1 Cg
110/30
4
An das
Handelsgericht,Wien.
Klagende
Partei:
Karl Kraus, Schriftsteller in WienIII.,
Hintere Zollamtsstraße Nr. 3
durch:
Dr. Oskar Samek,
Rechtsanwalt
Wien I., Schottenring 14
Beklagte
Partei:
Th. Knaur Nachf., Verlag,
Berlin W. 50, Pragerstrasse Nr. 14
durch:
Dr. Alfred Seiller,
Rechtsanwalt
Wien I., Esslinggasse 5
Dr Alfred Seiller
wegen
Veröffentlichung und Zahlung eines
Betrages
von Mark 10.000.–
Streitwert
S 16.970.–
Klagebeantwortung.
Beschluss.
Die mündliche Streitverhandlung
wird auf den
8. September 1930,
12 Uhr m. Saal VIII
angeordnet.
Handelsgericht
Wien I., Riemergasse 7,
Abt. 1, am 11.7.1930.
2fach, 1 Rubrik.
[Unterschrift]
Gegen die Klage 1 Cg 110/30/1 erstatten wir
in offenstehender Frist durch
unseren ausgewiesenen Ver
treter die nachstehende
Klagebeantwortung:
Die Klage behauptet, daß zwischen den Parteien
ein bindender Vertrag zu Stande
gekommen sei, inhaltlich
dessen
sich der beklagte Verlag durch seinen Gesellschafter
Herrn Droemer verpflichtet habe, das Werk des Klägers
„Die letzten Tage der Menschheit“ in einer Auflagezahl von
100.000 Exemplaren im Herbste
1930 dergestalt erscheinen
zu
lassen, daß auf Kosten des Verlages ein erklärendes
Register
angefertigt und
hinzugedruckt werden solle.
Ferner seien als Honorar RM
10.000.– vereinbart
worden, die
beim Erscheinen des Werkes zu bezahlen
gewesen
wären.
Es wird nun auf das
Entschiedenste bestritten,
daß
ein solcher Vertrag zwischen dem Herrn Kläger und
dem
beklagten Verlage abgeschlossen
worden sei. Es fanden viel
mehr bloß Vertragsverhandlungen statt, die allenfalls zu
einem Abschluss eines Vertrages
hätten führen können, tat
sächlich aber nicht dazu geführt haben.
Wir bringen diesbezüglich
Nachstehendes vor:
1.) Schon im vorigen Jahre fanden
in Wien flüchtige
Unterhaltungen zwischen dem Herrn
Kläger und Herrn
Droemer
statt, bei denen
Herr Droemer sein Interesse an dem Werke
des Klägers bekundete. Diese Unterhaltungen waren nur ganz
kurz und oberflächlich und hatten
keine weiteren geschäftlichen
Besprechungen zur Folge.
Im Jänner dieses Jahres erhielt
Herr Droemer von
dem gemeinsamen Geschäftsfreund,
Herrn Richard Lanyi,
in Wien ein Telegramm nachstehenden Inhaltes:
„Erbitte Nachricht, wann
eintreffet und ob
prinzipiell
entschlossen, da soeben anderer grosser
Verlag, der schon vor Jahren herantrat, bereit ist,
mit mir das Werk im Frühjahr herauszugeben.“
Dieses Telegramm beantwortete Herr Droemer mit
seinem Schreiben vom 2. Jänner 1930, in dem er noch verschie
dene Auskünfte von
Herrn Lanyi
verlangte und ferner betonte,
daß
er sich die Angelegenheit noch reiflich überlegen müsse,
und ihm frei stellte, ein etwa
von anderer Seite gestelltes
Angebot anzunehmen.
In demselben Sinn schrieb Herr
Droemer auch am
9. Jänner 1930 und schlug hiebei
eine mündliche Besprechung
vor,
wobei er bemerkte, daß er dem Herrn Kläger
jederzeit
zur Verfügung stehe.
Beweismittel: Schreiben vom 2. Jänner 1930 Nr.
1 und vom
9. Jänner 1930
Nr. 2; Vernehmung der Parteien.
2.) Daraufhin kam der Herr Kläger im Jänner 1930 nach
Berlin. Es wurde eine Zusammenkunft in dem Berliner Wein
restaurant Kempinski verabredet. Zu dieser Zusammenkunft
erschien Herr Droemer und fand bereits den Herrn Kläger und
den in der
Klage genannten Herrn Direktor HeinrichFischer anwesend.
Bei dieser Zusammenkunft
erklärte Herr Droemer,
daß er mit seinen Socien nicht
ins Einvernehmen wegen des
Werkes käme, daß diese sehr viele
Bedenken hätten und daß
auch er
nicht recht wüßte, so sehr er sich auch für das
Werk interessiere, ob es für seinen Verlag annehmbar sei.
Zu eingehenden Besprechungen kam
es bei dieser
Zusammenkunft
nicht. Man trennte sich schließlich und Herr
Droemer erklärte, daß er mit seinen Socien erst nocheinmal
den Fall überlegen müsse.
Es wurde eine Zusammenkunft für
den nächsten Tag
vereinbart.
Beweismittel: Vernehmung der Parteien.
3.) Am nächsten Tage trafen sich
der Herr Kläger und
Herr Droemer wieder bei Kempinski und unterhielten sich zu
nächst allein
miteinander. Hiebei wurde folgendes besprochen:
Es sei ausgeschlossen, daß das
Werk des Herrn
Klägers etwa in der Standard-Serie des beklagten Verlages
erscheine, da es ganz aus dem
Rahmen dieser Serie herausfalle
und außerdem eine Reihe von Werken in dieser Serie erschei
ne, die sich mit dem
Werke des Herrn Klägers absolut nicht
vertrügen.
Herr Droemer wolle aber den Versuch machen, seine
Socien für eine neue Form,
nämlich für das Erscheinen des
Werkes in einer Sonderausgabe des
Verlages
zu interessieren.
Diese Mitteilung machte Herr Droemer vor einer
festen Abrede mit seinen Socien,
da er doch zunächst die
Einwilligung des Herrn Klägers zu dieser völlig
neuen Form
haben mußte, bevor er
die definitive Zustimmung seiner
Socien einholen konnte.
Herr Droemer sagte ferner, daß der Herr Kläger,
wenn es zu der
neuen Form des Erscheinens seines Werkes
in
dem beklagten Verlage komme, ein
Honorar von 10.000 Mark
erhalten
sollte, als Voraushonorierung für eine Auflage von
100.000 Stück unter
Zugrundelegung eines Preises von 10 Pfg.
pro Stück, wobei der Herr Kläger unter Berufung auf den
inzwischen hinzugekommenen Herrn
Direktor Heinrich
Fischer
einwarf, daß er weit höhere
Angebote hätte.
Es wurde dann noch davon
gesprochen, eventuell die
Gutenberg-Gilde zu veranlassen, sich mit 30.000
Exemplaren
zu beteiligen und
hiefür 30 Pfg. pro Exemplar an den Herrn
Kläger zu zahlen.
Nachdem noch, wie es bei solchen
Gelegenheiten
geht, viel hin
und her gesprochen worden war, trennte man
sich mit folgendem Ergebnis:
Herr Droemer erklärte, daß er jetzt nach München
fahren müsse. Hierauf erwiderte der
Herr Kläger: „Nun
es
ist gut, Herr Droemer, wenn Sie alsdann zurückkommen,
schicken Sie mir alles
schriftlich zu und dann werde ich
sehen, ob ich Ihre Vorschläge
annehmen kann und wie wir
miteinander einig werden können.[“]
Beweismittel: Herr Direktor Heinrich Fischer
als Zeuge, Vernehmung der
Parteien.
4.) Wie sich aus der
vorstehenden Darstellung ergibt,
kann von dem Abschluss eines Verlagsvertrages oder von einer
von Herrn Droemer für unseren Verlag bindend abgegebenen
Offerte, die nur der Annahme oder
der Ablehnung des Herrn
Klägers bedurft hätte, nicht die Rede sein.
Auch die zweite Besprechung bei
Kempinski hatte den
typischen Charakter von
Vertragsverhandlungen, die zur Vor
bereitung des eigentlich abzuschliessenden Vertrages dienen
sollen. Der Abschluss war in der
Weise gedacht, daß wir auf
Grund
der gepflogenen Verhandlungen nunmehr ein schriftliches
Offert an den Herrn Kläger stellen sollten, über dessen An
nahme oder Ablehnung
sich der Herr Kläger innerhalb der von
uns in dem Offert allenfalls
gestellten Frist zu erklären
hatte.
Daß es sich nur um
Vorverhandlungen und nicht um
den
Vertragsabschluss selbst handelte, geht auch daraus
hervor, daß viele Punkte nicht
besprochen worden waren, die
üblicher Weise in dem Verlagsvertrage geregelt werden und
auch in dem vorliegenden Falle
hätten geregelt werden
müssen. So
war noch nicht besprochen worden, was mit den
bereits erschienenen Werken (Auflagen,
Exemplaren) geschehen
solle, in
welchem Einband das Werk zu erscheinen habe, in
welchem Druck, in welcher äußerer
Ausstattung, wie die
Anpreisung des Werkes zu geschehen
habe und dergl. mehr.
Beweismittel: Vernehmung der Parteien.
5.) Wie sich aus den Angaben der
Klage selbst ergibt,
war
die schriftliche Errichtung des Vertrages in Aussicht
genommen worden. Diese hätte
darin bestanden, daß wir ein
schriftlich vollkommen ausgearbeitetes Offert an den Herrn
Kläger gesandt hätten und dieser dann das Offert schrift
lich anzunehmen oder
abzulehnen gehabt hätte.
Da es nun nicht zu dieser
schriftlichen Errichtung
gekommen
ist, so ist der Vertrag auch von Gesetzeswegen
als nicht geschlossen anzusehen,
wie sich aus folgendem
ergibt:
Der Herr Kläger behauptet, daß der Verlagsvertrag
in Berlin abgeschlossen worden sei. Da also das Rechtsge
schäft, wenn
überhaupt, so in Berlin getätigt worden ist, wir
vom Standpunkt Oesterreichs
Ausländer, der Herr Kläger aber
Inländer ist, so ist das
Rechtsgeschäft nach den Gesetzen
des Ortes, wo das Geschäft abgeschlossen worden ist, also
nach dem deutschen bürgerlichen
Gesetzbuch zu beurteilen
(§ 37 a.b.G.B.).
Dieses bestimmt aber in § 154 folgendes:
„Solange nicht die Parteien sich
über alle Punkte
des Vertrages
geeinigt haben, über die nach der Er
klärung auch nur
einer Partei eine Vereinbarung ge
troffen werden
soll, so ist im Zweifel der Vertrag
nicht geschlossen. Die
Verständigung über einzelne
Punkte ist auch dann nicht bindend, wenn eine Auf
zeichnung
stattgefunden hat.
Ist eine Beurkundung des
beabsichtigten Vertrages
verabredet worden, so ist im Zweifel der Vertrag nicht
geschlossen, bis die
Beurkundung erfolgt ist.“
Diese gesetzliche Vermutung hat
in dem vorliegen
den
Falle deshalb Anwendung zu finden, weil zu mindesten ein
Zweifel besteht, ob uns
die Besprechung trotz Verabredung
der Beurkundung schon endgiltig binden sollte. Dieser
Zweifel läge nur dann nicht vor,
wenn ausdrücklich erklärt
worden
wäre, daß wir schon jetzt gebunden sein wollen.
Eine solche Erklärung wurde aber
von Herrn Droemer
nicht abgegeben.
Auch innere Gründe sprechen
dagegen, daß Herr
Droemer den in Rede stehenden Verlagsvertrag mündlich
abge
schlossen hat.
Handelte es sich ja doch nicht um einen
unbedeutenden Verlagsvertrag,
sondern um einen Vertrag, der
uns
wegen der ganz ungewöhnlich hohen Auflagezahl von
100.000 Exemplaren ein großes
finanzielles Risiko aufbürdete
und daher in allen Punkten genau bestimmt sein mußte.
Ein solcher Vertrag pflegt aber
von Kaufleuten
nicht anders als
schriftlich abgeschlossen zu werden. Der
schriftliche Abschluss ist umso
notwendiger, als sich ja
bekanntermassen selbst dann, wenn alles eingehend mündlich
besprochen worden ist, bei der
schriftlichen Formulierung
immer
wieder herausstellt, daß die Parteien manche wichtige
Punkte verschieden aufgefaßt
haben.
Zu demselben Ergebnisse wie der
§ 154 des deutschen
bürgerlichen Gesetzbuches führt
auch die Anwendung des
österreichischen Rechtes (§ 884 a.b.G.B.).
Wir stellen daher den
Antrag
auf kostenpflichtige Abweisung
der Klage.