29. April 1930.
Dr.S/Fa.
An das
Handelsgericht
Wien.
Klagende Partei: Karl Kraus, Schriftsteller in WienIII.,
Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,
durch:
Beklagte Partei: Th. Knaur Nachf. Verlag, Berlin W. 50,Pragerstrasse Nr. 14.
wegen Veröffentlichung und
Zahlung
eines Betrages von
Mark 10.000.––
Streitwert S
16.970.––
2 fach
1 Rubrik
1 Vollmacht
6 Beilagen.
Klage.
Die klagende Partei stand mit
der beklagten Partei
wegen Veröffentlichung des Werkes der
klagendenPartei „Die letzten Tage der Menschheit“ in
Verlagsvertrags
verhandlungen, die ursprünglich durch Herrn Richard Lanyi,
Wien I., Kärtnerstrasse Nr. 44 geführt wurden. Da
die brieflichen
Unterhandlungen
nicht genügten, um den Vertrag abzuschliessen,
fanden zirka Mitte Jänner 1930
zwei Unterredungen zwischen dem
Gesellschafter der beklagten Firma, Herrn Droener, und der
klagenden Partei statt. Bei der ersten Unterredung waren die
Grundzüge des abzuschliessenden
Vertrages bereits ins Klare ge
bracht worden und bei der zweiten Unterredung am 17. Jänner
1930 hat Herr Droener mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass
er nunmehr mit seinen Sozien
gesprochen habe, mit dem Kläger
einen Verlagsvertrag folgenden
Inhaltes geschlossen.
Das Werk des Klägers „Die letzten Tage derMenschheit“ erscheint im
Verlage der beklagten Partei in einer
Auflagezahl von 100.000 Exemplaren im Herbst 1930. Auf Kosten
des Verlages wird ein erklärendes
Register angefertigt und hinzu
gedruckt werden. Als Honorar dafür waren Mark 10.000.–– verein
bart, die beim
Erscheinen des Werkes zu bezahlen sind.
Die beklagte Partei
sollte nach Rückkehr des Herrn Droener aus München
eine schriftliche
Vertragsausfertigung einsenden und der Kläger
ein unmittelbar nach Empfang
auszuübendes Rücktrittsrecht haben.
Gegenwärtig beim Abschlusse
dieses Vertrages war Herr Direktor
Heinrich Fischer, Berlin NW 6, Theater am Schiffbauerdamm,Schiffbauerdamm 4a.
Die beklagte Partei bestreitet
nunmehr wahr
heitswidrigerweise den Abschluss des Vertrages. Der Kläger er
klärt von seinem
Rücktrittsrecht keinen Gebrauch zu machen.
Beweis: Korrespondenz, Direktor HeinrichFischer, Berlin NW 6,
Theater amSchiffbauerdamm,
Schiffbauerdamm 4a,
Parteienvernehmung.
Die klagende Partei stellt durch
ihren
mit beiliegender
Vollmacht ausgewiesenen Anwalt das Begehren
auf
Fällung des
Urteils:
die beklagte
Partei ist schuldig, im Herbst 1930 das Werk
der klagenden Partei „Die
letzten Tage der Menschheit“ in
ihrem Verlag erscheinen zu lassen und
den Betrag von Mark
10.000.– am
1. Oktober 1930 zu bezahlen und die Prozesskosten
zu ersetzen, letztere binnen 14
Tagen, alles bei sonstiger
Zwangsvollstreckung.
Die Zuständigkeit des Wiener Gerichtes
gründet sich auf § 99 J.N. Die beklagte Partei hat bei ihrer
Wiener Auslieferungsstelle der
Firma Leopold Heidrich,
Buchhandlung, Verlag und Auslieferungsstelle Wien I., Spiegelgasse 21 ein grösseres Guthaben.