Sehr geehrter Herr Kollege!
Ihr Schreiben vom 13. August 1931 mit der
Abschrift des vom Verlag S.
Fischer angeblich am 17. Juli 1928 an
Herrn Kraus gerichteten Briefes habe ich meinem Mandanten, der
verreist ist, an seinen Urlaubsort nachgesendet. Gleichzeitig habe
ich, um alle Eventualitäten
erschöpfend zu erforschen, im Verlag„Die Fackel“, bei
Herrn Sigismund von
Radecki und bei Herrn Dr.
Laserstein nachgefragt, ob bei Ihnen das Schreiben vom 17. Juli
1928 liegt oder ob sie etwas
darüber wissen. Weder Herr Kraus noch
die anderen Befragten können
sich überhaupt an ein Schreiben des
S. Fischer-Verlages an Herrn Kraus erinnern. Dass ein solches Schrei
ben jemals angekommen, ist
daher auszuschliessen; wenn ein solches
angekommen wäre, so hätte es
Herr Kraus gewiss sofort beantwortet
und auf die Unmöglichkeit
hingewiesen, sich Beschränkungen aufer
legen zu lassen, die von
anderen als künstlerischen Richtpunkten
geleitet werden. S. Fischer hätte ja, da in dem Brief noch erwähnt
wird, er erwarte mit
Interesse die Antwort über die Aufnahme seines
Vorschlages, diese
betrieben, wenn es sich nicht, wie ich von allem
Anfang an vermutete, nur um
einen Briefentwurf gehandelt hätte. Sie
werden also doch überzeugt
sein müssen, dass der Brief nicht in den
Besitz des Herrn Kraus gelangt ist. Ihre logische Deduktion, dass
er in den Besitz des Herrn
Kraus gelangt sei, weil „Postsendungen
erfahrungsgemäss nicht verloren zu gehen pflegen“, ist unhaltbar,
Postsendungen werden in der
Regel zugestellt, die Erfahrung lehrt,
dass dies manchmal nicht der Fall ist. Die Erfahrung
kann aber nie
lehren, dass
Postsendungen nicht verloren zu gehen pflegen. Nur ein
recommandiert aufgegebener
Brief mit erhaltenem Rückschein ist ein
Beweisstück. Ohne einen
solchen könnte auch er verloren gegangen
sein.
Sie schrieben, dass Ihnen
meine „Erwähnung“, dass
das Manuskript des Auswahlbandes
Ihrer Mandantin vorgelegen hat,
nicht recht verständlich
ist. Ich hatte niemals die Absicht, Ihnen
gegenüber etwas zu
„erwähnen“, also Ihnen nebenbei eine Tatsache
mitzuteilen, sondern aus
einer Tatsache, die Ihnen ja bekannt war,
rechtliche Schlüsse zu
ziehen. Mein rechtlicher Schluss ist also
der folgende: Herr Kraus hat das Manuskript des Auswahlbandes dem
S.
Fischer-Verlag seinerzeit übergeben. Dies geschah nicht zur Begut
achtung des
Manuskriptes oder zu einer kritischen Aenderung, sondern
zum Abdruck. Als der S.
Fischer-Verlag die Vervielfältigung nicht
begann, wurde er am 28. März
1930 durch Dr. Laserstein hiezu aufgefor
dert. Als Antwort
darauf schrieben Sie, sehr geehrter Herr
Kollege, dass
Sie aus in
der Sache vorhandenen Briefen entnehmen, dass es zum Ab
schluss eines
Verlags-Vertrages nicht gekommen sei, dass, selbst wenn
ein Verlags-Vertrag
abgeschlossen worden wäre, Ihre Mandantin
ange
sichts
der inzwischen abgelaufenen Zeit nicht verpflichtet und nicht
in der Lage sei, das Werk herauszubringen; um aber Herrn
Kraus jedes
Entgegenkommen zu beweisen,
sei Ihre Mandantin bereit, ihm das Recht
zur Herausgabe in einem
anderen Verlag frei zu geben. Was also Herrn
Kraus freigegeben wurde, war das dem S.
Fischer-Verlag übergebene
Manuskript. Sämtliche, mit
der Angelegenheit der Altenbergauswahl
befassten Personen
bestätigen, dass Ihnen gegenüber niemals von
einer Beschränkung der
Auswahl auf 400 Seiten die Rede war.
Ich kann jetzt, wo ich das
Schreiben vom 17. Juli
1928 kenne, nur erklären,
dass ich, selbst wenn Herr Kraus es erhalten
hätte, daraus niemals den
Zwang ableiten würde, der Band
„müsse“
einen Umfang von
400 Seiten haben, sondern lediglich, dass dem
S.
Fischer-Verlag ein solches Ausmass „vorgeschwebt“ hat. Ich glau
be aber nicht,
dass der S.
Fischer-Verlag auch auf die Einhaltung
einer solchen Seitenzahl
bestanden hätte, wenn Herr Kraus ihm im
Falle des Empfanges des Briefes vom 17. Juli 1928 die Unmöglich
keit einer solchen
künstlerischen Beschränkung dargetan hätte. Denn
damals war für S.
Fischer lediglich die Verkäuflichkeit des Buches
das Wichtigste, nicht der Umfang. Der Verlag S.
Fischer sucht glau
ben zu machen, dass er schon
damals das Buch wie ein in einem
anderen Verlag erscheinendes
betrachtet hat.
Obwohl auch die
Beschränkung, dass Ihre Mandantin
lediglich bereit ist, die
Urheber- und Verlagsrechte für den Auswahlband
auf die Lebenszeit von Herrn Kraus ihm zu
überlassen,
mindestens
aber auf 10 Jahre von 1. Juli 1931 an gerechnet, der sei
nerzeitigen Bereitwilligkeit
in Ihrem Briefe aus dem Jahre 1930
widerspricht, ihm die Rechte
der Herausgabe in einem anderen Verlag
frei zu geben, wobei eine
Einschränkung nicht gemacht wurde, will
mein Mandant aus dieser keine weiteren Konsequenzen ziehen und
ist
mit der nunmehr
gemachten Zeitbeschränkung einverstanden.
Es erscheint sohin mein
Verlangen nicht unbe
rechtigt, dass endlich die
verlangte Zustimmungserklärung an die
Kinderschutz- und Rettungsgesellschaft abgehen wird und
ich ersuche
Sie, Ihre Mandantin dazu zu veranlassen.
Mit vorzüglicher
kollegialer
Hochachtung