In der Einlaufstelle des Landesgerichtes für Strfs.Wien I, wurde am
19. Oktober 1929 in der Sache
Karl
Kraus
eine
Ehrenbeleidigungsklage
in
1 Exemplare mit 2 Beilage 1 Vollmacht
überreicht.
Landesgericht für Strafsachen Wien I.
am 19. Oktober 1929
Kofmann
Landesgericht für Strafsachen IWien.
Karl Kraus,
Schriftsteller
Wien III., Hintere Zollamtsstrasse
3,
durch:
1 fach
Beilagen
1 Vollmacht
wegen Ehrenbeleidigung
begangen durch
die Presse
beantragt die Einleitung der
Voruntersuchung gegen den verant
wortlichen
Redakteur des Neuen Wiener Journal Dr. Desiderius
Papp
und weitere
unbekannte Täter.
In den Nummern des „Neuen Wiener Journal“vom 8. September 1929 und
vom 11. September erschienen 1929
unter
dem Titel „Genossen
unter sich“ zwei Aufsätze, welche folgende
Beleidigung meiner Person
enthalten.
1.) Dass Karl Kraus
kapituliert hat;
2.) dass er ein
rotes Revolverschmöckchen sei;
3.) dass er sich in den Grosskampftagen gegen Schober an die
Rockschösse der marxistischen Verleumder hing;
4.) dass er in einem
publizistischen Wettstreit mit dem Steinhofer
„Goldfüllfederkönig“ geriet;
5.) dass er sich aus der
Schlachtarena geschlichen hat;
6.) dass er zwei Jahre hindurch Schober als
„Arbeitermörder“
und
„Bluthund“ geschildert habe und nun vor eben diesen Schober
auf den Knien liege und ihn als
Retter des Vaterlandes preise.
Hiedurch hat mich der unbekannte
Verfasser
dieser Artikeln fälschlich
unehrenhafter oder unsittlicher Hand
lungen geziehen und
mich öffentlich geschmäht. Der verantwort
liche Redakteur des
„Neuen Wiener Journals“ Dr. Desiderius Papp
hat sich dieser Vergehen
mitschuldig gemacht, falls er die Ar
tikeln vor der
Drucklegung gelesen und zum Drucke befördert hat.
Anderenfalls die Uebertretung der
Vernachlässigung der pflicht
gemässen Obsorge begangen.
Meine Stellungsnahme gegenüber
dem jetzigen
Bundespräsidenten Schober wurde ganz selbständig, ja sogar im Ge
gensatz zur
Sozialdemokratie geführt und hatte durch die Ereignis
se der letzten Zeit
keine Aenderung erfahren. Die falsche Dar
stellung des „Neuen Wiener Journals“ durfte seine Ursache
in
meinen publizistischen
Angriffen gegen dieses Blatt baben, die
die moralische Divergenz zwischen
der Haltung im Schriftteile
und
den Aufnahmen im Inseratenteile zum Gegenstand hatte.
Ich beantrage
I.) Die Einleitung der
Voruntersuchung gegen Dr. DesideriusPapp und gegen
unbekannte Täter;
II. )
Vernehmung des Beschuldigten über den Verfasser der
der Artikeln und ob er sie
vor der Drucklegung gelesen und zum
Druck befördert hat;
III.) Einholung einer
Leumundsnote und Strafkarte des
Beschuldigten.