hat er den Ausdruck wenn auch über Befragen bestätigt. Die
Aufzeichnungen der Zeugin Herta Gropper, welche dem Gerichte
vom Privatanklägevertreter vorgelegt wurden, weisen in der An
ordnung derartige Verschiebungen auf, dass sie unmöglich einer
wirklichen stenografischen Niederschrift entsprechen können.
Die Zeugin erklärte, daß sie diese stenografische Niederschrift
nicht mehr hat. Diese Angabe entspricht nur insoferne der Wahr
heit, als sie diese stenografische Niederschrift auch vorher
nicht gehabt haben kann. Es wird Sache der Untersuchungsbehörde
sein, dieses äusserst verdächtige Moment aufzuklären. Man kann
wohl behaupten, dass es kriminalistisch monströs ist, daß das
Gericht die Angabe über ein nicht mehr vorhandenes Stenogramm
für beweiskräftiger hält, als vorhandene Manuskripte, Bürsten
abzüge, einen Abdruck, sämtliche Zeugenaussagen, die dessen
Wahrhaftigkeit bestätigen und das Angebot eines Anwaltes, der
bereit ist, sein Verteidigungsamt niederzulegen, um als Zeuge
des inkriminierten Vorganges die Wahrhaftigkeit einer Verteidi
gung und die Wahrheitswidrigkeit einer Anklage zu beurkunden. Schon
die von der Gegenseite vorgelegte Erklärung des Zeugen Löwy, die
gleichfalls nach einem Stenogramm hergestellt sein soll, widerspricht in
flagrantester Weise der Möglichkeit, dass das was die Zeugin
Gropper angibt, auf Grund eines Stenogramms hergestellt wurde.


Es ist, selbst wenn man von dem stärksten Verdacht durchdrungen
sein könnte, dass Herr Karl Kraus einen nachträglich redigierten
Sachverhalt zu veröffentlichen imstande ist, im Bereiche des
schlichtesten Menschenverstandes schlechthin unmöglich, daß zwei
Stenogramme von zwei Zeugen, die ihn doch beide belasten sollen,
einander so krass widersprechen. Hier war der Punkt gegeben, wo
der Richter, anstatt auf Grund einer so verdächtigen Angabe über
ein nicht mehr vorhandenes Stenogramm zur Urteilsfällung und
Schuldspruch zu gelangen, in der viel erheblicheren kriminalisti
schen Angelegenheit, als so die Beleidigung des Herrn Pisk ist,
die Abtretung an die Staatsanwaltschaft hätte beschliessen sollen.
Das Gericht erster Instanz hat sich über diesen horrenden Widerspruch, wie über
alle anderen Tatsachen hinweggesetzt und nicht einmal begründet, wa
rum es dies tat. Es wäre aber ausserdem von grösster Bedeutung ge
wesen, dass das Gericht erster Instanz das Hinausgehen dieser und
der anderen Zeugen über ihre ursprünglichen Angaben in der „Er
klärung“ in Erwägung gezogen hätte, oder begründet hätte, warum
es eine solche Erwägung für überflüssig hielt. In Widerspruch mit
sämtlichen Aussagen steht aber die Behauptung des Urteils, dass die
Kritik des Polemik gegen den Privatanklägers anschliessend an die Besprechung des
Artikels des Privatanklägers erfolgt ist. Keiner der Zeugen hat
bestätigt oder nur erwähnt, dass zuerst eine Besprechung des Artikels des Privatanklägers und anschliessend daran eine Kritik Polemik er
folgt ist, sondern alle Zeugen haben bestätigt, dass der Vortrag
mit der Zitierung der Schlussstrophe der Zanetta aus der „Prinzessin von Trapezunt“ eingeleitet wurde und sich daran die Worte an
schlossen: „Das Krupnikorgan … zwingt mich die Verunstaltung
Offenbachs für eine Weile zu unterbrechen …[“] und so weiter. Dies
ist von wesentlicher Bedeutung, weil sich offenbar trotz allem
Widerspruch des Verteidigers und, wiewohl kein einziger Zeuge
es bestätigt hatte, im Kopfe des Erstrichters die Meinung fest
gesetzt hatte, dass es so etwas wie eine besondere Besprechung
oder Vorlesung des Artikels des Privatanklägers gegeben hat.


Als Nichtigkeitsgrund der Ziffer 5 des § 281 StPO.
muss auch gerügt werden, dass der Richter erster Instanz ohne
Begründung als erwiesen annimmt, dass der Beschuldigte die Be
merkung machte: „Ich weiss nicht, ob sich das Schlieferl wieder
in den Saal verirrt hat.“ Der Gebrauch der Anführungszeichen
lässt darauf schliessen, dass der Richter erster Instanz dies
für eine wörtliche Wiedergabe hält. Auf welche Aussage sich der
Richter dabei stützt, ist einfach unerklärlich. Der Zeuge FritzLöwy hat in seiner Erklärung die Anrede in folgendem Wortlaut
wiedergegeben: „Ich muss nachsehen, ob sich das Schlieferl wie
der im Saale befindet.“; der Zeuge Otto Silbermann in folgendem
Wortlaut: „Wenn er (das Schlieferl) heute hier ist, so beneide
ich ihn nicht um den Beifall, den meine Polemik und Satire hier
auslösen wird.“ (Was selbstverständlich nicht Eigenlob, sondern
ironische Zitierung des Lobs war, dass Herr Pisk seiner Kraus’ pro
saistische n r Vortragskunst gespendet hatte. Siehe den Artikel.)
Die Zeugin Herta Gropper hat bei ihrer mündlichen Einvernahme
angegeben, dass sie gehört habe, wie der Beschuldigte sagte:
„Ich weiss nicht, ob sich das Schlieferl wieder in den Saal
verirrt hat.“ In Wirklichkeit hat der Satz gelautet: „Aber
sollte der Musikfachmann, der behauptet hat, dass ihm die Bezeich
nung ‚Schlieferl‘ gelte, jener ‚dienstlichen Verpflichtung‘ ent
sprechend, für die ich seit dreissig Jahren ein Gelächter habe,
heute wieder anwesend sein, so wünsche ich ihm noch bessere
Nerven als mir. Denn ich beneide ihn nicht um die geradezu
elementare Wirkung, die ich auf mein Publikum als Schriftsteller
durch Polemik und Satire erziele.“ (siehe oben) Schon die Di
vergenz der Zeugenaussagen in diesem Punkte hätte dem Richter
klar machen müssen, dass es sich hier nicht um eine wörtliche
sondern um eine dem Sinn, wie ihn der Zeuge aufgefasst hat, ent
sprechende Wiedergabe handeln muss und er hätte unbedingt dazu
Stellung nehmen müssen, warum er den Wortlaut, wie er in der
Fackel abgedruckt ist, nicht anerkennt. Denn mag man es noch
hingehen lassen, dass er glaubt, dass etwas gesprochen wurde,
was in der Fackel nicht steht, obwohl dies das diametralste
Gegenteil der Wahrheit wäre, so darf doch der Richter erster
Instanz keinesfalls annehmen, dass alles, was in der Fackel
steht, anders gesprochen wurde, und noch dazu in der unkünstleri
schen und einfältigen Form, wie sie sich die Hörer gemerkt zu ha
ben glauben. Diese Abschlusstelle der Rede, welche die Worte
„dienstliche Verpflichtungen“ und „geradezu elementare Wirkung,
die ich auf mein Publikum als Schriftsteller durch Polemik und
Satire erziele“, aus dem Aufsatz des Privatanklägers ironisch
verwendet, war die einzige Stelle und die einzige Form, in der
sich der Sprecher an den Verfasser der Kritik gewendet hat, und
keineswegs die von den Zeugen ausgesagte Apostrophierung. Der
Richter erster Instanz durfte sich nicht mit der allgemeinen Be
gründung, dass das Manuskript keine verlässliche Unterlage dafür
bieten kann, dass sämtliche mündlichen Aeusserungen des Beschuldigten in dasselbe Aufnahme gefunden haben, über alles hinweg
setzen, so dass er auch dort die Worte der Zeugen zur Grundlage
seines Urteils machte, wo Manuskript und Abdruck sowie die Angaben
der von mir geführten Zeugen und des Beschuldigten selbst einen dem
Sinn entsprechenderen und logischeren Text feststellen liessen.


Leider scheint auf den Richter auch ein Argument
des Privatanklagevertreters Eindruck gemacht zu haben, dessen
geringe Eignung einzuleuchten in die Augen fällt: nämlich, dass
eine Abänderung des Druckes – ein Ansinnen, das geradezu der
Vorwurf der Fälschung wäre, – aus dem Grunde erfolgt sein könnte,
weil der Beschuldigte das Bedürfnis hatte, im Bannkreis der an
gekündigten Klage ein Abschwächung festzulegen. Dieses Argument
fällt in nichts zusammen vor der Tatsache, dass ja gerade die
inkriminierte Rede vom 10. Juni von der am 9. Juni angedrohten
Klage gehandelt hat, also alle Vorsichtsmassregeln, alle verbale
Zurückhaltung schon beim Vortrag am Platze gewesen wäre. Tat
sächlich wurde gerade in der juristischen Besprechung, die
zwischen mir und meinem Klienten vor dem Vortrag und im Hinblick
auf die angedrohte Klage stattfand, das grösste Gewicht darauf
gelegt, dass nicht etwa der Zweck und Sinn des Vortrages, die
gerichtliche Beweisführung, der man entgegengesehen hat, durch
eine formale Beleidigung vereitelt würde. Ich bin überzeugt, dass
der Privatankläger, um zu einer billigen Genugtuung zu gelangen,
in der Hoffnung, dass das Gericht das Wort „Schlieferl“ als un
beweisbares Schimpfwort auffassen werde, vom Drange beseelt war,
eine solche Handhabe zu finden, und dass die in den Vortrag
zu Kontrollzwecken entsandten Freunde ihm darin assistiert haben.
Hätte der Privatankläger nur den wahrheitsgetreuen Druck und dazu
sogar noch das Stenogramm des Zeugen Löwy vor sich gehabt, das
ja mit dem Druck in fast allen Punkten übereinstimmt, so wäre
es ihm nicht eingefallen, sich der Beweisführung über einen Sach
verhalt auszusetzen, von dem er ganz gut weiss, dass er ihn im
Gerichtssaal nicht mit heiler moralischer Haut vertreten durchstehen kann.
Keinesfalls war er darauf gefaßt, dass der Richter, wie er es
mit Recht getan hat, die Beweisfähigkeit selbst des Ausdruckes
„Schlieferl“ als solchen erkannt und, wie ausgeführt werden wird,
lediglich in der Auffassung des Begriffes geirrt hat. Dass die
angebotenen Beweise gerade auch der engeren Bedeutung des Wor
tes, wie sie der Richter entgegen dem Sprachgebrauch annahm,
gerecht werden, soll später dargetan werden.


Als Nichtigkeitsgrund der Ziffer 5 des § 281 StPO.
wird auch betrachtet, dass das Gericht erster Instanz ganz all
gemein die Verantwortung des Beschuldigten als
dahingehend auffasst, „dass die Aeusserungen derart gehalten waren, dass aus den
selben und den Begleitumständen für die Oeffentlichkeit der Privatankläger nicht erkennbar gewesen sei“. Diese Annahme steht im
Widerspruch zu dem von mir im Namen des Beschuldigten eingereich
ten Schriftsatz vom 24. Juni 1930 und zum Vorbringen in der Haupt
verhandlung. Nur für den Vortrag vom 7. Juni gilt sie. Nur damals
war der Privatankläger nicht erkennbar, beim Vortrag vom 10. Juni
war der Privatankläger natürlich vollständig erkennbar, weil ja
unterdessen sein Aufsatz in der Arbeiter-Zeitung vom 9. Juni er
schienen war. Für den Vortrag vom 10. Juni 1929 wurde vom Beschuldigten lediglich vorgebracht, dass die Polemik nicht gegen
den Privatankläger als Individuum, sondern gegen das Zentralorgan
der Sozialdemokratie gerichtet war und sich mit dem Privatankläger
nur insoweit befasste, als sein Aufsatz die Grundlage dieser
Polemik bildete.


Es möge gestattet sein, an dieser passenden Stelle
gleich die Schuldberufung wegen des Vorfalles vom 7. Juni 1929
auszuführen. Lediglich für diesen Vorfall galt die Verantwortung
des Beschuldigten, dass der Privatankläger nicht erkennbar ge
wesen ist. Der Privatankläger hat Zeugen dafür geführt, dass er
erkannt wurde. Wie ich nachweisen will, haben diese Zeugen auf
Grund eines vollständig falschen Schlusses und weil sie die
tatsächlich gesprochenen Worte nicht erfassten, den Privatankläger erkannt oder zu erkennen geglaubt. Aber ungeachtet
des Umstandes, dass der Privatankläger erkannt wurde, bleibt
doch die Behauptung aufrecht, dass der Privatankläger nicht erkenn
bar war. Die aussagenden Zeugen haben auf den Privatankläger als
Beleidigten geschlossen, weil er am 7. Juni im Vortragssaal an
wesend war. Die Bemerkung im Vortrag vom 7. Juni bezog sich aber offen
kundig nicht auf eine Person, die an diesem Tage anwesend war,
sondern in einer früheren Vorlesung, denn es ist die Rede von
einem Schlieferl, das sich in diesen Saal verirrt hat und an
einer Zusatzstrophe Anstoss nahm. Es musste sich – aus der Ver
bindung „Anstoss nahm“ und „verirrt hat“ – also logischerweise
um etwas Vergangenes handeln, denn es wäre doch unmöglich gewesen,
während des Vortrages von einem Zettel abzulesen, was gegen eine
Person gerichtet ist, die gerade an einer Zusatzstrophe dieser
Vorlesung Anstoss nimmt. Durch welche Zauberkunststücke sollte
der Vortragende während des Vortrages sich einen solchen Zettel
fabrizieren. Dies wurde auch schon in der von der Verteidigung
des Beschuldigten gemachten Eingabe vom 24. Juni 1930 genau aus
geführt. Der Privatankläger, der in der die Privatanklage selbst die
Bemerkung, dass „das Schlieferl an einer Zusatzstrophe Anstoss
genommen habe“, noch aufgenommen hatte, und offenbar aus Mangel
an Fähigkeit sich vorzustellen, was bei einer Vorlesung sich ab
spielen könnte, die Meinung ausgesprochen hatte, dass der Beschuldigte dies „vielleicht aus einer abwehrenden Bewegung schliessen
konnte, die er möglicherweise gemacht hatte, ohne sich dessen be
wusst zu sein,“ und diese Tatsache zum Beweis seiner Erkennbarkeit
verwenden wollte, hat dann, als er einsah, dass dies ein Unsinn
sei, über diese Tatsachen einen Schleier der Vergessenheit ge
breitet, der sich auch über die Verhandlung erster Instanz legte,
so dass der Richter in seinen Entscheidungsgründen gar nicht
berücksichtigte und begründete, warum Herr Dr. Pisk erkennbar gewe
sen ist, wo doch offenbar die Zeugen ihn nur deshalb erkannt
hatten, weil er gerade im Saal anwesend war, während sich die
Sätze mit jemandem beschäftigten, der bei einer früheren Vor
lesung anwesend war. Wenn also Herr Pisk auch erkannt wurde,
so war er doch nicht erkennbar, und wäre an diesem Tage anstatt
des Herrn Pisk Herr Bach oder Herr Otto Koenig im Saale anwesend
gewesen, so hätten mit derselben falschen Logik die Zeugen be
stätigt, dass sich die Worte gegen diese Personen richteten.


Der Nichtigkeitsgrund der Ziffer 9 b des § 281 StPO.
liegt darin, dass das Gericht erster Instanz zu Unrecht erkannt
hat, dass „die vorgebrachten Argumente, deren Wahrheit erwiesen
werden sollte, nicht geeignet sind, um die gegen den Privatankläger erhobenen Anschuldigungen zu rechtfertigen, weshalb sie als
zur Führung des Wahrheitsbeweises vollkommen ungeeignet von
vorneherein abzuweisen waren“. Dabei geht das Gericht von der
in keinem Dialektlexikon auffindbaren Ansicht aus, dass man „unter
Schlieferl im allgemeinen einen Menschen ansehen muss, der sich
in Gesellschaftskreise oder Berufszweige hineindrängt bezw. auf
drängt, ohne dass die hiezu erforderlichen persönlichen Voraus
setzungen vorliegen“. Ich habe in meiner Eingabe vom 24. Juni 1929
anhanden verschiedener Dialektwörterbücher nachgewiesen, dass
unter „Schlieferl“ ein widerlicher Schmeichler, Liebediener
zu verstehen ist, jemand, der sich um die Gunst eines anderen
bewirbt und aus dieser Absicht heraus Handlungen begeht, die
der allgemeinen Moral widersprechen. Wenn es auch möglich ist,
dass der Erstrichter das Wort „Schlieferl“ auch zur Bezeichnung
eines Menschen verwenden würde, der sich in einen Gesellschafts
kreis oder Berufszweig hineindrängt ohne die erforderlichen
persönlichen Voraussetzungen zu besitzen, so geht es doch keines
falls an, dass jemand, der das Wort in einem geläufigeren Sinn
verwendet, von der Führung des Wahrheitsbeweises ausgeschlossen
wird: also darüber, dass Handlungen begangen wurden, die das
Wort in dem Sinne rechtfertigen, in welchem er es, gerechtfertigt
durch Wörterbücher, gebraucht hat. Selbst wenn dieser Gebrauch
falsch wäre, würde ein solcher Irrtum des Beschuldigten die
Strafbarkeit ausschliessen. Aber sogar für den Sinn des Wortes,
wie ihn der Richter meinte, liegt der Wahrheitsbeweis vor. Denn
wenn es richtig ist, dass man unter „Schlieferl“ jemanden ver
stehen darf, der sich in einen Gesellschaftskreis hineindrängt,
ohne dass die hiezu erforderlichen persönlichen Voraussetzungen
vorliegen, so ist dies auch für den Privatankläger bewiesen
worden. Entgegen dem Verhandlungsprotokoll hat der Richter ange
nommen, dass dem Privatankläger zum Vorwurf gemacht werde, dass
er „zugleich für Zeitungen verschiedener politischer Richtung
tätig“ ist. Dies ist unrichtig und begründet auch einen Nichtig
keitsgrund nach § 281, Z. 5 StPO. denn es wurde dem Privatankläger
zum Vorwurf gemacht, dass er „als organisierter Sozialdemokrat
Mitarbeiter der ‚Berliner Börsen-Zeitung‘ ist,“ „die auf der
äussersten Rechten steht und gegen die Sozialdemokraten auf
tritt,“ ganz besonders gegen die Sozialdemokratie, deren Mitglied ihr Wiener Korrespondent ist, gegen die Wiener Arbeiter-Zeitung, deren Redakteur er ist, – nicht wie im Urteil steht des „Börsen-Courier“, der
ein linksgerichtetes bürgerliches Blatt ist. Entweder auf Seiten
der Sozialdemokraten oder auf Seiten der Nationalsozialisten ist
der Privatankläger unmöglich. (Also auch ein „Schlieferl“ im Sinne
des Erstrichters.) Diese beiden Richtungen können auch nicht in
der Kunstrubrik von einer und derselben Person einwandfrei ver
treten werden, da die radikal entgegengesetzten politischen
Anschauungen auch radikal entgegengesetzte Welt- und Kunstan
schauungen bedeuten, wofür ich ja auch in meinem Schriftsatz vom
24. Juni 1929 den krassesten Beleg gebracht habe. Ich habe den
Bericht des Privatanklägers über das Jubiläumskonzert anlässlich
der 25. Jahrfeier der Wiener Arbeiter Symfoniekonzerte in der
Arbeiter-Zeitung vom 12. November 1929 und seinen Bericht über
dasselbe Konzert in der Berliner Börsen-Zeitung vom 15. November1929 vorgelegt. In dem Wiener Bericht waren ausser den Werken
von Schönberg auch Arbeiterchöre von Hans Eisler besprochen, es
wird dort sogar behauptet, dass sie den Höhepunkt bildeten. Die
Chöre werden „wirklich revolutionäre Stücke“ genannt, der Privatankläger sagt von diesen Stücken: „Unsere Gedanken, unsere
Gefühle sind hier im Worte gefasst und sprechen auch aus der
Musik zu uns allen.“ Von dem zweiten Chor „Auf den Strassenzu singen“ sagt der Privatankläger: „Man spürt in der Melodie, in
der besonders ein breiter Kehrreim öfter wiederkehrt, das eherne
Schreiten der Massen, die alles mit sich fortreissen.“ Worte
wie „Opfer der Revolution“, „Revolutionschor“ u.dgl. erfüllen den
Artikel. Man vergleiche damit den Bericht desselben Berichterstatters in der „Berliner Börsen-Zeitung“. Die beiden Chöre
werden nicht einmal erwähnt, obwohl sie „den Höhepunkt bilde
ten“. Kein Wort von revolutionärer Musik, kein Wort vom
Schreiten der Massen. Wie ist es also mit dieser Kunst und
dieser Kunstkritik bestellt? Hat sie wirklich mit Politik nichts
zu tun wie der gegnerische Anwalt zur Exkulpierung des Klägers
vorgebracht hat, und darf der Kritiker das Kunstwerk, von dem er
in der Arbeiter-Zeitung sagt, dass seine und seiner Gesinnungs
genossen Gedanken und Gefühle hier in Worten gefasst sind und
auch aus der Musik zu ihnen allen spreche, verkünden? Er musste
schweigen, weil es eben im Gebiete der „Schlieferl- und Tinterl
praktiken“ nicht gestattet ist, das zu loben, was auf der ande
ren politischen Seite steht. Ich habe auch die Nummern der
„Berliner Börsen-Zeitung“ vom 14. September und 5. November 1930
vorgelegt, um zu beweisen, welcher Richtung diese Zeitung ange
hört. Der Privatankläger hat behauptet, dass die Zeitung von sich
selbst sage, dass sie „keiner Partei zugehörig, unabhängig von
jeder Organisation oder Interessengruppe … überparteilich … sei.
Sie leihe ihre Hilfe jeder Gruppe, jeder Partei, jeder Koalition
und jeder Regierung …“ Die Überparteilichkeit sieht so aus:
„Wer nicht wählt, überantwortet sich, seine Familie und Deutsch
land den roten Verderbern!“ Oder: „ Riesige Waffenfunde bei den
Austromarxisten …. Die Austromarxisten sind von jeher offener,
brutaler und gradliniger in der Verfolgung ihrer Ziele gewesen
als ihre reichsdeutschen Gesinnungsfreunde. Schon mehr als einmal
hat man handgreiflich den österreichischen Sozialdemokraten die
Vorbereitung des bewaffneten Umsturzes nachweisen können, und die
Erinnerung an jenen blutigen Sommertag, der mit dem Brande
des Wiener Justizpalastes endete, ist noch wach ....“ Und in diesem
Artikel war auch das eigene Blatt des Privatanklägers, die Arbeiterzeitung angegriffen. Ist dies alles dem Privatankläger
unbekannt geblieben? Hat er sich wirklich damit begnügt, das zu
hören und zu wissen was die Zeitung zum Abonnentenfang in
einer Jubiläumsnummer an Phrasen der Neutralität vorgewendet
hat? Und hat er niemals ein solches Blatt in die Hand bekommen,
das ihm den wahren Charakter dieser Zeitung gezeigt hätte? Jede
Nummer, die ihm als Belegexemplar seiner Kritiken zugesendet
wird, offenbart diesen extrem rechtsradikalen Charakter, der für
Berliner Begriffe Anschauungen den Standpunkt des Lokalanzeigers weit hinter
sich lässt. Wenn nicht das Wort „Börsenzeitung“ für sozialdemo
kratische Begriffe etwas grundsätzlich beruhigendes hat, so
erweist jede ihrer Nummern, dass diese Zeitung der Sozialdemo
kratie totfeindlich gegenübersteht. Es wäre mir natürlich mög
lich gewesen, hunderte von Belegexemplaren für die Gesinnung
der Berliner Börsen-Zeitung vorzuweisen. Der Privatankläger
redet sich allerdings damit aus, dass die Mitarbeiterschaft an
dieser Zeitung der Arbeiter-Zeitung und der sozialdemokratischen
Partei bekannt ist. Das mag sein, offenbart aber nur die Un
sauberkeit der Partei selbst und beweist nur umsomehr, wie be
rechtigt die Polemik vom 10. Juni 1929 war. Denn diese Polemik
richtete sich, wie schon erwähnt wurde, nicht gegen den Privatankläger als Person, sondern gegen diese Partei und die bei ihr
üblichen journalistischen Praktiken, die in heuchlerischer
Weise die Praktiken der bürgerlichen Journalistik zugleich
tadeln und praktizieren, ja es ermöglichen, dass der sozialde
mokratische Journalist im gegnerischen journalistischen Lager
mitwirkt, dem gegnerischen Bedarf durch Wort und Schweigen
dient und an dem Sold partizipiert, auf dessen ökonomischen
Ursprung von der sozialdemokratischen Publizistik als eine
Schmach hingewiesen wird. Die Polemik betraf den Privatankläger gerade soweit er das Faktotum dieser so beschaffenen
Parteijournalistik war. Wenn die sozialdemokratische Partei es
zulässt erlaubt , dass ihr Genosse und Mitarbeiter, der musikalische
Verherrlicher ihrer Ideen, an einem solchen Blatt mitarbeitet,
so ist der Ausdruck von den „Schlieferl- und Tinterlpraktiken“
sowohl für die Erlaubnis, als auch für deren Gebrauch zulässig.
Es ist also mindestens auch der Beweis erbracht worden, dass
der Privatankläger sich in einer Gesellschaft befindet, in die
er nicht hineingehört.


Ich bleibe aber dabei, dass die geläufigere Verwendung
des Wortes „Schlieferl“ für einen Menschen erfolgt, der aus
Liebedienerei handelt. Und auch dafür, nämlich, dass der Privatankläger seine Kritik nicht aus sachlichen Gründen geschrieben
hat, sondern, um in die zwischen Herrn Karl Kraus und der Arbeiter-Zeitung bestehende Polemik auch als „Fachmann“ einzugreifen und
eine Blamage der Arbeiter-Zeitung, dass Offenbach verklungen und
vertan sei, wettzumachen, habe ich den Beweis angetreten. Der
Herr Privatankläger versucht – hoffentlich vergebens –, das Ge
ständnis seiner Privatanklage, dass er sich „über Auftrag der
Schriftleitung seines Blattes“ Karten zu vier Vorlesungen ge
kauft hat, um „über den musikalischen Teil dieser Darbietung in
der Arbeiter-Zeitung zu berichten“, aus der Welt zu schaffen.
Keinesfalls ist das aber durch die Behauptung möglich, dass der
Privatankläger „niemals von irgend einer mit der Leitung der
Arbeiter-Zeitung in Wien oder mit der sozialdemokratischen
Parteileitung in Wien in Verbindung stehenden Person einen
Auftrag oder auch nur einen Wink erhalten hätte, in gewisser
Richtung zu schreiben“. Er wäre ein schlechter Diener seiner
Herren, wenn es noch eines besonderen Winkes bedurfte, wie er
zu schreiben habe, wenn man ihm zur Kritik eines Vortrages Auf
trag gibt, wo der Vortragende in offener Polemik zu seinen
Herren steht. Dass er den Auftrag nach jahrelangem Schweigen
über das Wirken des Herrn Kraus erhielt, nach vielen Angriffen
und Gegenangriffen, ist Wink genug. Aber die Befolgung dieses
Winkes hat sichtlich auch der Kontrolle der Auftraggeber unter
legen und es könnte durch Zeugen und stilistische Sachverständi
ge nachgewiesen werden, dass der Schluß des „fachmännischen
Artikels“, der nach einer langen Periode des Totschweigens
überraschend erschien, nicht mehr die so wenig markante geisti
ge Handschrift des Kritikers, sondern die anderer Stilisten
seiner redaktionellen Umgebung aufweist. Es war ganz bestimmt
eine redaktionelle Aeusserung, die auf Grund einer Verabredung,
einer Konferenz, und zur kläglichen Wettmachung der kläglichen
Parole „Verklungen und vertan“ zustande gekommen ist. Aber das
beste Zeichen des Winkes ist ja die Art, wie der Privatankläger
sich des Auftrages entledigt hat. War es dem Herrn Privatankläger, der den Beschuldigten sicher besser kannte als dieser ihn,
denn nicht von vorneherein klar, dass bei einem Vortrag des
Herrn Kraus von Offenbachoperetten nicht „über den musikalischen
Teil dieser Darbietung“ zu berichten war, dass es Herrn Kraus
nicht darauf ankam, Musik im gesangstechnischen Sinn darzubieten,
sondern das Kunstwerk Offenbachs, welches einer durch die
moderne Operette schwerhörig gewordenen Zeitgenossenschaft
abhanden gekommen war, neu zu beleben? Hier handelte es sich
nicht darum, dass man auch anderer Ansicht sein dürfte. Gewiss
steht jedem sein Urteil frei. Hier handelte es sich aber von
vorneherein nicht um Kritik, eine solche war niemals beabsich
tigt, denn seitdem Kraus sich von der in bürgerliches Fahr
wasser geratenen sozialdemokratischen Partei, der er niemals
als Mitglied angehörte, abgewendet hat, wurde kein neu er
schienenes Buch, keine Vorlesung sei es eigener Schriften, sei
es der Werke Shakespeares, Goethes, Nestroys, Raimunds oder
anderer Dichter besprochen. Es handelte sich dem Privatankläger und seiner Partei lediglich darum, eine sich selbst zuge
fügte Blamage, dass Offenbach verklungen und vertan sei, aus
zumerzen und unter dem Vorwand einer fachlichen Kritik wurde
„kümmerliches Fachwissen“ dem lebendigen Kunstwerk entgegenge
setzt, um einen Unsinn, der das Hohngelächter der Kunstwelt
hervorgerufen hatte, vergessen zu machen. Ich habe die Berichte
über die von Kraus gehaltenen Offenbach-Vorträge oder von ihm ge
leitete Inszenierung Offenbach’scher Werke nicht zu dem Zwecke
vorgelegt, um zu zeigen, welche Anerkennung diese Wirksamkeit
gefunden hat, sondern lediglich deshalb, weil es eine Offenbach-
Renaissance erst seit dem Wirken des Herrn Kraus für Offenbach
gibt, weil dieses Wirken einem Kunstwerk wieder Anerkennung ver
schafft hat, das geeignet ist, dem Schundwerk der modernen
Operette den Garaus zu machen, und weil aus der Entgegenhaltung
des Berichtes des Privatanklägers mit den vorgelegten Berichten
klar zu Tage tritt, dass der Privatankläger bewusst und will-
kürlich in den kritischen Vordergrund stellt, was, wenn es über
haupt wahr ist und von irgendeinem Fachstandpunkt zu halten
(den noch keiner der hundert Kritiker hervorgekehrt hat), neben
sächlich und für den gewollten Erfolg bedeutungslos war. Es ist
unerfindlich, wieso der Richter erster Instanz zu der Ansicht
kommen konnte, dass all dies nicht geeignet wäre, um „Schlieferl-
und Tinterlpraktiken“, „kümmerliches Fachwissen“ und das übrige
Gesprochene zu beweisen.


Ganz zutreffend hat der Erstrichter erkannt, dass
selbst der Ausdruck „Schlieferl“ in dem gegebenen Zusammenhang,
der Ausdruck als solcher, der, wie nachweisbar, fälschlich der
Rede vom 10. Juni abgehört wurde, der Führung eines Wahrheitsbewei
ses zugänglich ist, weil es ja doch klar ist und wiederholt durch
oberstgerichtliche Entscheidungen festgelegt wurde, dass derjeni
ge, der in einem Zusammenhange ein Wort gebraucht, das eine moralische
Qualität bezeichnet, es straflos anwenden darf, wenn er imstande ist,
die Gesinnungen und Handlungen nachzuweisen, die durch das Wort
charakterisiert werden. Diese Erlaubnis wäre hier, wo tatsächlich
von „Schlieferl- und Tinterlpraktiken“ die Rede war und klar die
Absicht vorwaltete, diese darzustellen und an einem flagranten
Fall zu geisseln, in höchstem Grade gegeben. Wenn der Vortragende
statt von „Schlieferl- und Tinterlpraktiken“ von „Lumpereien“ ge
sprochen, ja selbst den Ausdruck „Lump“ gebraucht hätte, – wie er
nach der Annahme des Richters das Wort „Schlieferl“ gebraucht hat, –
so hätte das vorliegende Material zum Beweis und zur Deckung des
Wortinhalts vollständig ausgereicht, da nichts geringeres be
hauptet werden kann, als dass ein eingeschriebener Sozialdemokrat,
Schöpfer einer „Wohnbaukantate“ zum Preise der sozialistischen Ge
meinde Wien im Nebenamt eine Journalistik bedient, die in ihren
politischen Aeusserungen und ihrer wirtschaftlichen Struktur von
den Hintergründen des Hakenkreuzes nicht zu weit entfernt ist,
und dass er also im Solde einer Zeitung, die die österreichische
Sozialdemokratie aufs Heftigste bekämpft und deren Gesinnung von
dieser aufs Heftigste bekämpft wird, publizistisch wirkt und der
gegenteiligen Richtung durch Abschwächung und Unterdrückung von
Meinungen sich anpasst, wobei es fast noch erstaunlicher ist, dass
ein Blatt extremdeutschnationaler Richtung, als dass die Sozial
demokratie dieses Kuriosum von Inkompatibilität zulässt. Der
Fall lässt sich offenbar nur so erklären, dass zwar Herr Pisk
behaupten kann, dass seine Parteigenossen von seiner Gastrolle
im feindlichen Lager Kenntnis haben, nicht aber dessen Beherr
scher von der sozialdemokratischen Gesinnung des Gastes. Wenn
eine derartige Verwendbarkeit und Gewandtheit, eine derartige
Anschmiegsamkeit und treue Dienstbereitschaft für zwei Herren
eines Journalisten nicht zureichen sollte, dem vom Erstrichter
gesetzten engsten Begriff von Schlieferltum zu entsprechen, dann
läge der erstaunliche Fall jener Unterdrückung der freien Meinungs
äusserung vor, gegen die sich vor allem die sozialdemokratische
Publizistik zu wenden pflegt.


Ich stelle daher den


Antrag:


dieser Berufung Folge zu geben, das Urteil erster Instanz aufzu
heben und ihr aufzutragen, die beantragten Beweise durchzuführen;
eventuell diese Beweise selbst durchzuführen und zu entscheiden.
Ich beantrage den Freispruch des Beschuldigten.


Für den Fall, als das Berufungsgericht die Beweise
selbst durchführt und mich als Zeugen ladet, bitte ich um einen
mindestens vierzehntägigen Zwischenraum zwischen der Zustellung der
Ladung und der Hauptverhandlung, damit für eine entsprechende
neue Verteidigung gesorgt werden kann.


Dr. Oskar Samek als Verteidiger
des Herrn Karl Kraus.