Als Anwalt des Herrn Karl Kraus,
Wien IV., Lothringerstrasse Nr. 6 habe ich in seinem Namen die
folgende Beschwerde zu erheben:


Herr Karl Kraus wollte am 8. Juli
1931 zwischen 7 und 1/2 8 Uhr abends ein Telegramm nach Berlin
telefonisch (von seiner Nummer U 42-4-22) aufgeben. Er rief
unter „Telegramm“ an und erhielt zunächst überhaupt keine Ver
bindung. Er wiederholte den Anruf, gab nach hergestellter Ver
bindung seine Nummer an und buchstabierte seinen Namen. Auf die
Antwort „Einen Moment!“ wartete er, die Hörmuschel am Ohr
behaltend. Da er fast 8 Minuten vergeblich gewartet hatte, rief
er noch einmal unter „Telegramm“ an und fragte, warum sich der
„Moment“ so lange erstreckt habe. Auf die Antwort, es sei viel
leicht keine Verbindung mit ihm zu erreichen gewesen, sagte er,
dass er die ganze Zeit mit der Hörmuschel am Ohr gewartet habe.
Statt eines Bescheides über die Ursache der Verzögerung, wurde
er aufgefordert seinen Wunsch bekanntzugeben. Da immer wieder
seine Beschwerde mit der Frage abgeschnitten wurde, was er
eigentlich wünsche, verlangte er mit der Instanz verbunden zu
werden, an die er die Beschwerde richten könne. Anstatt dessen
wurden immer andere Damenstimmen hörbar, die ihn nach seinem
Wunsch befragten, und als mein Klient erklärte, er wolle sich
beschweren, ihn fragten, welches Telegramm er aufgeben wolle.
Nach einer neuerlichen unangemessenen Antwort einer kontrol
lierenden Dame gelang es ihm die Nummer der Beschwerdeinstanz
zu erfahren. Auch hier gab es noch einige Schwierigkeiten, bis
sich ein Beamter meldete. Als Herr Karl Kraus ihm den Vorgang
zu erzählen begann, wobei er gleichfalls mit der Frage unter
brochen wurde, was er eigentlich wünsche, und als er den Be
amten ersuchte, ihn seine Beschwerde vorbringen zu lassen,
die er doch eben vorzubringen im Begriffe sei, bekam er die
Antwort: „Also bitte, bringen Sie Ihre Beschwerde vor!“
Er tat dies und stellte fest, dass jener „Moment“ an die 8
Minuten gedauert hatte. Daraufhin erhielt er die Antwort:
„Das ist unmöglich“. Er replizierte, dass kein Rechtsverfahren
möglich wäre, wenn der Richter die Anklage mit den Worten ab
tue, dass der vorgebrechte Sachverhalt unmöglich sei, der Be
schwerdeführer wolle ja gerade das, was man in der Tat für un
möglich halten sollte, was aber eben doch möglich war, zum
Gegenstand der Beschwerde machen. Der Beamte erwiderte, er habe
„den Eindruck“, Herr Karl Kraus habe entweder die Telefonmuschel
aufgelegt oder nicht zugehört, wie die Beamtin sich meldete. Er
antwortete, dass dieser Eindruck falsch sei und das Gegenteil
jenes Sachverhaltes, über den er Beschwerde führen wolle. Der
Beamte erklärte ihm hierauf den technischen Vorgang und Herr
Karl Kraus meinte, dass die Beamtin diesen technischen Vorgang
nicht eingehalten habe. Der Beamte erwiderte: „Ich mache Sie
darauf aufmerksam, dass Sie sich den technischen Vorschriften zu
fügen haben.“ Ehe noch Herr Karl Kraus in der Lage war den Be
amten begreiflich zu machen, dass er derjenige gewesen sei, der
sich den technischen Vorschriften gefügt habe und seine Be
schwerde dahin gehe, dass sich die Beamtin offenbar den techni
schen Vorschriften nicht gefügt habe und dass er, wenn man seine
Beschwerde nicht entgegennehmen wolle, sich an eine höhere In
stanz zu wenden bereit sei, meinte der Beamte, dass ihm ja der
Weg zu einer schriftlichen Beschwerde offen stehe. Diese er
folgt hiemit und sie geht von der Hoffnung aus, dass sie nicht
den Erfolg haben werde, das sei unmöglich, sondern dass eben
untersucht werde, wie all dies möglich sei. Denn Herr KarlKraus ist nicht nur überzeugt, dass er „sich den technischen
Vorschriften gefügt“ hat, sondern vertritt auch die Meinung,
dass es unerlässlich sei, sich in allen Angelegenheiten des
Verkehrs vor allem logischen Vorschriften zu fügen. Diese Be
schwerde erfolgt keineswegs zu dem Zwecke, um Sühne für eine
einzelne Unzukömmlichkeit zu erlangen, sondern aus prinzipiel
len Gründen, um dem Publikum zu seinem Recht zu verhelfen.


Hochachtungsvoll


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