Hochgeehrter Herr!
Der Herr Generalintendant der preußischen Staatstheater hat
den Wunsch geäußert, von Herrn Karl Kraus in einer per
sönlichen
Unterredung, die am 28. Mai in Berlin geplant
war,
Aufschlüsse über die
Erlebnisse und Erfahrungen zu erlangen, die
dieser in der Zeit zwischen
der Erwerbung der „Perichole“
durch
die Staatsoper am Platz der Republik und den
ersten Aufführungen
gesammelt
hat. Die Unterredung fand leider nicht statt,
da der Herr Generalintendant wegen der Bühnenvereinssitzungen es
im letzten Augenblick doch
nicht ermöglichen konnte, zu der
Zusammenkunft mit Ihnen und
Herrn Karl
Kraus zu erscheinen, und
es erfolgte zwischen dem Herrn Generalintendanten und Ihnen wie
Herrn Kraus die Einigung, respektive Zusage, daß er, sobald
es
seine Zeit zuließe,
eine umfassende schriftliche Darstellung der
Vorfälle an Ihre Adresse zur
Information des Herrn Generalintendanten
gelangen lassen werde. Diese Darstellung gibt er nunmehr
durch mich als seinen mit
sämtlichen Vertragsabschlüssen beauf
tragten
Vertrauensmann, der hier umso eher berechtigt ist, das
Wort für ihn zu führen, als
die Angelegenheit derzeit mit dem
Anspruch auf das Honorar für
die vertraglich abgemachte Wort
regie verknüpft
erscheint. Wenn Herr Karl Kraus, der ja, da
das
von der Leitung der
Krolloper angedrohte Übel einer rechtswid
rigen Vornahme
von Strichen abgewendet wurde, keinen Grund mehr
und keine Initiative zu
einer Beschwerdeführung hatte, den
Wunsch des Herrn Generalintendanten richtig verstanden hat, so
lag diesem wohl vor allem
daran, von Herrn Kraus Aufklärung über
die Wahrheitsliebe
direktorialer Faktoren zu erlangen, die schon
in der Frage der Striche die
Generalintendanz über das Verhalten
des Textautors
wahrheitswidrig informiert haben. Der Auffassung,
daß eine Überprüfung der
Glaubwürdigkeit gewünscht werde, scheint
freilich der nunmehr von der
Generalintendanz an den Berliner
Rechtsvertreter des Herrn
Kraus ergangenen Bescheid in dem Punk
te zu
widersprechen, daß die Abweisung des Anspruchs auf ein Ho
norar für die
Wortregie gerade unter Hinweis auf die Aussage
einer Seite erfolgt, über
deren Glaubwürdigkeit sich doch der
Herr Generalintendant erst bei Herrn Kraus unterrichten wollte.
Dieser nimmt aber umso eher
an, daß es sich hier bloß um eine
amtliche Formalität handelt,
als ja der Schluß desselben Schrei
bens gerade die
Hoffnung auch auf „Klärung dieses Tatbestandes“
durch die geplante
„Rücksprache mit dem Herrn
Generalintendanten“
enthält. Diese Hoffnung ist, wenngleich der Versuch einer Klärung
nunmehr der schriftlichen
Darlegung vorbehalten wurde, keineswegs
unberechtigt, und in diesem
Sinne hat ja auch der BerlinerRechtsanwalt unter
Aufrechthaltung des Anspruchs dem Stellver
treter
des Herrn Generalintendanten geantwortet.
Die schriftliche Darlegung
soll mit der Behauptung er
öffnet werden, daß es sich in der ganzen Angelegenheit der „Perichole“
sowohl in der Frage des Autorrechts wie des Anspruchs auf
die Wortregie und das ihr
gebührende Honorar um die krasseste
Verkehrung von Sachverhalten
handelt, die im Umgang zwischen einem
Autor und einer
Theaterleitung jemals vorgekommen sein dürfte. Vor
weg sei
festgestellt, daß sich Herr Karl Kraus niemals um die
An
bringung
des von ihm übersetzten und bearbeiteten Werkes an diesem
oder einem anderen Theater
bemüht oder beworben hat. Die Auffin
dung und Rettung
des Werkes ist von ihm als Vortragenden des Podi
ums für seinen
spezifischen Zweck und für eine Wirkung unternommen
worden, deren er beiweitem
sicherer sein kann als selbst durch die
beste Aufführung, die sich
unter seiner unbehinderten Mitarbeit
vollzöge, deren Garantie selbstverständlich die unerläßliche Be
dingung der
Überlassung des Werkes an die Krolloper
war. Eines Ta
ges
trat ein Wiener Freund an Herrn Karl Kraus heran, mit dem
durch
Herrn Dr. Camill Hoffmann, Legationsrat der Berliner tschechoslowakischen
Gesandtschaft (der als Zeuge für alle Abmachungen zur
Verfügung steht)
übermittelten Wunsche der Krolloper, d.h. des
Herrn Direktors Curjel, eine der Offenbach-Bearbeitungen von KarlKraus aufzuführen.
Es handle sich, hieß es, vor allem um die
„Großherzogin von Gerolstein“, eventuell aber
auch um eine der
neuen
Bearbeitungen („Perichole“, „Madame l’Archiduc“). Diese –
mit den im Druck
vorliegenden deutschen Texten – gehören dem Büh
nenvertrieb der
Universal-Edition zu, jene liegt nur im Vortrags
manuskript vor.
Es wurde durch den Mittelsmann (Dr. Ludwig
Münz)
Herrn Dr. Camill Hoffmann, der eindringlich versicherte,
daß HerrCurjel gerade nach
einem von Herrn Karl Kraus bearbeiteten Offenbach
begehre, schriftlich wie telephonisch geantwortet, daß er
sich zwar nicht für
berechtigt halte, einem Theater die Gelegen
heit zu der
Mitwirkung an der von ihm propagierten Offenbach-Re
naissance zu versagen, daß aber bei der Krolloper zunächst
ein sozusagen
gesellschaftliches Hindernis vorliege, nämlich für
den Fall, daß Herr Generalmusikdirektor Klemperer etwas mit der
Aufführung zu schaffen
hätte. Wohl dürfe man eine künstlerische
Angelegenheit an dergleichen
nicht scheitern lassen, es sei aber
doch unerläßlich, daß jenes
Hindernis, das sich für ein künstleri
sches
Zusammenarbeiten ergebe, beseitigt werde. Herr
Curjel er
teilte die Versicherung, daß, abgesehen davon, daß nicht HerrKlemperer, sondern Herr Zweig als
Dirigent ausersehen sei, das
Hindernis unschwer beseitigt würde, welches ihm ja als dem Zeugen
einer unerquicklichen Szene,
die sich im Hause des Komponisten
Weill zugetragen hatte, wohl bekannt war. Der damals unter
anderen
eingeladene Herr Generalmusikdirektor hatte in der
Gesellschaft,
vor der
Herr Karl
Kraus für eine am Schiffbauerdammtheater geplan
te Aufführung von
Offenbachs „Briganten“ deren ersten Akt vortrug,
eine Fortsetzung des
Vortrags vereitelt, da er während dessen die
Aufmerksamkeit auf sich
durch allerlei Spässe ablenkte, die keine
Beziehung zum Inhalt des
Kunstwerkes hatten, wie z.B. dadurch,
daß er eine
Zündholzschachtel abwechselnd auf die Häupter seiner
Sitznachbarinnen legte. Die
Angelegenheit wurde damals durch eine
energische schriftliche
Erklärung des Mitdirektors vom Schiffbauerdammtheater, Schriftstellers Heinrich Fischer erledigt,
aber die
Erinnerung an die
von Herrn Generalmusikdirektor Klemperer zur
Schau getragene Beziehung zu
Offenbach und dessen Bearbeiter schien
diesem nicht gerade danach
angetan, eine Fortsetzung im Hause der
Krolloper wünschenswert
erscheinen zu lassen. Es sei hier vorweg
genommen, daß der
Herr Generalmusikdirektor, als die
Verbindung
des Herrn Karl Kraus mit dieser
tatsächlich zustandekam, in aller
Form und durchaus würdig die
Ausschreitung seiner damaligen guten
Laune entschuldigt, ja
späterhin sogar durch die exzessive Be
geisterung für
„Perichole“ – fast bis zur
Störung der Mitarbeit an
der
Generalprobe – wettgemacht hat. Die Erinnerung an den aus der
Welt geschafften Vorfall ist
hier bloß aus dem Grunde unerläßlich,
weil ein vollständiges Bild
der Beziehungen des Herrn Karl Kraus
zu den leitenden Stellen der
Krolloper gegeben werden muß. HerrCurjel hatte also
vorweg zugesichert, daß der Zwischenfall seine
entsprechende Erledigung
finden werde und diese Zusage ist auch –
nachdem Herr Kraus im Beisein des Generalmusikdirektors grußlos an
zwei Korrepetitionsproben
der „Perichole“ teilgenommen hatte –
er
füllt
worden, indem jener eine zufriedenstellende Erklärung abgab.
Was nun den Wunsch anlangt,
die „Großherzogin von Gerolstein“
auf
zuführen,
so hatte Herr Kraus sofort erklärt, daß er ihm
die Er
füllung
versagen müsse, weil ihr Text wie wenige andere der Offenbach-Bücher an den spezifischen Stil gebunden sei, den nur der
Bearbeiter selbst den
Mitwirkenden, zumal Opernkräften, vermitteln
könnte; sein Anteil an der
vorliegenden Fassung sei aber doch ein
zu geringer, um ihm eine
mehrwöchige Entfernung von seiner Wiener
Berufsarbeit, die wohl
unerläßlich wäre, zu gestatten. Wenn jenes
persönliche Hindernis
beseitigt wäre, hätte er gegen eine Auffüh
rung der „Perichole“ oder der „Madame l’Archiduc“ nichts einzuwen
den, hier wurde
er für eine intensive Wortregie, die freilich die
Bedingung wäre, kaum mehr
als acht bis zehn Tage brauchen, wenn er
den ihm geeignet scheinenden
Bewegungsregisseur zur Verfügung hät
te. Als Herr Karl Kraus
bald darauf – für die gewohnte Wortregie
im Rundfunk – nach Berlin kam, fragte Herr Curjel bei Legationsrat
Dr. Hoffmann an, ob sich eine Zusammenkunft mit Herrn Kraus ermög
lichen ließe.
Diese fand im Café Friediger statt. Herr Curjel hör
te noch einmal
alle bereits durch Dr. Hoffmann mitgeteilten
Argu
mente,
die gegen die Verbindung mit der Krolloper und
insbesondere
gegen eine
Aufführung der „Großherzogin von
Gerolstein“ sprächen.
Es wurde ihm ausdrücklich gesagt, daß Herrn Karl Kraus an keiner
Bühnenaufführung etwas
gelegen sei, daß er – auch wenn es sich um
„Perichole“ oder „Madame l’Archiduc“ handeln sollte – die unge
heure Mühe und
den Nervenverbrauch durch seine Mitarbeit nur dann
an das Unternehmen wenden
könne, wenn alle seine Wünsche für Regie
und Besetzung erfüllt
würden, und daß seine eigene Wortregie die
unumgängliche Bedingung sei.
Herr Curjel sagte mit denkbar voll
kommenster
Ergebenheit jegliche Erfüllung zu und versicherte, daß
er nichts sehnlicher wünsche
als an der Offenbach-Renaissance ganz
in dem Sinne des Mannes, der
sie seit Jahren propagiert, mitwirken
zu können. Das
gesellschaftliche Moment werde unschwer bereinigt
werden, Wortregie des
Bearbeiters verstehe sich von selbst, gerade
das wolle man ja, Bestimmung
des Regisseurs sei ausschließlich
Sache des Herrn Karl Kraus –
er schlage Herrn Forster-Larrinaga
vor –, und die Wahl von „Perichole“ (oder „Madame l’Archiduc“) sei
sicher, wenn die „Großherzogin“, von der sich
namentlich Herr Klemperer
eine populäre Wirkung verspreche, nicht zu bekommen sei. HerrKraus nahm bald darauf, als die „Perichole“ bei der Universal-Edition erworben war, an Korrepetitionsproben teil und führte
selbstän
dig,
ehe noch der Regisseur bestimmt war, etliche Dialogproben (mit
drei Hauptdarstellern) durch
– ein Umstand, der allein schon dem
„Standpunkt der
Opernleitung“ widerspricht, daß sich „seine Mitar
beit in den bei
Autoren üblichen Grenzen gehalten“ habe. Er sollte
nunmehr Herrn Forster-Larrinagas Eignung – mit dem, wie versichert
wurde, alles, vorbehaltlich
der Genehmigung durch Herrn Kraus,
bereits abgemacht sei – in
persönlicher Aussprache begutachten.
Herr Forster-Larrinaga wurde ins Café Friediger bestellt und zwar
von Herrn Curjel, der sich dort wegen des etwaigen definitiven
Abschlusses gleichfalls
einfinden sollte. Herr Curjel kam nicht;
Herr Kraus hielt Herrn
Forster-Larrinaga einen dreistündigen Vor
trag über und vor
allem aus Perichole – mit Rezitation
großer
Partien –, dessen
Ende seine Erklärung war, daß er den Eindruck
habe, Herr Forster-Larrinaga zeige großes Verständnis für den bei
Offenbach erforderlichen Darstellungsstil, und daß ja nunmehr
die
Sache eigentlich
abgemacht sei. Zu seinem Erstaunen erklärte aber
Herr Forster-Larrinaga, die Krolloper habe überhaupt
nichts mit
ihm abgemacht, ihn
bloß zu der Zusammenkunft mit den Herren Kraus
und Curjel gebeten, er wisse ja auch noch gar nicht, ob er von
einer andern
Regieverpflichtung loskommen könne. Herr Kraus
such
te an
diesem Abend vergebens Herrn Curjel zu
erreichen, der zwar
von einem
Klemperer-Konzert öfter ins Bureau kam, aber
bloß durch
einen Beamten sagen ließ, daß er nicht ans Telephon kommen
könne,
er habe sein
Nichterscheinen ja mitteilen lassen, wovon freilich
Herr Kraus nicht das Geringste erfahren hatte. Endlich gelang
es,
durch Vermittlung des
Herrn Zweig, Herrn Curjel zu erreichen, der
nachts Herrn Kraus anrief und versicherte, daß nunmehr alles ja
in Ordnung sei. Das
Definitive (über den Vertragsabschluß mit
Herrn Forster-Larrinaga) werde am nächsten Mittag, da er
selbst
bei einer Probe
sein werde, ein Herr von Naso
Herrn Kraus tele
phonisch
bekanntgeben. Herr v. Naso gab gar nichts
bekannt, es
war auch niemand
von den Herren zu erreichen und am Abend erfuhr
Herr Kraus durch Herrn
Zweig, daß es leider mit Forster-Larrinaga
nicht gehen werde, da er zu
hohe materielle Ansprüche stelle.
Herr Kraus stellte fest, daß man – ganz abgesehen von dem
so
veränderten Betragen
des Herrn Curjel – seine Zeit und Arbeit
(durch den unnützen Vortrag
fast des ganzen Werkes etc.) vergeu
det hatte. Herr Zweig, der die Unzukömmlichkeit einsah und
be
dauerte,
sicherte zu, alle weiteren Vorschläge telephonisch nach
Wien zu leiten, Herr Kraus, dem die
ausschließliche Entscheidung
über die Frage des Regisseurs bleibe, könne beruhigt nach Wien
zurückkehren. Der Beginn der
Wortregietätigkeit wurde in diesem
Gespräch schon für den 9.
März festgesetzt, in dem Bewußtsein
des Umstandes, daß Herr Kraus wegen seiner Breslauer Verpflich
tungen fast eine
Woche den Proben fernbleiben werde. (Wie bewußt
dabei allen Beteiligten war,
daß er Wortregisseur sei und als
solcher Einfluß auf die
Besetzung hatte, geht daraus hervor,
daß in Breslau telegraphisch sein Votum wegen der Besetzung des
„Alten Gefangenen“ eingeholt
wurde.) Als Herr Kraus wieder in
Wien war, erfuhr er indirekt – durch telephonischen Anruf eines
Berliner Bekannten – daß inzwischen allerlei Verbindungen mit
Regisseuren angeknüpft
worden seien und daß man nunmehr wissen
möchte, ob er mit der Wahl
des Herrn Hinrich einverstanden wäre.
Er bat, Herrn Direktor Heinrich
Fischer zu befragen, und da
dieser die Wahl guthieß, so
war Herr Kraus einverstanden. (Noch
in Berlin war einmal die Rede davon gewesen, daß das Honorar
für die Wortregie von dem
Honorar des Regisseurs „in Abzug ge
bracht“ würde.
Von der Höhe des Honorars war tatsächlich nie die
Rede gewesen, aber die
Vorstellung, daß, weil Herr Kraus es un
terließ davon zu
sprechen, der Anspruch als solcher getilgt wäre,
würde wohl dem primitivsten
Begriff von Sauberkeit widerstreiten.
Herr Kraus mußte annehmen, daß man sich da zu gegebener
Zeit
nach dem Usus bei
der Funk-Stunde, wo er ja wiederholt neben
dem
Regisseur Wortregie
geführt hat, richten werde.) Später ließ
Herr Zweig
Herrn Kraus telephonisch mitteilen, daß, wenn
er
nicht ohnedies früher
(bei der Funk-Stunde) in Berlin zu tun
hätte, seine Anwesenheit bei
den Proben wegen Verschiebung der Premiere erst am 12. März notwen
dig sei. Herr Kraus traf nun tatsächlich am 12. März zur
Probe
ein. Herr Hinrich – mit dem er sich später, nach
erfolgter Auf
klärung, durchaus verstand – war offenbar nicht eingeweiht, daß
Herr Kraus in Sachen Offenbach über den normalen Anteil eines
Textautors dreinzureden
hätte, und bat ihn, ihn vorerst zu Ende
arrangieren zu lassen. Wenn
er von Breslau, wo er fünf Vorträge
zu absolvieren hatte und von
wo er gemäß der Abmachung am
19. März früh zurückkehren sollte, zur Probe erscheine, werde das
Arrangement fertig sein und
er beliebig eingreifen können. (Es
sei wiederholt betont, daß
die fünf Tage für Breslau vorweg be
rücksichtigt
waren: Herr Kraus sollte am 12. und 13. und vom
19.
bis zur Generalprobe
Wortregie führen.) Herrn Kraus erschien
diese Verheißung einen
bedenklichen Widerspruch in sich zu ent
halten, da, wie
es sich nachträglich und leider zu spät heraus
stellte, die
dialogische Gestaltung von Fragen des Arrangements
nicht durchaus zu trennen
war und an einer entscheidenden Wen
dung sein
eingreifender Rat unerläßlich gewesen wäre. Gleichwohl
hatte er, im Vertrauen auf
die Fähigkeiten des Herrn Hinrich,
dessen Wunsch erfüllt und
sich am 12. und 13., im Anfangs
stadium, von den
Proben ferngehalten. Am 19. stellte sich heraus,
daß das Arrangement noch
nicht ganz beendet war, und Herr Kraus
wollte darüber, daß man ihn
nicht rechtzeitig benachrichtigt
hatte – er war nach einer
anstrengenden Vorlesung die Nacht durch
von Breslau gereist und ohne geschlafen zu haben am 19. zur Probe
gekommen –, Herrn Curjel Vorstellungen machen wie auch
nachträg
lich
über den Verdruß mit Herrn Forster-Larrinaga,
über den
Herr Curjel, selbst erst nach Berlin rückgekehrt, noch eine Auf
klärung schuldig
war. Er wollte Herrn Curjel aber vor allem
aus
einandersetzen, daß mit aller Anerkennung der Leistung Hinrichs
(der auch von dem Breslauer
Vortrag der „Perichole“, zu dem
er
in dankenswerter Weise
gereist war, manchen Eindruck gut über
tragen hatte) es
schon nach einem flüchtigen Blick auf das Arrange
ment ihm
bedenklich scheine, daß man seinen Rat nicht eingeholt
hatte. Denn nun war
Wesentliches irreparabel und die stärkste
Szene des Werkes, der grandios gesteigerte Rausch vor dem
Finale
des I. Aktes,
mußte an einer falschen Architektonik der Szene,
die den Dialog lahmlegte,
scheitern. Manches konnte noch abge
stellt oder
verbessert werden, vieles war, wenn der Termin der
Erstaufführung eingehalten
werden mußte, verloren, und es war
vorauszusehen, daß
theaterfremde Urteiler, also die Berufskritik,
die Tempoverschleppung, die
sich nicht immer durch die Schuld
der Sprecher, sondern auch
durch technisches Verschulden ergab,
dem Text anlasten würden.
Herr Curjel schien bei solchen Vor
haltungen, die
doch dem ursprünglich erkannten gemeinsamen Zweck,
Offenbach zu dienen, vollauf entsprachen, total verändert,
und
als die Frage darauf
kam, wann denn nun die eigentliche Wortregie
einsetzen würde, die ja noch
viel gutzumachen habe, meinte er,
dafür werde sich schon noch
Zeit finden. Es fand dann noch eine
einzige Auseinandersetzung
zwischen Herrn Kraus und ihm statt,
im Büro des Herrn Curjel – auf einer Probe war er nicht zu
se
hen –, und
dabei fiel das Wort des Herrn Kraus, der für den
Text
die größte Besorgnis
äußerte: daß er „für ein Komma über Leichen
schreite“. Diesen
drastischen Ausdruck höchsten künstlerischen
Verantwortungsgefühls, der
wohl kaum als eine persönliche Be
drohung des Herrn Curjel aufzufassen war, hat er später zum
An
laß
genommen, dem Berliner Rechtsvertreter des Herrn Kraus zu
beteuern, eine
Zusammenarbeit sei ja unmöglich gewesen, da
Herr Kraus ihn „auf den
Proben“ – bei denen Herr Curjel keine
Sekunde lang zu sehen war –
„bis aufs Blut sekkiert“ habe. Diese
eine längere
Auseinandersetzung ergab auch das folgende über
raschende
Resultat. Herr Kraus äußerte die Wahrnehmung,
daß auf
der Affiche sein
immerhin nicht unerheblicher Anteil an dem Werk,
um dessen Erwerbung sich Herr Curjel so
enthusiastisch bemüht
hatte,
unauffälliger als der sämtlicher Mitwirkender bis zum
Dekorateur verzeichnet war.
Herr Kraus bemerkte dazu, daß ihm
dies ja vollkommen
gleichgültig sei, am liebsten wäre ihm – wo
rum er bitten
möchte – die Weglassung seines Namens, da er ja
doch nunmehr schon
befürchten müsse, daß seine Intentionen nicht
erfüllt würden; aber er
meine, es bezeichne immerhin, daß die
Krolloper bestrebt sei,
entgegen aller Bewerbung um Herrn Kraus,
entgegen allen Zusagen und
Abmachungen, seinen Anteil möglichst
geringfügig erscheinen zu
lassen und sich mit ihm nur, soweit
es eben autorrechtlich
unerläßlich sei, zu affichieren; auch da
von möchte er sie
entheben. Wenn aber dieser Eindruck, dessen
Bewirkung Herr Curjel auf den graphischen Zufall schob, unstich
haltig sei und
nunmehr mit der Wortregie Ernst gemacht werde,
so sei es wichtig, daß auf
dem Programm – dessen Textierung eben
Herr Curjel mit ihm besprechen wollte – der Anteil des
Wortregis
seurs ausdrücklich vermerkt werde, nicht um ihm die ihm gebühren
de Ehre zu
erweisen, sondern um – wenn wirklich die Wortregie
noch heilsam eingreifen
könnte – zum Nutzen der Aufführung aus
zudrücken, daß es
eine sei, die im Gegensatz zu allen von Herrn
Karl Kraus in Wort und Tat
bekämpften Offenbach-Schändungen ein
mal dem Gedanken
der Offenbach-Renaissance, wie er sie propa
giert, Ehre
mache. „Ja, das freilich wird nicht gehen“,
erwiderte
Herr Curjel; denn das würde sich Herr Hinrich (der zum erstenmal
Opernregie führe und für den
dann ja nichts übrig bleibe, wenn
ein anderer neben ihm als
Wortregisseur angeführt ist) nicht ge
fallen lassen.
Herr Kraus ersuchte, die Entscheidung des
HerrnFischer, der mit
Herrn Hinrich befreundet sei und ihn doch
emp
fohlen
habe, anzurufen, womit Herr Curjel einverstanden
schien.
(Auch da gab es
noch allerlei Zwischenfälle, ehe er mitteilen
konnte, daß er Herrn Fischer erreicht habe.) Zunächst wurde HerrHinrich ins Büro
gebeten, der bei dieser Gelegenheit maßlos er
staunt war, zum erstenmal zu erfahren, daß Herr Kraus als Wort
regisseur
eingesetzt sei. War es demnach schon hinreichend klar,
daß man Herrn Hinrich eine so wesentliche Sache, die ja gewiß
eine Einschränkung seiner
Befugnisse bedeutete, einfach ver
schwiegen hatte – offenbar,
um ihn überhaupt als Regisseur zu
gewinnen, während sich Herr Forster-Larrinaga im Vorhinein mit
einer Wortregie Karl Kraus
einverstanden erklärte –, so konnte
nun mit analogem Staunen Herr Kraus die Enthüllung vernehmen,
mit ihm, Hinrich, sei ein Kontrakt geschlossen worden, wonach
er in allen sich etwa
ergebenden Meinungsverschiedenheiten mit
dem Textautor die oberste
Entscheidung hätte. Herr Hinrich er
fuhr mit Staunen,
daß es neben ihm einen Wortregisseur gebe –
Herr Kraus mußte glauben, daß er das längst wisse, und hatte
ihm
gleichwohl die
Konzession gemacht, sich vom Arrangement fernzu
halten –, und Herr Kraus erfuhr mit Staunen, daß Herr Hinrich in
allem, also auch im Dialog,
zu entscheiden habe. Es war mithin
in aller Stille der groteske
Fall gereift, daß Herr Kraus gebe
ten worden war,
einen Regisseur zu bestimmen, der über ihn
hinaus – in Sachen Offenbachs und seines eigenen Sprachwerks! –
die Entscheidung hätte. Aus
dieser Situation, die gesellschafts
mäßig etwas
peinlich war, kehrte Herr Hinrich, mit dem
Protest
gegen eine auf
Wortregie bezügliche Programmnotiz, zur unterbro
chenen Probe
zurück. Herr Klemperer betrat das Zimmer und
fragte,
worum es sich
denn eigentlich handle. Nachdem ihm gesagt worden
war, es handle sich um die
Frage der Wortregie, respektive deren
Bezeichnung, und er
scherzend Lavendelflüssigkeit um sich ge-
sprengt hatte, stellte er an
Herrn Kraus die Frage: „Wortregie?
Ja, haben Sie denn einen schriftlichen Vertrag?“ Auf diese Frage
wollte sich Herr Kraus erheben, um das Zimmer zu verlassen,
da
sie doch von einem
Manne gestellt war, der wußte, daß ein mündli
cher Vertrag über
Wortregie zustandegekommen sei. Herr Curjel,
dem die Wendung sichtlich
nicht angenehm war, erklärte begüti
gend: „Nun ja, es liegt eine mündliche Abmachung vor“,
was er
Herrn Klemperer, mit dem oft über die Wortregie gesprochen
worden
war und der vorher
schon aus London die Direktive gegeben hatte,
daß man sich in allem den
Wünschen des Herrn Kraus anzupassen habe,
gewiß nicht erst sagen
mußte. „Jawohl, ein mündlicher Vertrag!“,
erwiderte Herr Kraus. „Sagen wir:
Abmachung“ versetzte HerrCurjel, ohne dann
eine Antwort auf die Frage des Herrn Kraus zu
geben, welche feine
juridische Unterscheidung er denn da zu ma
chen glaube. Auf
die weitere Frage, die nach dieser beschämenden
Szene übrig blieb: ob Herr Curjel nicht jetzt noch auf die Auf
führung
verzichten wolle, an der als solcher Herrn Kraus
nicht
das geringste
gelegen sei, oder wenigstens seinen Namen ganz
unterdrücken möchte, da er
ja nunmehr doch Besorgnisse wegen der
Erfüllung seiner Intentionen
hegen müsse, meinte Herr Curjel,
daß er ja nicht mit Herrn Kraus, sondern mit der Universal-Edition
den Vertrag geschlossen
habe. Auch ein Protest des Autors gegen
eine ihn nicht
zufriedenstellende Aufführung, auf dessen Möglich
keit Herr Kraus hinwies, werde ihn kalt lassen. Es
war nunmehr
vollständig klar,
daß das Verhalten des Herrn Curjel nach ver
tragsrechtlicher
Erwerbung des Werkes ins Gegenteil
umgeschwungen
war und daß
er die Mitwirkung des Autors als ein Hindernis
ansah.
Für die Wortregie,
um deren Anerkennung er freilich nicht herum
kommen konnte,
wurden noch zwei oder drei Nachmittage nach den
Proben in Aussicht genommen,
mit dem offenbaren Vertrauen zu einer
unwilligen und resistent
gemachten Sängerschar, die nach ihrer
Gesangsarbeit nicht mehr
hinreichend Spannkraft und Lust haben
würde, sich noch etwas Leben
für einen Dialog, den sie für voll
ständig
überflüssig hielt, beibringen zu lassen. Die Formulierung
auf dem Programm sollte mit
Herrn Fischer vereinbart werden, da
Herr Kraus (im Gegensatz selbst zu Herrn Fischer) bereit war,
auf eine Konstatierung der
Wortregie zu verzichten, die HerrHinrich als
Beeinträchtigung seines Renommees zu empfinden schien.
Mit den Herren Fischer, Kraus und Zweig traf Herr Curjel am
Abend des 21. März im Restaurant Kempinski zusammen. Auch HerrHinrich hätte
benachrichtigt werden sollen. Herr Curjel gab
die
Erklärung ab, daß
dieser nicht erscheinen werde. Auf die Frage,
ob er nicht erscheinen wolle, zuckte Herr
Curjel die Achseln und
wiederholte, Herr Hinrich
werde nicht erscheinen. Am nächsten
Tag versicherte Herr Hinrich, daß er auf die Benachrichtigung
vergebens gewartet und
wiederholt spontan Herrn Fischer angerufen
habe, um seine Intervention
zu erbitten. Es war evident, daß HerrCurjel das
Bestreben hatte, Regisseur und Wortregisseur von einan
der fernzuhalten.
Herr Fischer, der sich erbötig machte,
selbst
für die trockene
Mitteilung: Wortregie Karl Kraus Verständnis
und Einverständnis des Herrn Hinrich zu erlangen, schlug dann
eine Formel vor, mit der
sich am nächsten Tag Herr Hinrich sofort
zufrieden gab. Herr Curjel hat diese Formel im allerwinzigsten
Druck, vor der Notiz
über Kleiderablage, angebracht und schon
vom Programm der zweiten
Vorstellung entfernt. Herr Hinrich,
der,
nunmehr durch Herrn Fischer vollkommen orientiert, das
größte
Entgegenkommen
zeigte, stellte später Herrn Kraus Äußerungen
der
Herren Curjel, Klemperer und Naso zur Verfügung, die
dem Sinne
nach lauteten:
„Halten Sie uns diesen Menschen von den Proben
fern; bringen Sie Ihre Sache
nur allein zu Ende; fahren Sie nicht
nach Breslau, um die ‚Perichole‘ von ihm zu hören; wir sind sogar
bereit, Ihnen zuliebe zu
verschieben, wenn Sie nur die Sache
allein fertig bringen;
lassen Sie sich nichts dreinreden, mit dem
Mann werden wir schon
fertig, den setzt man, wenn er zu krakeelen
beginnt, einfach aus dem
Parkett ’raus.“ In dieser Atmosphäre
sollte Herr Kraus
an den Proben mitwirken und die ihm
vertraglich zu
gesicherte
Arbeit durchführen. Er vermied es, jene
durch eine Bereini
gung der persönlichen Angelegenheit zu stören und diese aufzuhal
ten. Er bekam
noch zur Not Gelegenheit, mit den Schauspielern am
Dialog zu arbeiten,und tat
auch alles, um durch Herrn Hinrich, der
nun durchaus in seinem Sinne
vorging und insbesondere gegen den
Plan Klemperers, Striche vorzunehmen, standhielt, soweit es noch
möglich war, Einfluß auf die
szenische Gestaltung und sprachliche
Verbesserung zu nehmen. Bei
der Generalprobe, eigentlich schon
auf der Hauptprobe, schien
Herr Klemperer vollkommen umgewandelt
und unterbrach die Kontrolle
jeden Augenblick durch Begeisterung
über Stellen des Dialogs wie
der Musik. Bei der Premiere war er
es, der von der
Logenbrüstung in das Haus, das ohnehin nach dem
Textautor rief, den Ausruf
„Hoch Kraus!“ erschallen ließ und
jenen, der ihm gegenüber aus
seiner Nichtbefriedigung kein Hehl
machte, nötigte, an die
Rampe zu kommen. Was vorausgesehen war,
trat ein: daß die
Zeitungskritik, von der Herr Karl Kraus schon
seit über dreißig Jahren die
Überzeugung hat und ausspricht, daß
sie von einer Theatersache
weniger versteht als die zahlenden
Parkettinsassen, die
unmöglichen Verschleppungen durch Tempo und
Technik dem Text zuschob und
„Kürzungen“ verlangte. Die Konse
quenz, die der
Textautor in besserer Kenntnis der Fehlerquelle
zog, war ein Schreiben, das, von ihm verfaßt und von seinem
Ver
trauensmann Heinrich Fischer unterzeichnet, am Tage der zweiten
Vorstellung an die Leitung
der Krolloper abging und dessen Ab
schrift unter a)
hier beigelegt wird. An diesem Tag, dem 31. März,
spielten sich die im
Folgenden geschilderten Vorgänge ab. Am Nach
mittag, etwa zwei
Stunden nachdem das Schreiben durch
Boten ein
gelangt
und sein Einlangen von der Leitung der Krolloper bestä
tigt war, erfuhr
Herr Karl
Kraus telephonisch durch einen Mit
wirkenden, den er in einer andern Angelegenheit zu sprechen hatte,
daß am Vormittag – also vor
dem Einlangen des Schreibens – eine
„Strichprobe“ stattgefunden habe, die keineswegs Herr Hinrich –
der, wie Herr Kraus später erfuhr, zu ihr wohl geladen worden
war, aber sich geweigert
hatte, an ihr mitzuwirken –, sondern
Herr Curjel persönlich leitete. Die Striche betrafen eine
ganz
große Anzahl
wesentlichster Stellen von der Art, wie sie aller
dings einem
dramaturgischen Dilettanten auf den ersten Blick,
der die Zusammenhänge nicht
erkennt, und ohne Ahnung, daß es Zu
sammenhänge gibt,
entbehrlich erscheinen mögen, teils aber unent
behrliche, erst
später erkennbare Handlungselemente und Motivie
rungen enthalten,
teils für solche nachfolgende Stellen unent
behrlich sind,
die die Überleitung, ja geradezu das Stichwort
für die musikdramatische
Wirkung bilden, in deren Dienst doch der
Text gestellt sein muß. Auch
fünf Musikstellen hatte Herr Curjel
anzutasten gewagt. Der
Berliner Anwalt des Herrn Karl Kraus, der
sich an ihn schleunigst
wandte, machte nun Herrn Curjel telepho
nisch auf die
Rechtswidrigkelt dieses Beginnens, abgesehen von
der moralischen
Inkorrektheit einer heimlichen Strichprobe, auf
merksam und wurde
von ihm an die Generalintendanz, in deren
Auf
trag er
gehandelt habe, gewiesen. Ein dortiger Funktionär gab
hierauf der Ansicht
Ausdruck, daß die Opernleitung grundsätzlich
zur Vornahme von Strichen
berechtigt sei. Dieser Bescheid machte
eine telephonische Anfrage
in Wien – bei mir zwecks Erkundigung
bei der Universal-Edition – notwendig und die telephonische Ant
wort nach Berlin: daß der Verlag den Wortlaut des Vertrags
mit
dem Textautor zitiert habe,
wonach kein Strich ohne dessen Geneh
migung
vorgenommen werden dürfe und der Verleger verpflichtet sei,
die Bühnenleitungen auf
diese Abmachung (ohne die Herr Kraus nie
mals sein Buch
einem Bühnenvertrieb überlassen hätte) aufmerksam
zu machen. Das habe der
Verlag getan und soeben auch den telepho
nisch anfragenden
Herrn Curjel noch einmal entschieden
warnend
darauf aufmerksam
gemacht, nicht ohne ihm ans Herz zu legen, sich,
wenn er Striche für
wünschenswert hielte, mit Herrn Karl Kraus in
Verbindung zu setzen. Die
Meinung, daß die gewalttätigen Eingriffe,
die Herr Curjel (vielleicht unter Beihilfe eines Dramaturgen,
der,
wie er auf einer
Probe bewies, überhaupt keine Ahnung vom Sinn
des Offenbach’schen Werkes hatte) unternehmen wollte – daß solche
„Änderungen“ zu den nach dem
Kartellvertrag zulässigen Änderungen
„nach Treu und Glauben“
gehörten, ist natürlich absurd; nicht eine
einzige wäre
bühnenschiedsgerichtlich haltbar gewesen und der
durch die eingeleiteten
Schritte bewirkte Verzicht der Bühnenlei
tung beweist zur
Genüge, daß sie sich dieser Auffassung anbequemt
hat. Herr Kraus hätte indes keinen Moment gezögert, Striche, die
man ihm vorgeschlagen hätte – und wenn kein berufsmäßiger
Bühnen
mann,
sondern jeder beliebige Zuhörer sie ihm vorschlüge –, zu
prüfen und eventuell dankbar
anzunehmen. Er steht auf dem Stand
punkt, daß ein
Strich eine produktivere Leistung bilden könne
als eine Seite, und wäre
bereit, den geistigen Anteil dessen, der
den richtigen,
wirkungerhöhenden Strich ausfindig macht, als den
eines Mitautors auf dem
Theaterzettel vermerken zu lassen. Er war
davon durchdrungen, daß die
Möglichkeit solcher Striche sich hier
nicht ergeben könne. Mit dem
Problem muß er ja schon vor seinen
eigenen Vorträgen fertig
werden. Shakespeare-Schlegel kann er zu
sammenstreichen
(und bei aller Gründlichkeit so, daß auch nicht
das Fehlen eines Verses
fühlbar wird); bei den Textautoren Offenbachs
ist es unmöglich, über das Maß der Reduzierung, die schon
durch die Bearbeitung
gegeben ist, hinauszugehen. Mag, was von
solchem Original bleibt, an
und für sich wertloser sein als alles
bei Shakespeare Weggelassene, so kann es doch nicht weiter ver
kürzt werden,
ohne daß der musikdramatischen Wirkung, für die es
ja bloß Funktionswert hat,
eben darum Eintrag geschähe. Der Bearbeiter
war nur zu oft vor den eigenen Vorträgen der „Perichole“
und aller andern Werke Offenbachs, die wegen seiner Zeitstrophen
viel länger dauern als eine
Aufführung, heiß bemüht, Stellen zu
finden, die sich streichen
ließen, damit die Vortragsdauer von
drei Stunden (aus inneren
wie aus äußeren Gründen) nicht über
schritten werde.
Der oberflächliche Blick glaubt solche an und
für sich nicht sehr
gewichtige Stellen zu finden, muß aber als
bald gewahren,
daß sie entweder gerade aus dem Grunde, weil sie
entbehrlich erscheinen,
nämlich als Wiederholungsmotiv, oder auch
als Handlungsmotiv
unentbehrlich sind, ja er bemerkt oft schon
auf der nächsten Seite, daß
ein solcher Strich, an und für sich
sympathisch, etwas
Wesentliches gefährden würde. Was Herr Curjel
da versucht, das heißt
tatsächlich Schauspielern probeweise auf
getragen hat,
wäre als Schulbeispiel von Dilettantismus in eine
dramaturgische Fibel
aufzunehmen. Gleichwohl hätte Herr Karl Kraus,
ohne den Versuch einer
Beratung durch den Dilettantismus als Krän
kung zu
empfinden, aus Neugierde wie aus Höflichkeit keinen Augen
blick gezögert,
Herrn Curjel anzuhören, wenn dieser ihm mit
dem
Vorschlag der absurden Striche gekommen wäre. Das hat aber HerrCurjel leider nicht
getan. Vielmehr hat er es vorgezogen, HerrnKraus vor die vollendete Tatsache einer hinterrücks erfolgten
Strichprobe zu
stellen – ein Faktum, das sehr deutlich der in
einem Schreiben der Generalintendanz
ausgesprochenen Meinung, daß
in der Frage der Streichungen ja nichts unternommen worden sei,
widerspricht, einer Meinung,
die nur auf Irreführung durch die
Direktion der Krolloper
zurückgeführt werden könnte. Die Folge
der tatsächlich
durchgeführten Strichprobe war, da sie ja doch
noch knapp vor der
Vorstellung wieder aufgehoben werden mußte,
eine heillose Verwirrung der
armen Mitwirkenden, die so lange zum
Nachteil des Werkes anhielt, bis der Schaden durch die leider not
wendig gewordene
peinliche Remedur – siehe Beilage b) – beseitigt
wurde. Der Textautor, der sich selbstverständlich von keiner Macht
der Welt, sei es durch Zwang
oder aus irgendwelcher Rücksicht, von
der Wahrung des Anspruchs
auf Unversehrtheit seiner geistigen Ar
beit abbringen
ließe, konnte sich am Abend des Tages, an dem das
Schreiben
der Opernleitung zugestellt war, bei der vierten Auf
führung, davon
überzeugen, daß die Darstellerin den so wesentli
chen Satz, den
ihr der dramaturgische Unverstand verstümmelt hatte,
zwar sprach, aber trotzig
fallen ließ. Erst die Protektion durch
Herrn Zweig, mit dem nach dessen Rückkunft der Autor über alles
Vorgefallene sprach,
ermöglichte eine anständige Wiederherstel
lung, der, wie
Herr Kraus gern anerkennt, die Darstellerin nun
mehr den
lebendigsten Augenblick des (fünften) Abends verdanken
konnte. Die Kürzung, die Herr Curjel an dieser Stelle geplant
hatte und von der in dem
beigelegten Schreiben die Rede ist, be
deutet geradezu
ein klassisches Beispiel für die Schaffung einer
inneren Länge, indem die
Unklarheit des Fragments die Aufmerksam
keit (des im
letzten Bild ohnehin schon ermüdeten Hörers) ver
braucht, während der volle
Satz, lebendig gesprochen, gerade an
diesem Punkt die Szene
wieder belebt. Es ist tief beklagenswert,
daß eine rein künstlerische
Bestrebung, mit der so überzeugt der
Sache und der Wirkung
gedient werden wollte, erst der Durchsetzung
mit juridischen Mitteln
bedurft hat. Aber dieser Fall ist nur eine
Fortsetzung dessen, was sich
an dem Tag jener kritischen zweiten
Aufführung abgespielt hatte,
und die Schilderung dieser Vorfälle
ist leider noch nicht
abgeschlossen, sondern bedarf noch einer
Ergänzung, die den Beweis,
daß die Generalintendanz über das Ver
halten des Textautors irregeführt wurde, vervollständigen
soll.
Herr Curjel rief ihn am 31. nach fünf Uhr in seinem
Hotel an mit den Wor
ten: „Ich bin von der Generalintendanz beauftragt, Ihnen
die
Striche
mitzuteilen, die in der heutigen Aufführung vorgenommen
werden.“ Antwort:
„Wenn die
Striche vorgenommen werden, so müssen
Sie sie mir ja nicht
mitteilen.“ „Ja, die Striche werden unter
allen Umständen
vorgenommen werden, aber ich will sie Ihnen mit
teilen.“
Antwort: „Die
Kenntnis der Striche, die Sie vornehmen
werden, werde ich mir
anders verschaffen.“ Herr Karl Kraus wollte
damit natürlich sagen, daß
er sich die Kenntnis der Striche lieber
als zahlender Besucher der
Krolloper verschaffen werde, als seine
Sätze zum letzten Mal von
der Stimme des Herrn Curjel (die sie
gewiß nicht
temperamentvoller gebracht hätte als die Darsteller,
die sie bis dahin gesprochen
hatten) am Telephon zu vernehmen.
Er gab noch dem Herrn Curjel den Rat, wenn er es juristisch
für
relevant halte, die
Striche, die unter allen Umständen vorgenom
men werden, mitgeteilt zu haben, diese Mitteilung bei seinem
Rechtsanwalt zu versuchen,
der sie vielleicht entgegennehmen werde.
Herr Curjel dankte, rief den Rechtsanwalt an, erkundigte sich
seltsamer Weise nach dem
„Sinn der Drohung“, Herr Kraus werde sich
die Kenntnis der Striche
anders verschaffen, und empfing nebst
der natürlichen
Interpretation den wohlgemeinten Rat – nachdem er
bereits die Wendung
gebraucht hatte: „Ja, Striche (nicht mehr
‚die Striche‘) müssen
gemacht werden“ –, zunächst die am Vormit
tag angeordneten
Striche aufzuheben und nach der zweiten Vorstel
lung an Herrn Kraus mit Vorschlägen heranzutreten. Herr Curjel
sagte zögernd zu und ließ
tatsächlich durch den Inspizienten die
Striche absagen. Die
Unterbreitung der Vorschläge, der Herr Curjel
unter den sonderbarsten
gesellschaftlichen Kautelen zustimmte –
er wollte einen Zeugen
mitbringen, lehnte die Anwesenheit des
Herrn Fischer, den er mit dem Vorwurf der „hündischen Ergeben
heit für Herrn Kraus“ bedachte, ab und erklärte,
da der Anwalt
mit Recht meinte, daß Herr Kraus nicht zu ihm kommen werde, nur
die Halle seines Hotels,
aber nicht sein Zimmer betreten zu wol
len –, diese
Zusammenkunft sollte also am nächsten Mittag statt
finden. Herr Kraus fand sie, da die zweite Vorstellung – die ohne
die rechtzeitig abgesagten
Striche gespielt wurde – durch Tempo
beschleunigung
und Verkürzung der katastrophalen Pausen um etwa
50 Minuten früher als die
erste zu Ende war, für vollständig
überflüssig. Der Verlauf
hatte ihm in der Erkenntnis der drama
turgischen Dinge recht
gegeben. (Es ist bezeichnend, daß der Be
arbeiter, der es
so schwer hatte, seine Kennerschaft Offenbachs
in
den Dienst der Sache
zu stellen, erst durch nachträgliche Inter
vention beim Dirigenten die primitivste dramaturgische
Erleichte
rung
durchsetzen konnte: die Verkürzung und volle musikalische
Ausfüllung der Pause vor dem
letzten Bild, die ja nur eine rasche
Verwandlung aus dem
Kerkerdunkel in die helle Landschaft bedeu
ten darf, wo sich
Flucht und Suche nach den Gefangenen abspielt.)
Die Vorstellung wäre nach
seinem Empfinden, selbst wenn sie nur
eine Stunde dauerte,
innerlich noch immer zu lang, da nun einmal
leider vielfach die für Offenbach unerläßliche Beschwingung fehlt
und in einem Maße, daß
gerade die Stilechtheit des Rahmens mit so
blassem Bilde den Gedanken
der Offenbach-Renaissance schwerer
schädigt als eine der
grundsätzlichen Verschandelungen, von denen
sich diese Wiedergabe doch
leuchtend abheben sollte. Daß aber bei
einer Operettenaufführung,
die sich strichlos in zwei Stunden 52
Minuten abspielt, das Übel
nicht mehr in Textlängen gelegen sei,
war ausreichend bewiesen. In
der Nacht nach der zweiten Vorstel
lung nun, in der
dieser Beweis schon geliefert war, erzählte der
Regisseur Hinrich, der ihr beigewohnt hatte (nachdem er sich
aus
drücklich
geweigert hatte, bei einer heimlichen Strichprobe mit
zutun), Herrn Kraus, wie es zuging, als die Striche
abgefaßt
wurden, und daß
der
Herr Generalmusikdirektor ihn zu sich bat, um
ihm
in den vehementesten
Ausdrücken seine Entrüstung über die Absicht
der heimlichen Streichungen
kundzugeben. Er bezeichnete das, was
Herr Curjel versucht habe – ganz abgesehen von den
Antastungen
der Partitur,
die er im eigensten Wirkungskreis untersagen konn
te – als ungeheuerlich und
bekannte offen, als derjenige, der
selbst anfangs Striche für
wünschenswert gehalten habe, seine Be
kehrung zu jeder
Zeile des Textes, von deren Unentbehrlichkeit
er sich schon in der
Hauptprobe und vollends in der Generalprobe
überzeugen konnte. Er machte
auch kein Hehl daraus, daß er über
diesen Vorfall mit Herrn Curjel in Streit geraten sei, der er
klärt habe,
„seine Konsequenzen ziehen zu wollen“. Diese Szene
machte auf Herrn Kraus den Eindruck, daß Herr Curjel aus der Hal
tung Klemperers für sich Vorteil zu ziehen suche, und
es schien
sich ihm das sonst
ganz unbegreifliche Verhalten des HerrnCurjel, der jähe
Umschwung seit der Bewerbung um eine Offenbach-
Bearbeitung und der Erwerbung der „Perichole“, nunmehr aus einer
Art Intrigue zu erklären,
als deren Mittel ihm die Sache des
Herrn Kraus vielleicht geeignet schien. Dabei kam Herrn Kraus,
der ja wohl wußte, daß Herr Curjel ursprünglich ein Günstling
des Generalmusikdirektors gewesen war, seine Äußerung bei jener
Zusammenkunft im Restaurant ins Gedächtnis, die Herr Curjel als
Antwort auf die Zitierung
von Klemperers grotesker Frage: „Ja,
haben Sie denn einen
schriftlichen Vertrag?“ von sich gab: „Es
dürfte Ihnen ja bekannt
sein, daß ich stellvertretender Direktor
in der Krolloper bin und daß Herr
Klemperer Kapellmeister ist.“
Herr Karl Kraus glaubt, die
Vorgänge, die sich seit der
Annahme der „Perichole“ zwischen
ihm und den Funktionären der
Krolloper zutrugen, mit hinreichender Anschaulichkeit dargestellt
zu haben, mit einem Anspruch
auf Treu und Glauben, der seiner Dar
stellung wohl
mehr zukommt als den Plänen jener, selbst wenn sie
nicht durch die Aussage von
Zeugen gestutzt werden könnte. Vor
allem dürfte nunmehr der Generalintendanz klar geworden sein, auf
welchem Wege sie zu der
Ansicht gelangen konnte, daß er, „wenn
man ihm Vorschläge wegen
Streichungen machen will, die Telephon
muschel einfach
anhängt“. Sie verdankt diese Ansicht zweifellos
der Information des Herrn Curjel, der ebenso zweifellos den
Auftrag
der Generalintendanz (die er zunächst über die
Notwendigkeit von
Streichungen falsch informierte) entgegengenommen hatte, HerrnKraus die geplanten Striche vorzuschlagen, und
da er, in der
Annahme, der
wahre Sachverhalt werde nie zum Vorschein kommen, das
Gegenteil getan, nämlich
seinen Auftrag überschritten und verkehrt
hatte, die Rückmeldung
erstattete, Herr Karl Kraus sei für Vor
schläge überhaupt
nicht zu haben, nicht zu sprechen, weshalb man
eben nach eigenem Gutdünken
verfahren müsse. Die Wahrhaftigkeit
des Herrn Curjel für die Entscheidung der Frage, ob an Herrn Kraus
„die Erteilung eines
Wortregieauftrags“ ergangen sei, überhaupt
noch heranzuziehen, wird
demnach wohl kaum mehr möglich sein. Daß
der Generalintendanz von der Erteilung eines solchen Auftrages
„nichts bekannt ist“, wird
sich unschwer aus dem Umstand erklären
lassen, daß Herr Curjel ihr davon nichts bekanntgegeben hat, daß
er ihr die Abmachung über
die Wortregie genau so verschwiegen hat
wie dem Regisseur Hinrich. Von aller sonstigen Möglichkeit, diesen
Sachverhalt zu bekunden,
abgesehen, dürfte der Hinweis darauf ge
nügen, daß
gelegentlich der Erörterung der Frage, in welcher Form
die Wortregie des Herrn Karl Kraus –
und die Formulierung auf dem
Programm ist ja das Ergebnis dieser Debatte – verzeichnet werden
solle, Herr Heinrich Fischer eben im Hinblick auf das Zugeständnis
der Formulierung an die
Leitung der Krolloper
ein Schreiben
ge
richtet
hat, dessen Empfang von ihr bestätigt wurde und worin aus
drücklich die Wahrung aller Rechte auf die Wortregie ausgesprochen
wird. Die Leitung
der Krolloper hat der Bekräftigung dieses An
spruches, der ja
zahllose Male von ihr auch gewährt und anerkannt
wurde, mit keinem Wort
widersprochen. Der „Standpunkt“, auf dem
sie nach dem Schreiben der Generalintendanz stehen soll, „daß die
Mitarbeit des Herrn Kraus sich in den bei Autoren üblichen
Gren
zen
gehalten und keineswegs eine Tätigkeit dargestellt hat, für
welche ein besonderes
Honorar neben der Autoren-Tantième erwartet
werden konnte“,
wird sich, wenn es zu einer Aussage von Zeugen
kommen sollte, kaum halten
lassen. Es ist ja leider nur zu wahr,
daß sich in manchen
wesentlichen Punkten der Inszenierung, die
sonst wohltätig hätten
beeinflußt werden können, die Tätigkeit des
Herrn Kraus bloß innerhalb der bei Autoren üblichen Grenzen,
ja
nicht einmal innerhalb
dieser Grenzen gehalten hat. Denn Herr Kraus
wurde wohl noch weit
rücksichtsloser behandelt als sonst ein Autor,
der als Eindringling in eine
Sphäre, in der er überflüssig ist,
empfunden wird und ja
vielleicht wirklich weniger von ihr und ihren
Anforderungen versteht als
der Bearbeiter Offenbachs. Es ist leider
wahr, daß er die ihm
vertraglich zugesicherte Wortregie nicht in
dem Ausmaß durchführen
konnte, für das er mit denkbar größter Be
reitwilligkeit
und unter Vernachlässigung seiner sonstigen Arbeit
in Berlin zur Verfügung stand (und auf Wunsch der Opernleitung –
bei seinem ersten Aufenthalt
– in Berlin zurückgeblieben war). Als
Zeugen dafür und
insbesondere für die Erteilung des Wortregieauf
trags stehen
nebst Legationsrat Dr. Hoffmann, Direktor HeinrichFischer und Regisseur Hinrich die Herren Kapellmeister Zweig,
Generalmusikdirektor Klemperer, stellvertretender Direktor Curjel,
Dramaturg Naso und viele Mitwirkende zu Gebote. Als
Beweisdokumen
te Benachrichtigungen für die Proben, zu denen Herr
Kraus als Wort
regisseur zu erscheinen hatte, nebst der Aussage dessen, der die
telephonische Mitteilung
nach Wien weitergegeben hat, daß HerrKraus statt am 9. „wenn er nicht ohnedies in Berlin zu tun hätte“,
am 12. März erwartet werde,
eine Verständigung, wie sie an einen
Autor nicht hinauszugehen
pflegt; usw. Sollte irgendeiner der
Herren, die Herr Kraus als Zeugen führen würde, die es aber
viel
leicht
außerhalb dieser Funktion lieber sähen, wenn die Wahrheit
anders läge, sollte ein
solcher geneigt sein, diese Wahrheit ihm
ins Gesicht zu bestreiten,
so wird er sich keinen Moment bedenken,
die Herren miteinander und
mit ihm selbst konfrontieren und et
waige
Widersprüche gerichtlich überprüfen zu lassen, damit doch
festgestellt werde, ob er
selbst lügt oder einer der Herren nicht
die volle Wahrheit spricht.
Im schriftlichen Verkehr kann die Lei
tung der Krolloper
auf jedem ihr beliebigen „Standpunkt“ stehen oder
die Generalintendanz, die ja bei den Vorgängen nicht zugegen
war,
glauben machen, daß
dieser Standpunkt mit dem Sachverhalt gemäß
sei. Darüber hinaus würde
solches wohl kaum durchführbar sein. Das
tieftraurige Ergebnis der
Angelegenheit bleibt ja die Erfahrung,
daß künstlerisches
Besserwissen, ursprünglich enthusiastisch an
erkannt und
umworben, nicht dazu gelangen konnte, sich im Inter
esse der
künstlerischen Arbeit voll zu entfalten und sich denjeni
gen zur Verfügung
zu stellen, von denen die Wahrung dieses Inter
esses mit Recht
erwartet werden konnte; daß es im Gegenteil nur
ganz dazu gelangte, sich den
schwersten Demütigungen durch dikta
torischen
Dilettantismus und schnöde Unaufrichtigkeit auszusetzen.
Herr Karl Kraus hat es vermieden,
auch nach beendeter Arbeit, die
er durch Austragung der persönlichen Sache nicht stören wollte,
über das Vorgefallene
Beschwerde zu führen. Jedoch der Versuch –
auf den er trotz
all dem keineswegs gefaßt war –: auch noch den
klarsten Rechtsanspruch, der
von vornherein selbstverständliche
und wiederholt anerkannte
Bedingung war, zu bestreiten, würde die
Herrn Karl Kraus keineswegs
unerwünschte Gelegenheit bieten, die
ses unrühmliche
Kapitel, mit dem die Geschichte der Krolloper zu
gleich mit der
Gefährdung eines der bezauberndsten Kunstwerke ab
schließt, zur
Warnung für die gesamte Theatermenschheit, die an
ähnlichen Sitten Gefallen
finden könnte, forensisch darzustellen.
Ich bin indes überzeugt, daß
es so weit nicht kommen
wird,
weil der Sinn für Korrektheit, an den diese Darstellung
appelliert, die Gelegenheit
erkennen muß, die Wahrheit dort zu
suchen, wo sie zu finden
ist, und in dieser Sache, oder beliebig
weit über sie hinaus, zum
Rechten zu sehen. Ich möchte die Weiter
leitung dieses
Memorandums nicht abschließen, ohne im Namen des
Herrn Karl Kraus die Erklärung
abzugeben, daß er selbstverständ
lich gegen die
Ermittlung der Wahrheit auch in der Form nichts
einzuwenden hätte, daß etwa
einer der Herren, die hier als Be
schuldigte
erscheinen, bevor sie zu Zeugen würden, die von ihm er
hobenen Vorwürfe
als unerträglich empfinden sollte. Welcher Weg
immer jedoch zur Ermittlung
der Wahrheit und zur Überprüfung des
sen, was Herr Karl Kraus
behauptet, angetreten werden mag, unter
keinen Umständen wäre er
gewillt, von Personen, die er der Unwahr
haftigkeit und
des treulosen Verhaltens ihmgegenüber überführen
kann, die Angabe
hinzunehmen, daß er einen Anspruch rechtswidrig
erhoben, also die ihm
zugrundeliegende Behauptung wahrheitswidrig
aufgestellt habe.
Indem er Sie, hochgeehrter
Herr, ermächtigt, diese Dar
stellung an den Herrn
Generalintendanten weiterzuleiten, zeichne
ich mit seinen besten
Empfehlungen und mit dem Ausdruck der
vorzüglichsten Hochachtung