21 Zu 16Cg 552/31/3
696. Kritische Artikel sind
den selbständigen wissenschaftlichen
Werken der Literatur
zuzuzählen.
Das Zitatrecht (§ 25, Abs. 2 UrhG.) deckt auch die Wiedergabe
eines zum Bestandteile eines
Werkes der Literatur gewordenen
Werkes der Photographie,
selbst wenn letzteres ein Porträt ist.
Der vertragsmässige
Rechtsnachfolger der dargestellten Person ist
in Bezug auf die Zustimmung
zu einer unter das Urheberrecht fal
lenden Verfügung über ein
Photographieporträt dem Erben des Dar
gestellten nicht
gleichzuachten (§ 52, Z.3 UrhG.).
Zum Begriffe der
Veröffentlichung.
I.
Entscheidung vom 12. April
1915, Kr I 44/15.
Der Kassationshof verwarf die von Alfred S. als Privatankläger
erhobene
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesgerichtes in Wien
vom 4. Dezember 1914, womit Karl K. von
der An
klage wegen des
Vergehens des teils vollbrachten, teils versuch
ten Eingriffs in das
Urheberrecht nach § 8 StG. und § 51 UrhG.
gemäss § 259, Z. 3 StPO. freigesprochen worden ist.
Gründe:
Die auf die
Nichtigkeitsgründe des § 281, Z. 5, 9a und 10 StPO.
gestützte
Nichtigkeitsbeschwerde ist unbegründet.
Eine Unvollständigkeit und
Undeutlichkeit im Sinne des § 281,Z. 5
StPO. soll nach Anschauung des Nichtigkeitswerbers darin
gelegen sein, dass das
angefochtene Urteil die Sache so darstelle,
als wäre gerade die Kritik
der im „Taschenbuch für
Bücherfreunde“
enthaltenen Bilder der wesentliche Inhalt des Aufsatzes „DieStaackmänner“ und
als würden in dem ganzen Aufsatz bloss diese
Bilder besprochen. Die
vollständige, deutliche und richtige In-
haltsangabe des Artikels
„Die
Staackmänner“ hätte ergeben, dass,
wenn hier überhaupt von
einem selbständigen „wissenschaftlichen“
Werk die Rede sein könne,
doch die Reproduktion des Bildes „OttoErnst als
Strandläufer von Sylt“ hiemit gar nichts zu tun habe.
Mit diesem
Nichtigkeitsgrunde bekämpft der Nichtigkeitswerber
eigentlich nur die
Anschauung des Gerichtshofes, dass der Artikel
ein selbständiges
wissenschaftliches Kritikwerk ist. Ob ein Werk
ein „wissenschaftliches“ Werk im Sinne des § 25 UrhG. darstelle,
ist Sache der rechtlichen
Beurteilung und deshalb kann der Nich
tigkeitsgrund des § 281, Z. 5 StPO. in dieser Richtung nicht geltend
gemacht werden.
Den Ausspruch, dass es sich
bei dem Artikel „Die Staackmänner“
um ein „wissenschaftliches“ Werk handelt, bekämpft der Beschwerdeführer auch mit
dem formell zutreffenden Nichtigkeitsgrund des
§ 281, Z. 9a StPO., jedoch mit Unrecht. Wenn auch der Artikel im
Grunde
auf Bosheiten gegen die darin besprochenen Schriftsteller
hinausläuft, ist er doch eine kritische Besprechung der meisten
in dem „Taschenbuch für Bücherfreunde“ befindlichen
Abbildungen
von
Schriftstellern und wendet sich gegen die Veröffentlichung
dieser Bilder und die meist
gesuchte Situation, die sie darstellen,
sowie gegen die in den Augen
des Angeklagten darin gelegene
Geschmacklosigkeit. Als
kritischen Artikel muss man also den Artikel
„Die
Staackmänner“ im weiteren Sinne auch als einen wissenschaft
lichen Artikel bezeichnen.
Werken der Photographie, die
sonst einen selbständigen urheber
rechtlichen Schutz
geniessen, kommt, wenn sie Bestandteile von
Werken der Literatur sind,
gemäss § 42 UrhG. der Schutz der Litera
turwerke zu. Dass die Bilder
der Schriftsteller in dem „Taschen-
buch der Bücherfreunde“
Bestandteile eines literarischen Werkes
sind, kann wohl ernstlich
nicht bestritten werden. Diese Bilder
und auch das Bildnis „Otto Ernst als Strandläufer von
Sylt“
geniessen
daher den urheberrechtlichen Schutz von Werken der
Literatur. Da nun dem
Verfasser eines selbständigen wissenschaft
lichen Werkes gemäss § 25, Abs. 2 UrhG. das „Zitatrecht“ zusteht,
begründet die Wiedergabe des
Bildes Otto Ernsts keinen Eingriff
in das Urheberrecht des Privatanklägers.
Mit dem Nichtigkeitsgrund
des § 281, Z. 10 StPO. bringt der
Beschwerdeführer vor, dass,
wenn man auch die Strafbarkeit nach
§ 51 UrhG. ausschliessen wollte, sowohl durch die
Reproduktion
des Bildes
Otto Ernsts in dem in der Zeitschrift „Die Fackel“
erschienenen Artikel, als auch durch den Versuch, dieses Bild bei
einem öffentlichen Vortrag
durch das Skioptikon zu reproduzieren,
die Uebertretung des § 52, Z. 3 UrhG. gegeben sei, weil weder
der dargestellte Otto Ernst noch sein vertragsmässiger Rechts
nachfolger (der
Privatankläger) die Zustimmung zu
Veröffent
lichung gegeben haben.
Der Privatankläger kann den Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 10StPO. im Falle des Freispruches des Angeklagten
nicht geltend
machen, sondern
das, was er unter diesem Nichtigkeitsgrund vor
bringt, stellt sich als
Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes
des § 281, Z. 9a StPO. dar. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt
ist die Beschwerde nicht
begründet. Nach § 52, Z. 3 UrhG. ist eine
urheberrechtliche Verfügung
über ein Photographieporträt an die
Zustimmung des Dargestellten
oder seiner Erben gebunden. Von die
sen Personen wurde im
vorliegenden Falle eine Anklage nicht er
hoben. Was das Gesetz
bezüglich der Erben im § 52, Z. 3 UrhG. sagt
gilt nicht auch von dem
vertragsmässigen Rechtsnachfolger der
dargestellten Person; denn
dem besonderen Schutz des Photographie
porträts – dem Rechte an dem
eigenen Bilde – liegen ethische
Gründe und nicht Gründe
vermögensrechtlicher Natur zu Grunde.
Was die Reproduktion des
Bildes durch das Skioptikon betrifft,
ist dem Gerichtshof nur darin zuzustimmen, dass es sich weder
um
einen Vertrieb noch um
eine Vervielfältigung des Bildes handelt.
Wohl aber läge eine
Veröffentlichung des Bildnisses vor; denn
sobald das Bild an die Wand
projiziert ist, ist es veröffentlicht.
Auch die
Wiederveröffentlichung schliesst die Strafbarkeit nicht
aus, ja in der Regel wird ja
ein Eingriff in das Urheberrecht
erst dann erfolgen können,
wenn das Werk, dessen Urheberrecht
verletzt wird,
veröffentlicht ist.
In keinem der beiden Fälle
kann jedoch deshalb eine Verurtei
lung, wie schon das
angefochtene Urteil zutreffend hervorhebt,
erfolgen, weil es sich hier
um ein Zitat handelt, und deshalb
§ 25, Z. 2 UrhG. Anwendung findet; denn auch bezüglich der
beab
sichtigten Reproduktion durch das Skioptikon ist festgestellt,
dass der Angeklagte das
Bildnis zur Unterstützung seiner Ausfüh
rungen in einem
literarischen Vortrag verwenden wollte; es stand
ihm daher hier ebenfalls das
Recht des § 25, Z. 2 UrhG. zu.
II.
Bemerkungen zu dieser
Entscheidung.
Von Prof. Löffler.
Ob ein kritischer Aufsatz in
einer Zeitschrift, der sich – wie
es scheint, – hauptsächlich
mit einem einzelnen Werke der Litera
tur beschäftigt hat, im
Sinne des § 25, Z. 2 UrhG. als „ein
grösseres Ganzes“ anzusehen ist, „das sich nach seinem Hauptin-
halte als ein selbständiges wissenschaftliches Werk darstellt“,
könnte bezweifelt werden.
Der Kassationshof ist in dem Schutze
des Interesses der
literarischen Kritik recht weit gegangen, wie
ich glaube nicht zu weit.
Eine Grenze wird die Erlaubnis des
§ 25 jedenfalls dort finden, wo der wahre Zweck des Zitates
nicht Kritik, sondern
Mitteilung der fraglichen Stelle ist. Ueber
diesen Verdacht war der Angeklagte,
wie jeder Leser der „Fackel“
weiss, erhaben.
Unmöglich aber ist es, mit
dem Urteil einen mündlichen Vortrag
als ein „wissenschaftliches
Werk“ zu bezeichnen und somit § 25,Z.
2 auf ihn anzuwenden. Es ist dies auch nicht nötig. Denn der
Angeklagte
hätte sich auch dann keiner strafbaren Handlung schul
dig gemacht, wenn er ohne
jeden Zusatz das „Taschenbuch für Bücherfreunde“ öffentlich vorgelesen und die darin enthaltenen
Photographien durch das
Skioptikon vorgeführt hätte.
Literarische Werke sind, wie
schon die Motive zu § 23 UrhG.
hervorheben, im allgemeinen
nach ihrem Erscheinen gegen münd
liche Wiedergabe nicht
geschützt; dies ist für Vorträge beson
ders bestimmt in § 23, Abs. 3; eine Ausnahme gilt nur für Büh
nenwerke (§ 23, Abs. 2). Unter „Veröffentlichung“
versteht
aber unser
geltendes Urheberrecht, wie auch die Motive hervor
heben, „immer nur die erstmalige
Veröffentlichung“ (vgl. v.
Seillers Gesetzausgabe, S. XVII, 65f.; Schmidl, S. 163, 167,
Anm. 3, 201, 216, 235).
Darum erscheint in § 24, Z. 1 als Ein
griff in das Urheberrecht
„die Veröffentlichung eines
noch
nicht
erschienenen Werkes“. Das Zeigen eines bereits veröffent
lichten Photographieporträts
durch ein Skioptikon ist weder nach
§ 23f., noch nach § 40 eine „unter das Urheberrecht
fallende
Verfügung“, kann also auch von der dargestellten Person selbst
nicht nach § 52, Z. 3 verfolgt werden. Eine strafbare „Wieder
veröffentlichung“, wie sie die Urteilsgründe annehmen, ist dem
österreichischen Rechte
völlig fremd. Darüber ist eine „andere
Ansicht“ nicht
möglich. Nach der „Veröffentlichung“
umfasst das
Urheberrecht an
Werken der Literatur nur noch das Recht, das
Werk zu vervielfältigen, zu
verbreiten und zu übersetzen (§ 23).
Im vorliegenden Falle war
also der Urteilsspruch gerechtfer
tigt; vor der Irreführung
durch die Urteilsgründe kann nicht
eindringlich genug gewarnt
werden.