BlaubartArbeiter-Zeitung, 5.12.1930Arbeiter-Zeitung, 9.6.1929Ehrenbeleidigungsklage gegen Karl KrausDie Fackel


Im Vollmachtsnamen des Herrn KarlKraus verlange ich die Aufnahme der Berichtigung der in
Ihrer Nummer 334 vom 5. Dezember 1930 in der Gerichtssaalrubrik
Ehrenbeleidigungsklage gegen Karl Kraus“ mitgeteilten meinen
Mandanten betreffenden unrichtigen Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.


Sie schreiben: „Bevor noch ein Bericht
in der Arbeiter-Zeitung erschienen war, benutzte Kraus den
Vortrag der Operette ‚Blaubart‘, um (in den ‚aktuellen Zeit
strophen‘, die er dem darin vorkommenden Höflingslied des Grafen
Oskar beifügte) den anwesenden Dr. Pisk als ‚Schlieferl‘ zu be
schimpfen …. Inzwischen war das Referat in der Arbeiter-Zeitung erschienen (9. Juni 1929), worauf Kraus in einer Vor
lesung am nächsten Tage die Beschimpfungen gegen Pisk wieder
holte. Wieder bezeichnete er ihn als ‚Schlieferl‘, redete …
vom ‚kümmerlichen Schönberg-Schüler‘ und ähnlichem mehr.)“ Es
ist unwahr, dass Kraus in den aktuellen Zeitstrophen den an
wesenden Dr. Pisk beschimpft hat. Wahr ist, dass in keiner der
aktuellen Zeitstrophen dieser Blaubart-Vorlesung Herr Dr. Pisk
auch nur erwähnt wurde, wahr ist, dass vor einer Zeitstrophe
eine Polemik allgemeiner Art gesprochen wurde. Es ist unwahr,
dass an dem Tage nach dem 9. Juni 1929 Dr. Pisk „wieder“ in der
angegebenen Weise bezeichnet wurde; es ist unwahr, dass der
Ausdruck „kümmerlicher Schönbergschüler“ vorgekommen ist.


Sie schreiben: „Fast anderthalb Jahre
konnte sie (die Verhandlung), infolge steter Vertagungsanträge
des Verteidigers des Geklagten, nicht stattfinden.“ Dies ist
unwahr. Wahr ist, dass von Seiten der Verteidigung lediglich ein
einziger Vertagungsantrag, am 5. März 1930, eingebracht wurde. Wahr
ist, dass die Verhandlung nicht früher stattfinden konnte, weil
Karl Kraus immer wieder zur Inszenierung von Offenbach-Auf
führungen im Berliner Rundfunk und zu Offenbach-Vorträgen ins
Ausland reisen musste.


Sie schreiben: „Dieser Verteidiger hatte
sich auch für die Verhandlung eine erstaunliche Taktik zugelegt.
Einesteils sollte mit den Schimpfworten Pisk gar nicht gemeint
worden sein. Das behauptete der Verteidiger, obwohl es einfach
unmöglich ist, dass Kraus selbst es behaupten könnte, dass er ei
nen anderen als Pisk habe treffen wollen.“ Es ist unwahr, dass
der Verteidiger „behauptet“ hat, dass Pisk „gar nicht gemeint sei“.
Wahr ist, dass der Verteidiger laut dem nunmehr vorliegenden
Protokoll folgendes vorbrachte: „ich will nicht behaupten, dass
der Privatankläger nicht gemeint war, es konnte auch der Privatankläger sich getroffen fühlen. Er war aber nicht erkennbar.“


Sie schreiben: „Zum Beweis, dass Pisk nicht
gemeint worden sei, marschierte eine Reihe von Zeugen auf, die
bestätigen sollten, dass Kraus das, was er gesagt, nicht gesagt
habe.“ Diese Behauptung ist unwahr. Die von der Verteidigung ge
führten Zeugen sollten lediglich bestätigen, dass nicht die von
der Privatanklage behaupteten Worte gebraucht wurden, sondern
eben die, die in der Fackel abgedruckt waren.


Sie schreiben, dass der Verteidiger „einen Wahrheits
beweis anbot: … Pisk hätte auch Musikkritiken für ein Berliner
bürgerliches Blatt geschrieben“. Dies ist unwahr. Wahr ist, dass
der Verteidiger laut dem nunmehr vorliegenden Protokoll einen
Wahrheitsbeweis angeboten hat: dass Pisk „als organisierter
Sozialdemokrat Mitarbeiter der Berliner Börsen-Zeitung ist, die
auf der äussersten Rechten steht und gegen die Sozialdemokraten
auftritt.“


Sie schreiben: „Aber der Einfall, ein grobes Schimpf
wort zu ‚beweisen‘, fand bei dem Richter natürlich kein Verständ
nis.“ Diese Behauptung ist unwahr. Wahr ist, dass der Richter
einen Wahrheitsbeweis als möglich erkannte, aber die angebotenen
Beweise mit seiner Auffassung des inkriminierten Wortes nicht
für kongruent hielt.


Rekommandiert mit Rückschein.


3