1 U 3/31
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Im
Namen der Republik!
Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht
hat heute in Gegenwart des
Privatanklagevertreters
Dr. Oskar
Samek, in Abwesenheit des Angeklagten Dr.
Oskar Pollak
und in Gegenwart des Verteidigers Dr.
Oswald Richter
über die Anklage verhandelt, die der
Privatankläger Karl Kraus
gegen Dr. Oskar
Pollak, 37
Jahre
alt, verheiratet, verantwortlicher Schriftlei
ter der „Arbeiter-Zeitung“ wegen der Uebertretung
nach § 24 (2) 3 Pr.G. erhoben hatte, und über den
vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung des
Beschuldigten und Verpflichtung zur Veröffentli
chung der Berichtigung in
der Zeitung „Arbeiter-Zeitung“ zu Recht
erkannt:
I. Es wird festgestellt von
der Berichtigung,
die der Privatankläger mit Bezug auf den in der Nummer334 der Zeitung
„Arbeiter-Zeitung“ vom 5. Dezem
ber 1930 mit der
Ueberschrift „Ehrenbeleidigungsklagegegen Karl
Kraus“ abgedruckten Artikel dem verant
wortlichen Schriftleiter Dr.
Oskar
Pollak der er
wähnten Zeitung zur Veröffentlichung zukommen liess,
ist zu veröffentlichen:
Sie schreiben: „Bevor noch
ein Bericht in der
Arbeiter-Zeitung erschienen war,
benützte Kraus den
Vortrag der Operette
„Blaubart“, um (in den
‚aktuellen
Zeitstrophen‘, die er dem darin vorkommenden Höflings-
lied des
Grafen Oskar beifügte) den anwesenden Dr.
Pisk als ‚Schlieferl‘ zu beschimpfen …
Inzwischen war das
Referat in der Arbeiter-Zeitung
erschienen (9. Juni
1929), worauf Kraus in einer
Vorlesung am nächsten
Tage die Beschimpfungen gegen
Pisk wiederholte. Wieder bezeichnete er ihn als
‚Schlie
ferl‘, redete … vom ‚kümmerlichen Schönberg-Schüler‘
und ähnlichem
mehr.)“ Es ist unwahr, dass Kraus
in den aktuellen
Zeitstrophen den anwesenden Dr. Pisk
beschimpft hat. Wahr ist,
dass in keiner der aktuellen
Zeitstrophen dieser Blaubart-Vorlesung Herr Dr. Pisk
auch nur erwähnt wurde.
Es ist unwahr, dass an dem
Tage nach dem 9. Juni
1929
Dr. Pisk „wieder“ in der angegebenen Weise
bezeichnet wurde; es ist
unwahr, dass der Ausdruck
„kümmerlicher Schönbergschüler“ vorgekommen ist.
Sie schreiben : „Fast
anderthalb Jahre konnte
sie (die Verhandlung), infolge steter Vertagungs
anträge des Verteidigers des Geklagten, nicht statt
finden.“ Dies
ist unwahr. Wahr ist, dass von Seiten
der Verteidigung lediglich
ein einziger Vertagungs
antrag, am 5. März 1930,
eingebracht wurde. Wahr
ist,
dass die Verhandlung nicht früher stattfinden konn
te, weil Karl Kraus
immer wieder zur Inszenierung von Of
fenbach-Aufführungen im
Berliner Rundfunk und zu Offenbach-Vorträgen
ins Ausland reisen musste.
Sie schreiben: „Zum Erweis,
dass Pisk nicht
gemeint worden sei,
marschierte eine Reihe von Zeugen
auf, die bestätigen
sollten, dass Kraus das, was er
gesagt, nicht gesagt
habe.“ Diese Behauptung ist unwahr.
Die von der Verteidigung
geführten Zeugen sollten
lediglich bestätigen, dass nicht die von der Privatan
klage behaupteten Worte
gebraucht wurden, sondern
eben die, die in der Fackel
abgedruckt waren.
Sie schreiben, dass der Verteidiger „einen
Wahrheitsbeweis anbot: …
Pisk hätte auch Mu
sikkritiken für ein
Berliner bürgerliches Blatt ge
schrieben.“ Dies
ist unwahr. Wahr ist, dass der Verteidiger laut dem
nunmehr vorliegenden Protokoll einen Wahr
heitsbeweis angeboten hat:
dass Pisk „als organisier
ter Sozialdemokrat
Mitarbeiter der Berliner BörsenZeitung ist, die auf der äussersten Rechten steht und
gegen die
Sozialdemokraten auftritt.“
Sie schreiben: „Aber der
Einfall, ein grobes
Schimpfwort zu ‚beweisen‘, fand bei dem Richter
natürlich kein Verständnis.“ Diese Behauptung ist
unwahr. Wahr ist, dass der
Richter einen Wahrheits
beweis als möglich erkannte,
aber die angebotenen Be
weise, mit seiner Auffassung
des inkriminierten Wortes
nicht für kongruent hielt.
II. Dr. Oskar Pollak
wird verpflichtet, diesen
Teil der Berichtigung in der nächsten oder zweitnäch
sten Nummer, die nach
Zustellung des Urteiles erschei
nen wird, in demselben Teil
der genannten Zeitung
und in der gleichen Schrift,
wie die zu berichtigende
Mitteilung zu veröffentlichen, widrigenfalls die genann
te Zeitung nicht mehr
erscheinen dürfte.
III. Dr. Oskar Pollak:
wird von der Anklage wegen
Uebertretung nach § 23 und § 24 (2) 3 Pr.G., an
geblich begangen dadurch,
dass er als verantwortlicher
Schriftleiter der genannten Zeitung sich
grundlos
weigerte, die
vorerwähnte Berichtigung zu veröffent
lichen, gemäss § 253/3 St.P.O. freigesprochen.
IV. Der Privatankläger Karl Kraus hat
gemäss
§ 390 St.P.O. die Kosten des Strafverfahrens zu tra
gen.
Entscheidungsgründe:
Durch das Impressum,
beziehungsweise die Angaben des
Verteidigers ist erwiesen, dass Beschuldigter in
der in Betracht kommenden
Zeit der verantwortliche
Schriftleiter der Zeitung „Arbeiter-Zeitung“ war,
dass er das in Betracht
kommende Berichtigungsschreiben erhalten hat
und dass seit Erhalt desselben mehr
als zwei Nummern der
genannten Zeitung erschienen
sind, die verlangte
Berichtigung aber nicht veröffent
licht wurde.
Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung des
Beschuldigten, die verlangte Berichtigung zu veröf
fentlichen, eine grundlose
war.
Der Verteidiger hatte eingewendet, dass der
Beschuldigte vom Privatankläger in Bezug auf den
selben Artikel 2 Berichtigungen und zwar mit Schreibenvom 23. und vom 30.12.1930 erhalten habe und dass im
2. Berichtigungsschreiben die erste Berichtigung
nicht ausdrücklich
zurückgezogen wurde.
Das Gericht steht auf dem Standpunkt, dass in
einem solchen Falle der Beschuldigte, da er einerseits
nicht verpflichtet sei, 2
Berichtigungen zu veröffent
lichen, andererseits er
nicht verhalten werden könne,
zu prüfen und zu wählen, welche von den beiden Be
richtigungen er
veröffentlichen solle, keine Berich
tigung zu bringen habe,
solange nicht die erste Berichtigung vom Berichtigungswerber
zurückgezogen ist.
Im gegenständlichen Falle
jedoch kann der Inhalt
des
Berichtigungs
Begleit
schreibens zur 2. Berichtigung (Bl. Z. 9)
nicht anders verstanden
werden, als dass die ersteBerichtigung zurückgezogen wird; da der Berichtigungswerber die 2. Berichtigung als „erweiter
tes
Berichtigungsschreiben“ bezeichnet, gibt er damit
zum Ausdruck, dass er nur
auf die Veröffentlichung
dieses 2. Schreibens besteht.
Der Verteidiger hat ferner eingewendet, dass
die Worte „Wahr ist, dass vor einer Zeitstrophe…..
gesprochen
wurde.“ im 1. Punkte der Berichtigung
sich auf keine Stelle des
Artikels bezögen und daher
auch keine Antithese
darstellten.
Das Gericht findet diese Einwendung berechtigt.
Mit diesen Worten wird keine
Tatsachenbehauptung des
Artikels berichtigt, es ist daher auch keine entsprechen
de These vorhanden, diese
Worte sind auch nicht
zum
Verständnis des Lesers nötig, wie der Privatanklagevertreter in seiner Entgegnung auf die Ein
wendung des Verteidigers behauptete, es war also
die Aufnahme dieser Worte in
die Berichtigung überflüs
sig.
Die weitere Einwendung des
Verteidigers ging
dahin, dass im 3. Punkte den
Thesen „Es ist
unwahr,
dass …
bezeichnet wurde“ und „Es ist
unwahr,
dass …
vorgekommen ist.“ keine entsprechenden
Antithesen gegenübergestellt
wurden.
Das Gericht kann dieser Einwendung keine Be
rechtigung zuerkennen, da es
vorliegenden Falles
nicht
notwendig ist, dass den Behauptungen der
These Gegenbehauptungen
gegenübergestellt werden
müssen. Wenn es zum Verständnis hinreicht, ist es
genügend, wenn der Berichtigungswerber die Tatsa
chenbehauptungen des Artikels als „unwahr“ be
zeichnet, ohne eine
ausdrückliche Antithese aufzu
stellen.
Weiters wendete der Verteidiger ein, dass der
Privatankläger zur Berichtigung des 5. Punktes
nicht berechtigt sei, da er
hinsichtlich dieses Tat
sachen nicht als beteiligt
im Sinne des Gesetzes ange
sehen werden könne.
Das Gericht findet diese Einwendung für begrün
det. Wenn in der
betreffenden Stelle des Artikels
gesagt wird, dass der Verteidiger (der Privatanklagevertreter des
gegenständlichen Verfahrens) et
was behauptete, das sein Klient (der Privatankläger des
gegenständlichen Verfahrens) selbst nicht
behaupten könnte, so wird
damit ein ausdrücklicher
Gegensatz zwischen Anwalt und Klient aufgestellt;
es war daher zur
Berichtigung dieser Stelle le
diglich der Anwalt und nicht der Klient berech
tigt.
Der Verteidiger wendete auch ein, dass die Anti
these des 6. Punktes keine
gegensätzlichen
Tatsachenbehauptungen zu der entsprechenden These
enthalte.
Diese Einwendung ist nicht
berechtigt, da in
der
Antithese als Gegensatz aufgestellt wurde, dass
die Zeugen etwas anderes,
als in der Privatanklage
behauptet wurde, bestätigen sollten, welcher Gegensatz
ein genügender zu den
Behauptungen des berechtigten
Artikels ist.
Die weitere Einwendung ging
dahin, dass die
Worte des 7.
Punktes „laut dem nunmehr
vorlie
genden Protokoll“ überflüssig seien.
Wenn auch diese Worte zum
Verständnis dieser
Stelle
nicht unbedingt notwendig sind, nimmt die
Aufnahme dieser wenigen
Worte zu geringen Platz
ein,
als dass wegen dieser Worte die Aufnahme des
ganzen Punktes verweigert
werden könnte.
Ferner wendete der Verteidiger ein, dass die
Worte „… Berliner Börsen-Zeitung … die auf
der äussersten Rechten
steht …“ in der Antithese
des 7. Punktes keinen
Gegensatz zu den Worten des Artikels
„Berliner bürgerliches Blatt“ darstellten.
Das Gericht findet diese Einwendung nicht für
berechtigt, da der Berichtigungswerber gegenüber
der Behauptung des Artikels zum Ausdruck bringen
woll
te, dass
Pisk nicht Kritiken für ein gewöhnliches
Berliner „bürgerliches“
Blatt geschrieben habe,
er
wollte vielmehr dieses Blatt näher bezeichnen, in
dem er es mit
Namen nannte (Berliner Börsen-Zeitung)
und die Richtung dieser Zeitung näher beschrieb als
„auf der äussersten Rechten stehend“, womit in
der Antithese ein genügender
Gegensatz zu den dies
bezüglichen Behauptungen des
Artikels aufgestellt
wurde.
Schliesslich hatte der Verteidiger eingewendet,
dass die Antithese des
letzten Absatzes keinen
Gegensatz zu der betreffenden These darstelle.
Auch diese Einwendung ist
nicht berechtigt.
In der
betreffenden Stelle wird behauptet, dass bei dem
Richter der angebotene Wahrheitsbeweis „kein Ver
ständnis
fand“. Die Antithese geht aber dahin, dass
der Richter einen Wahrheitsbeweis im vorliegenden
Falle als möglich erkannte,
die angebotenen Be
weise aber mit seiner Auffassung des betreffenden
inkriminierten Schimpfwortes
nicht für „kongruent“
hielt,
was einen ganz entsprechenden Gegensatz zu der
These beinhaltet.
Da nach dem Vorgesagten die
verlangte Berichtigung
nicht in allen Punkten dem
Gesetze entsprach, war
die
Weigerung des Beschuldigten, diese Berichtigung
zu veröffentlichen, keine
grundlose.
Das Gericht stellte daher gemäss § 24 (3) Pr.G.
fest, welche Teile der Berichtigung zu veröffent
lichen seien, erkannte auf
Grund dieser Feststel
lung auf Veröffentlichung
und sprach den Beschuldigten von der gegen
ihn erhobenen Anklage frei.
Eine Folge des Freispruches
war der Ausspruch
über den
Kostenersatz, den der Privatankläger zu
tragen hat.
Wien, am 13. Jänner 1931.