Karl KrausBlätter der Staatsoper


Sehr geehrter Herr Doktor!


Eine Krankheit, die mich acht Tage ans Bett fesselte,
hat mich bis heute verhindert, diesen Brief abzusenden.


Von Herrn Dr. Laserstein erfahre ich, Sie hätten seinen
Vorschlag, mich als Zeugen zu dem zwischen Herrn Karl Kraus
und Ihnen geplanten Gespräch zu wählen, mit doppelter Be
gründung abgelehnt: zunächst, weil ich im Vollmachtsnamen
von Herrn Kraus einen Brief unterzeichnet habe, dessen eine
Stelle für Sie so beleidigend sei, dass Sie sich eine Ehren
beleidigungsklage vorbehielten, dann aber, weil ich Herrn
Karl Kraus „hündisch ergeben“ sei.


Ich empfinde die Zuerkennung grosser Ergebenheit für
Herrn Karl Kraus als das Gegenteil einer Ehrenbeleidigung
und möchte sie nicht durch den Vergleich mit der Abhängigkeit
eines Staatstheaterbeamten entwerten (die sich in tausend
Rücksichtnahmen auf Presse, Behörden, Vorgesetzte etc. mani
festiert), behalte mir aber meinerseits wegen des freundli
chen Epithetons die Ehrenbeleidigungsklage vor.


Was nun aber den Vorwurf betrifft, ich hätte Sie durch
den Satz, Sie wollten der Presse in dem Punkte der Striche
entgegenkommen, beleidigt, so erkläre ich aus ehrlichster
Ueberzeugung, dass mir bei meiner Formulierung der animus
iniurandi völlig gefehlt hat. Wie konnte ich annehmen, dass
Sie eine solche Feststellung kränken werde. Aus dem bemer
kenswerten und vielbemerkten Entgegenkommen, das Ihre „Blätter der Staatsoper“ bei der Redaktion des Benjamin-Aufsatzes
der Presse bewiesen haben, indem sie sozusagen aus freien
Stücken der Presse den Strich einer für sie wichtigen Stelle
konzedierten und den gefährlichen Namen Kerr in einer heim
lichen Strichprobe entfernten, musste ich annehmen, dass Sie
sich keineswegs scheuen, offen zu bekennen, wem Ihre Sympa
thien und Ihr Autoritätsglaube gehören.


Dass man Sie nach Ausmerzung jenes Namens, aber auch
nach Ihrer sonst bewiesenen Stellungnahme mit der Vermutung
einer presskonzilianten Haltung kränken würde, war nicht
anzunehmen. Hochachtungsvoll


3Krolloper