Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten


1 Abschrift 2


BERLIN, DEN 30. Dezember 1930


An das
Landgericht IBerlin


In Sachen
Fackel./. Volksbühne
– 38.0. 549/29 –


soll nochmals ganz kurz zum Ergebnis
der Beweisaufnahme wie folgt Stellung
genommen werden:


I.
(Vertragsstrafe wegen Textänderungen)


Die Vernehmung der Zeugen Kenter,
Lorre und Martin hat einwandfrei er
geben, daß nach Festlegung der Striche
zusammen mit dem Kläger von der Beklagten eigenmächtig weitere Änderun
gen vorgenommen worden sind. Wenn
gleich natürlich bei der Länge der Zeit
nicht alle Änderungen den Beteiligten
mehr in Erinnerung sind, so genügen die
bereits von den Zeugen zugegebenen
Änderungen, um die Beklagte entsprechend
dem Klageantrag zu verurteilen. Es ist
bereits in dem diesseitigen Schriftsatzvom 29. Januar 1930 eingehend begründet
worden, inwiefern sämtliche Striche
insbesondere aber auch die von den


Zeugen bekundeten erheblich sind. Diese Er
heblichkeit muß das Gericht ja auch bereits
vor Erlass des Beweisbeschlusses geprüft
haben. Sollten die von den Zeugen zuge
gebenen Änderungen noch nicht als ausreichend
erachtet werden, so ist jedenfalls für den
3Vortrag des Klägers soviel erwiesen, daß ihm
4der Eid darüber anvertraut werden kann, daß
sämtliche im Schriftsatz vom 29. Januar 1930
angegebenen Änderungen von der Beklagten
vorgenommen worden sind, und zwar nachträglich
und ohne Wissen des Klägers. Auf diesen Eid
dürfte es allerdings nicht mehr ankommen.
Denn nach dem zu den Akten überreichten unbe
strittenen Vertrage zwischen den Parteien ist
jedwede Änderung ohne Zustimmung des Autors
verboten. (§ 9). Auch bei der kleinsten Änderung
ohne Zustimmung des Autors wird daher die in
§ 8 des Vertrages angegebene Vertragsstrafe
fällig. Schon aus diesem Grunde, aber auch
unter dem Gesichtspunkt der Erheblichkeit
genügen daher die von den Zeugen bekundeten
Änderungen. Daß es aber auf die Erheblichkeit
der Streichungen und Änderungen nicht ankommt
ergibt sich aus folgendem:


Im ursprünglichen Vertragsentwurf hatte
sich die Volksbühne in § 9 nur verpflichtet


erhebliche Änderungen nur mit Zustimmung
des Autors vorzunehmen. Diese Abmachung
genügte gerade dem Kläger nicht. Er ver
langte deshalb, daß das Wort „erhebliche“
gestrichen wurde. Im endgültigen Vertrag
ist es dann auf Grund der beiderseitigen
Abmachungen gestrichen worden.


Beweis: Zeugnis des Direktors
Heinrich Fischer, BerlinSchiffbauerdamm, Hotel Hermes,
sowie Eid.


Auf die von der Beklagten immer angeführte
Usance kann es daher nicht ankommen, da
diese abdingbar und sie sich aus dem Ver
trage unter Heranziehung seiner Ursprungs
geschichte ergibt, auch von den Parteien
abgedungen worden ist.


Im übrigen ergibt sich, wie bereits aus
geführt, sowohl aus der Aussage des Zeugen
Lorre wie aus der des Zeugen Martin, daß er
hebliche Streichungen und Änderungen vorge
nommen worden sind. Wenn man einer Figur
z.B. ihr einziges Auftrittswort streicht
(Lobes: „Ganeff“), so ist es sinnlos
und störend sie als stumme Figur trotzdem
auftreten zu lassen und für Kritik und Publi
kum unverständlich, wie in die rein arische
Weihnachtsgesellschaft des Herrn Wacker plötz
5lich als Figur stumm der Jude Lobes gerät.


Der Zeuge Martin hat selbst bekundet, daß
er eine wesentliche Streichung in Erwägung
gestellt und später vorgenommen hat. Nach
seiner Bekundung, daß die Streichung der
Rolle des Lobes mit der Verkürzung des
6Dialogs auf Seite 157 zusammen hängt, beweist,
daß diese Streichung einen ausserordentlichen
Umfang hatte. Die Zeugen haben bereits
darauf hingewiesen, daß die weiteren nicht
vereinbarten Kürzungen durch vorzeitiges
Fallen des Vorhangs eintrat. Schon hierfür
haftet die Beklagte. Ganz abgesehen davon,
daß die Soufleuse im Sinn des § 270 BGB ihre
Erfüllungsgehilfin ist, ist das Fallen des
Vorhanges durch die von Martin angeordnete
7Streichung erheblicher Stellen, die natür
lich nicht genügend vorbereitet war, hervor
gerufen worden. Somit hängen beide Striche,
der rechtswidrig nachträglich vorgenommene
und der durch diesen verursachte zufällige
derart zusammen, daß auch das Fallen des
Vorhangs der Beklagten als ein Verstoß gegen
§ 9 des Aufführungsvertrages angerechnet werden
muß.


Ja übrigen ergibt sich die Erheblichkeit der
Streichungen auf Seite 157 auch aus folgendem:


Der Dialog zwischen Barkassy und Wacker
ist so verkürzt, daß beide nur noch die
Nebensächlichkeiten zu sprechen haben. Aus
diesem Grunde hat die Kritik fast einstimmig
erklärt, daß der vierte Akt der Schwächste sei.
Damit hatte die Kritik recht, da durch die
nachträglichen sinnlosen Striche der stärkste
Akt des Stückes zu den sprachlich inconzisisten
und saloppsten gemacht worden war. Es wird
in dieser Beziehung auf die eingehende Dar
stellung auf Seite 7 des Schriftsatzes vom29. Januar 1930 verwiesen. Die überreichten
Kritiken ergeben also, in welcher unverant
wortlichen Weise der letzte Akt ohne Genehmi
gung des Autors zusammengestrichen worden und
wie der Autor durch diese Behandlung seines
Stückes geschädigt worden ist. Diese Schädigung
hätte nicht eintreten können, wenn es sich
tatsächlich, wie die Beklagte behauptet, um ganz
nebensächliche und unwesentliche Striche gehan
delt hätte.


II.
(Zwang zur nochmaligen Aufführung)
In dieser Beziehung kann auf das bisher Vorge
tragene verwiesen werden. Nur ganz kurz sind
einige Punkte zu betonen, die die Vereinbarung
der Übernahme des Stückes in den Abendspielplan


klar ergeben.


Zunächst ist bereits darauf hingewiesen
worden, daß der Aufführungsvertrag mit seinem
Wort „zunächst“, mit seiner Vereinbarung
monatlicher Abrechnung § 5, die bei einmaliger
Aufführung gar keinen Sinn hätte, mit seiner
Ausdehnung bis zum 1. Januar 1931 (§ 6), die
nur dann eine Bedeutung hätte, wenn der ersten
Aufführung, deren spätester Termin in § 3
auf den Januar 1930 gelegt war, weitere Auf
führungen vertragsgemäß folgen mußten, eindeutig
die Verpflichtung zur mehrfachen Aufführung
und zur Übernahme in den Abendspielplan enthält.
An sich bedarf es also keiner Auslegung des
Vertrages. Will man sie jedoch vornehmen,
so könnte dies nur, das Gericht es mit seinem
Beweisbeschluß zutreffend getan hat, aus der
Entstehungsgeschichte entnommen werden. Danach
war aber wie die von den Zeugen Lvovski und
Fischer bezeugten Unterredungen mit Martin
ergeben, die Übernahme in den Abendspielplan
vereinbart. Auch den Schauspieler Lorre bat
8Direktor Martin auf Herrn Kraus in dem Sinne
einzuwirken, daß nur das Stück der Volksbühne
zur Aufführung überlassen würde, da diese es
zunächst als Matinée und dann im Abendspielplan
bringen werde.


Beweis: Zeugnis 1. des Schauspielers
Peter Lorre,
2. des Regisseurs Martin
3. Eid.


Auch erklärte die Leitung der Volksbühne
ausdrücklich, sie könnte zur Erstaufführung
die Schauspieler Hansen und Morgan nicht engagie
ren, weil diese für die Abende nicht zu haben
wären. Somit war das, was im Vertage zum Aus
druck gekommen ist, auch der Wille der Parteien.
Es bestand für beide Parteien garkein Zweifel
daran, daß das Stück für den Erfolgsfall in den
Abenspielplan übernommen werden mußte. Daß das
Stück aber einen der größten Erfolge errang, den
das Berliner Bühnenleben in den letzten Jahren
erlebt hat, mußten selbst die dem Autor
feindlichen Kritiker der Berliner Presse in
den Pressbesprechungen zugeben, die von dem
Unterzeichneten auf der Geschäftstelle des
Gerichts vollständig niedergelegt worden sind.
Wenn der Zeuge Martin aussagt, daß er zu
so weitgehenden Erklärungen keine Vollmacht
hatte, so ist dem bereits im Schriftsatz vom10. Oktober 1930 entgegen gehalten worden, daß
Martin selbstverständlich auch in der Vorbe
reitungszeit Vollmachten zur Übernahme und
Vorbereitung von Stücken hatte, da er ja sonst
überhaupt nicht mit dem Kläger hätte verhandeln


können. Diese Vollmacht ergibt sich auch
daraus, daß er schon vor dem Antritt seines
Amtes, aber natürlich nach dem Abschluß seines
Vertrages genau wie dem Kläger auch mit Schauspie
lern verhandelte, diese angestellt und mit
ihnen in Lovrana geprobt hat.


Beweis: Zeugnis des Schauspieler PeterLorre und des Regiesseurs Martin.


Im übrigen wird der Beklagten noch der
Eid
darüber zugeschoben, daß der Zeuge Martin die
Vollmacht hatte, mit dem Kläger abzuschliessen
und ihm die Übernahme des Stückes in den Abend
spielplan sozusagen. Daß die Zusage tatsächlich
erfolgt ist, kann nach den Aussagen der Zeugen
Fischer und Lvovski, zu denen jetzt noch die
Aussage des Lorre treten wird, nicht zweifelhaft
sein.


Auch Martin hat ja zugegeben, daß er von
einer Übernahme in den Abendspielplan gesprochen
hat. Er hat weiter erklärt, daß er die Verhand
lungen in Vorbereitung seines künstlicheren
Spielplans geführt hat. Wenn er glaubt, daß
er trotzdem nicht bindend abschliessen konnte,
weil sein Vertrag erst vom 1. September 1929 ab
in Wirkung trat, so ist das ein Irrtum, der
eben bereis hinreichend widerlegt ist. Ganz
abgesehen davon, daß im Schriftsatz vom 10. Okt. 1930


die Unglaubwürdigkeit des Zeugen Martin erhärtet
wurde.


Hält man aber den bisherigen Beweis für
die Verurteilung, der Beklagten noch nicht als
ausreichend, so kann man an dem letzten Glied
der Beweiskette nicht vorüber gehen, das schlüs
sig dartut, daß auch die Leitung der Beklagten
mit der Übernahme des Stückes in den Abendspiel
plan einverstanden war, daß sie dies dem Kläger
durch den Zeugen Martin mündlich zusagen ließ, und
daß sie sich darüber klar war, daß diese Zusage
auch in den eben angeführten Punkten des Aufführungsvertrages ihren Niederschlag and Ausdruck
gefunden hat. Es wird daher gebeten, notfalls
noch dem Beweis näherzutreten, der auf Seite 21
des diesseitigen Schriftsatzes vom 29. Januar 1930
angeboten worden ist.


Gleich nach der ersten Aufführung des Stückes
trat nämlich die oesterreichiscke Gesandtschaft
in Berlin an den Direktor Neft bei der Beklagten
heran, um eine Unterdrückung des klägerischen
Stückes zu bewirken, das in für die Gesandtschaft
unliebsamer Weise die oesterreichischen politischen
Verhältnisse beleuchtet. Bei dieser Gelegenheit
erklärte der Direktor der Beklagten, Neft, dem
Unterhändler der Oesterreichischen Gesandtschaft
er könne sich auf die Absetzung des Stückes


vom Spielplan nicht einlassen. Er habe mit
dem Kläger vereinbart, daß dieses auch weiterhin
im Abendspielplan aufgenommen werden solle.
Er sei dazu vertraglich verpflichtet und würde
sich bei einer Unterdrückung des Stückes er
heblichen Schadensersatzansprüchen aussetzen.
Die Beklagte hat damit durch ihren ersten Direktor einwandfrei eingestanden, was die Verein
barungen mit dem Klager zu bedeuten haben und
daß sie zur Übernahme dem Stückes in den Abend
spielplan verpflichtet ist. Erst als ihr
Deckung für den eventuellen Regreß zugesagt
wurde, hat sich die Beklagte bereit erklärt –
und erhebliche Bedenken wegen ihrer vertraglichen
Vereinbarungen mit dem Kläger – das Stück vom
Spielplan abzusetzen und hat allein daraufhin
auch die schon angesetzte und öffentlich bekannt
gemachte zweite Matinée abgesagt.


Beweis: Zeugnis des Presschefs Dr.
Wasserbeck, zu laden BerlinBendlerstrasse 15 b.d. oester
reichischen Gesandtschaft,
Jacoby, Berlin W15, Joachimsthalerstr. 5.


Mit Erhebung dieses Beweises ist dann jeder
Zweifel über den Umfang und die Bedeutung der
Abmachungen der Parteien ausgeräumt.


Alles was nicht ausdrücklich zugestanden ist,
wird bestritten und bei der bisherigen Sachdar
stellung verblieben.


Abschrift ist niedergelegt.


gez. Dr. Laserstein
Rechtsanwalt.


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