Das Gesetz vom 26. Dezember 1895Die FackelTaschenbuch für BücherfreundeDas österreichische Urheberrecht an Werken der Literatur, Kunst und Photographie. Historisch und dogmatisch erläutert


21 Zu 16Cg 552/31/3


696. Kritische Artikel sind den selbständigen wissenschaftlichen
Werken der Literatur zuzuzählen.


Das Zitatrecht (§ 25, Abs. 2 UrhG.) deckt auch die Wiedergabe
eines zum Bestandteile eines Werkes der Literatur gewordenen
Werkes der Photographie, selbst wenn letzteres ein Porträt ist.
Der vertragsmässige Rechtsnachfolger der dargestellten Person ist
in Bezug auf die Zustimmung zu einer unter das Urheberrecht fal
lenden Verfügung über ein Photographieporträt dem Erben des Dar
gestellten nicht gleichzuachten (§ 52, Z.3 UrhG.).
Zum Begriffe der Veröffentlichung.


I.
Entscheidung vom 12. April 1915, Kr I 44/15.


Der Kassationshof verwarf die von Alfred S. als Privatankläger
erhobene Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesgerichtes in Wien vom 4. Dezember 1914, womit Karl K. von der An
klage wegen des Vergehens des teils vollbrachten, teils versuch
ten Eingriffs in das Urheberrecht nach § 8 StG. und § 51 UrhG.
gemäss § 259, Z. 3 StPO. freigesprochen worden ist.


Gründe:
Die auf die Nichtigkeitsgründe des § 281, Z. 5, 9a und 10 StPO.
gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist unbegründet.


Eine Unvollständigkeit und Undeutlichkeit im Sinne des § 281,Z. 5 StPO. soll nach Anschauung des Nichtigkeitswerbers darin
gelegen sein, dass das angefochtene Urteil die Sache so darstelle,
als wäre gerade die Kritik der im „Taschenbuch für Bücherfreunde
enthaltenen Bilder der wesentliche Inhalt des Aufsatzes „DieStaackmänner“ und als würden in dem ganzen Aufsatz bloss diese
Bilder besprochen. Die vollständige, deutliche und richtige In-
haltsangabe des Artikels „Die Staackmänner“ hätte ergeben, dass,
wenn hier überhaupt von einem selbständigen „wissenschaftlichen“
Werk die Rede sein könne, doch die Reproduktion des Bildes „OttoErnst als Strandläufer von Sylt“ hiemit gar nichts zu tun habe.


Mit diesem Nichtigkeitsgrunde bekämpft der Nichtigkeitswerber
eigentlich nur die Anschauung des Gerichtshofes, dass der Artikel
ein selbständiges wissenschaftliches Kritikwerk ist. Ob ein Werk
ein „wissenschaftliches“ Werk im Sinne des § 25 UrhG. darstelle,
ist Sache der rechtlichen Beurteilung und deshalb kann der Nich
tigkeitsgrund des § 281, Z. 5 StPO. in dieser Richtung nicht geltend
gemacht werden.


Den Ausspruch, dass es sich bei dem Artikel „Die Staackmänner
um ein „wissenschaftliches“ Werk handelt, bekämpft der Beschwerdeführer auch mit dem formell zutreffenden Nichtigkeitsgrund des
§ 281, Z. 9a StPO., jedoch mit Unrecht. Wenn auch der Artikel im
Grunde auf Bosheiten gegen die darin besprochenen Schriftsteller
hinausläuft, ist er doch eine kritische Besprechung der meisten
in dem „Taschenbuch für Bücherfreunde“ befindlichen Abbildungen
von Schriftstellern und wendet sich gegen die Veröffentlichung
dieser Bilder und die meist gesuchte Situation, die sie darstellen,
sowie gegen die in den Augen des Angeklagten darin gelegene
Geschmacklosigkeit. Als kritischen Artikel muss man also den Artikel
Die Staackmänner“ im weiteren Sinne auch als einen wissenschaft
lichen Artikel bezeichnen.


Werken der Photographie, die sonst einen selbständigen urheber
rechtlichen Schutz geniessen, kommt, wenn sie Bestandteile von
Werken der Literatur sind, gemäss § 42 UrhG. der Schutz der Litera
turwerke zu. Dass die Bilder der Schriftsteller in dem „Taschen-
buch der Bücherfreunde“ Bestandteile eines literarischen Werkes
sind, kann wohl ernstlich nicht bestritten werden. Diese Bilder
und auch das Bildnis „Otto Ernst als Strandläufer von Sylt
geniessen daher den urheberrechtlichen Schutz von Werken der
Literatur. Da nun dem Verfasser eines selbständigen wissenschaft
lichen Werkes gemäss § 25, Abs. 2 UrhG. das „Zitatrecht“ zusteht,
begründet die Wiedergabe des Bildes Otto Ernsts keinen Eingriff
in das Urheberrecht des Privatanklägers.


Mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 10 StPO. bringt der
Beschwerdeführer vor, dass, wenn man auch die Strafbarkeit nach
§ 51 UrhG. ausschliessen wollte, sowohl durch die Reproduktion
des Bildes Otto Ernsts in dem in der Zeitschrift „Die Fackel
erschienenen Artikel, als auch durch den Versuch, dieses Bild bei
einem öffentlichen Vortrag durch das Skioptikon zu reproduzieren,
die Uebertretung des § 52, Z. 3 UrhG. gegeben sei, weil weder
der dargestellte Otto Ernst noch sein vertragsmässiger Rechts
nachfolger (der Privatankläger) die Zustimmung zu Veröffent
lichung gegeben haben.


Der Privatankläger kann den Nichtigkeitsgrund des § 281, Z. 10StPO. im Falle des Freispruches des Angeklagten nicht geltend
machen, sondern das, was er unter diesem Nichtigkeitsgrund vor
bringt, stellt sich als Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes
des § 281, Z. 9a StPO. dar. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt
ist die Beschwerde nicht begründet. Nach § 52, Z. 3 UrhG. ist eine
urheberrechtliche Verfügung über ein Photographieporträt an die
Zustimmung des Dargestellten oder seiner Erben gebunden. Von die
sen Personen wurde im vorliegenden Falle eine Anklage nicht er
hoben. Was das Gesetz bezüglich der Erben im § 52, Z. 3 UrhG. sagt
gilt nicht auch von dem vertragsmässigen Rechtsnachfolger der
dargestellten Person; denn dem besonderen Schutz des Photographie
porträts – dem Rechte an dem eigenen Bilde – liegen ethische
Gründe und nicht Gründe vermögensrechtlicher Natur zu Grunde.


Was die Reproduktion des Bildes durch das Skioptikon betrifft,
ist dem Gerichtshof nur darin zuzustimmen, dass es sich weder um
einen Vertrieb noch um eine Vervielfältigung des Bildes handelt.
Wohl aber läge eine Veröffentlichung des Bildnisses vor; denn
sobald das Bild an die Wand projiziert ist, ist es veröffentlicht.
Auch die Wiederveröffentlichung schliesst die Strafbarkeit nicht
aus, ja in der Regel wird ja ein Eingriff in das Urheberrecht
erst dann erfolgen können, wenn das Werk, dessen Urheberrecht
verletzt wird, veröffentlicht ist.


In keinem der beiden Fälle kann jedoch deshalb eine Verurtei
lung, wie schon das angefochtene Urteil zutreffend hervorhebt,
erfolgen, weil es sich hier um ein Zitat handelt, und deshalb
§ 25, Z. 2 UrhG. Anwendung findet; denn auch bezüglich der beab
sichtigten Reproduktion durch das Skioptikon ist festgestellt,
dass der Angeklagte das Bildnis zur Unterstützung seiner Ausfüh
rungen in einem literarischen Vortrag verwenden wollte; es stand
ihm daher hier ebenfalls das Recht des § 25, Z. 2 UrhG. zu.


II.
Bemerkungen zu dieser Entscheidung.
Von Prof. Löffler.


Ob ein kritischer Aufsatz in einer Zeitschrift, der sich – wie
es scheint, – hauptsächlich mit einem einzelnen Werke der Litera
tur beschäftigt hat, im Sinne des § 25, Z. 2 UrhG. als „ein
grösseres Ganzes“ anzusehen ist, „das sich nach seinem Hauptin-
halte als ein selbständiges wissenschaftliches Werk darstellt“,
könnte bezweifelt werden. Der Kassationshof ist in dem Schutze
des Interesses der literarischen Kritik recht weit gegangen, wie
ich glaube nicht zu weit. Eine Grenze wird die Erlaubnis des
§ 25 jedenfalls dort finden, wo der wahre Zweck des Zitates
nicht Kritik, sondern Mitteilung der fraglichen Stelle ist. Ueber
diesen Verdacht war der Angeklagte, wie jeder Leser der „Fackel
weiss, erhaben.


Unmöglich aber ist es, mit dem Urteil einen mündlichen Vortrag
als ein „wissenschaftliches Werk“ zu bezeichnen und somit § 25,Z. 2 auf ihn anzuwenden. Es ist dies auch nicht nötig. Denn der
Angeklagte hätte sich auch dann keiner strafbaren Handlung schul
dig gemacht, wenn er ohne jeden Zusatz das „Taschenbuch für Bücherfreunde“ öffentlich vorgelesen und die darin enthaltenen
Photographien durch das Skioptikon vorgeführt hätte.


Literarische Werke sind, wie schon die Motive zu § 23 UrhG.
hervorheben, im allgemeinen nach ihrem Erscheinen gegen münd
liche Wiedergabe nicht geschützt; dies ist für Vorträge beson
ders bestimmt in § 23, Abs. 3; eine Ausnahme gilt nur für Büh
nenwerke (§ 23, Abs. 2). Unter „Veröffentlichung“ versteht
aber unser geltendes Urheberrecht, wie auch die Motive hervor
heben, „immer nur die erstmalige Veröffentlichung“ (vgl. v.
Seillers Gesetzausgabe, S. XVII, 65f.; Schmidl, S. 163, 167,
Anm. 3, 201, 216, 235). Darum erscheint in § 24, Z. 1 als Ein
griff in das Urheberrecht „die Veröffentlichung eines noch
nicht erschienenen Werkes“. Das Zeigen eines bereits veröffent
lichten Photographieporträts durch ein Skioptikon ist weder nach
§ 23f., noch nach § 40 eine „unter das Urheberrecht fallende
Verfügung“, kann also auch von der dargestellten Person selbst
nicht nach § 52, Z. 3 verfolgt werden. Eine strafbare „Wieder
veröffentlichung“, wie sie die Urteilsgründe annehmen, ist dem
österreichischen Rechte völlig fremd. Darüber ist eine „andere
Ansicht“ nicht möglich. Nach der „Veröffentlichung“ umfasst das
Urheberrecht an Werken der Literatur nur noch das Recht, das
Werk zu vervielfältigen, zu verbreiten und zu übersetzen (§ 23).


Im vorliegenden Falle war also der Urteilsspruch gerechtfer
tigt; vor der Irreführung durch die Urteilsgründe kann nicht
eindringlich genug gewarnt werden.