Sehr geehrter Herr Kollege!
Herr Kraus beauftragt mich, Ihnen mit
seinem besten Dank und
freundlichen Grüssen Ihr Schreibenvom 16. April 1931 zu beantworten. Wir sind zu der Ansicht ge
kommen, dass die Geltendmachung
der Schadensersatzansprüche,
von
denen Sie selbst sagen, dass sie gegen die Intendanz weni
ger Chancen bietet, als ein Rechtsstreit vor dem ordentlichen
Gerichte, vorerst zurückzustellen
und vielleicht überhaupt
fallen
zu lassen ist, weil dadurch das Augenmerk von der
Hauptsache, der Rechtswidrigkeit
von Streichungen, abgelenkt
würde
und überdies die auskunftgebende Person, die mit Recht
haftbar zu machen wäre, nicht
feststellbar ist. Ihre Vermutung,
dass Herr Dr. Curiel diese auskunftgebende Person
sei, ist ein
offenbarer und Herrn Kraus nicht ganz verständlicher Irrtum, da
ja im Gegenteil, wie Ihnen Herr
Dr. Laserstein gesagt haben muss
und gewiss wiederholen wird, eben
Herr Dr. Curiel ihn an die
Generalintendanz gewiesen hat und ein dortiger Beamter,
ein
Stellvertreter des
Generalintendanten, die Auskunft, die die
Telefongespräche notwendig
machte, erteilt hat. Ich würde
Ihnen demnach empfehlen den
folgenden Brief an die Generalintendanz zu
richten:
Als Nachtrag zu meinem Schreiben vom16. April 1931 teile ich
Ihnen mit, dass ich mich mit meinem
Klienten Herrn Karl Kraus ins
Einvernehmen gesetzt habe, um
die
Präzisierung und Ergänzung des geltend gemachten
Schadens, welcher durch die wegen
irriger Auskunft notwen
digen Telefongespräche entstanden ist, zu erlangen. Mein
Mandant hält an seinem Standpunkt, dass ihm der Ersatz die
ser Auslagen gebührt, fest, meint
aber die Geltendmachung
dieses
Anspruches zurückstellen zu sollen, solange ihm
nicht die Person bekannt wird,
die die falsche Auskunft
erteilt
hat. Ueberdies ist er der Meinung, dass die Geltend
machung dieses Anspruches, bei
der es sich selbstverständ
lich nicht um den Ersatz einiger
Mark, sondern um eine
prinzipielle Frage gehandelt hat, eben diese, die weit
wichtigere Materie der
Streichungen, deren Erörterungen sie
ausschliesslich dienen sollte,
nicht nur nicht fördern
sondern
verwirren würde, und dass zu dieser Erörterung
durch Ihr Schreiben vom 10. April 1931 eine völlig hinreichen
de Basis geboten ist. Der Autor des deutschen Textes der
„Perichole“, der Ihre Ausführungen in der Hauptsache in je
dem Punkte
zurückweist, wird, sowie es seine Zeit gestattet,
in einer entsprechenden Darlegung
den Nachweis liefern, dass
die
Generalintendanz in der Darstellung der
Vorgänge vom
31. März 1931 von
direktorialer Seite irregeführt wurde. Aber
schon bis dahin mache ich Sie auf
die völlige Rechtswidrig
keit jedes Versuches von
Streichungen aufmerksam. Die
Rechtslage ist die folgende:
Die von Ihnen zitierten
„allgemeinen Be
stimmungen für den Geschäftsverkehr“, die einen wesent
lichen Bestandteil Ihres Vertrages mit der UniversalEdition A.G. bilden (§ 14 Abs. 2 des Vertrages), lauten im
§ 7 Z. b: „Der Bühnenunternehmer
ist verpflichtet, soweit
nicht
etwas anderes vereinbart ist, an dem Werk selbst, an
seinem Titel und an der
Bezeichnung des Urhebers Zusätze,
Kürzungen oder sonstige Aenderungen zu unterlassen.
Zulässig
sind Aenderungen, für die der Berechtigte seine Zustimmung
nach Treu
und Glauben nicht versagen kann.“ Zusätze und
Kürzungen werden also
ausdrücklich in Gegensatz zu Aende
rungen gestellt, während Sie sie
in Ihrem Brief gleich
stellen. Gerade diese allgemeine
Bestimmung sichert dem
Autor ein Recht, von dem Sie glauben, dass es ihm
genommen
werde. Die von der
Direktion der Kroll-Oper geplanten und
in einer heimlichen Strichprobe bereits versuchten Striche
sind selbstverständlich das
Gegenteil solcher „Aenderungen“,
die der Autor nach „Treu und Glauben“ hinzunehmen
hätte. Es
reichen also die
allgemeinen Bestimmungen schon völlig aus,
um das Recht des Autors zu
wahren. Ueberdies hatte der Autor
mit der Universal Edition
A.G. eine besondere Vereinbarung
getroffen, dass Aenderungen im
Text oder an der Musik nicht
ohne
seine Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Die Universal
Edition A.G. verpflichtete sich, dies den Bühnen mitzu
teilen und haftete nur nicht für
Aenderungen, die eine
Bühne ohne
Wissen des Verlags macht.
Sie schreiben, man habe die
Aufführungen
„bisher noch“
ohne wesentliche Aenderungen gebracht, wo-
runter Sie offenbar wesentliche
Striche verstanden haben
wollen.
Der Autor ist gerne bereit, an diese
unwesentlichen
Aenderungen
nicht zu glauben und sie bloss für eine Geste
zu halten, umso eher, als die
jedesmalige Kontrolle der
Aufführungen ergeben hat, dass die rechtswidrig versuchten
Striche in korrekter Weise
aufgehoben und auch die durch
Verwirrung der Schauspieler entstandenen Ueberbleibsel
von Strichen (wie die sinnlose
Verkürzung der Worte, die
im
letzten Bild den alten Gefangenen beglaubigen) in durch
aus angemessener Weise wieder
beseitigt wurden. Wäre es
richtig, dass auch nur unwesentliche Striche, die ohne
Wissen und ohne das
Einverständnis des Autors gemacht und
beibehalten wurden, wahrzunehmen
sind, so würden alle
Schritte,
die in dem Brief vom 9. April an die Direktion
der Kroll-Oper
nach §§ 9 und 38 des
Urheberschutzgesetzes
angekündigt waren, durchgeführt
werden. Die von keinem
anderen
Zuhörer mehr als vom Textbearbeiter selbst
empfundenen „Längen“, die ausschliesslich auf Mängel des
rednerischen und technischen
Tempos zurückzuführen waren ,
erschienen zum grössten Teil
schon in der zweiten Auf
führung behoben, was die
Verkürzung der Spielzeit um 47
Minuten dartut. Gerade der Verleger, auf dessen Erfahrung
Sie sich berufen, legt, wie ich
Ihnen mitteilen soll, Wert
darauf, bekanntzugeben, dass er abgesehen davon, dass er
an seinem
Vertrag festhält, niemals das Problem der Striche
auch nur berührt hätte, wäre ihm
jene auf die gemässeste
Art
bewirkte Spielverkürzung als möglich erschienen. Der
Autor weist jeden Versuch, an einer schon ursprünglich
hinreichend aufs knappste
bemessenen dialogischen Quantität
zu kürzen, als dramaturgischen
Dilettantismus zurück,
zu dessen Deckung er niemals seinen Autornamen hergeben
würde. In wie krasser
Weise die Generalintendanz über
seine prinzipielle Bereitschaft,
von jedermann dramatur
gische Ratschläge
entgegenzunehmen, irregeführt wurde
– der freilich auch sein
hartnäckigster Widerstand ent
spricht, sinnlose Eingriffe nach
bereits vollzogenem
Versuch
einfach „zur Kenntnis zu nehmen“ –, darüber, wie
über alle anderen
Unzukömmlichkeiten im persönlichen
Verkehr mit dem Autor, soll die Generalintendanz noch bei
Gelegenheit informiert werden.
Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Kollege,
wenn Sie in irgend einem Punkt
aus juristischen Gründen mit dem
vorliegenden Schreiben nicht einverstanden sein sollten, es mir
mitzuteilen, und zeichne mit
vorzüglicher kollegialer
Hochachtung