Abschrift.
Geschäftszahl 5 U 87/32
Vor dem Strafbezirksgericht Wien I, ist heute in
Gegenwart
des
Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek
des nicht erschienenen
Privatanklägers Karl Kraus
in Abwesenheit des
Angeklagten Hans
Tabarelli
und in Anwesenheit des
Verteidigers Dr. Eduard Pachtmann, für Dr. Desider
Friedmann
über die Anklage verhandelt
worden, die der
Privatankläger Karl Kraus gegen Hans Tabarelli
wegen der Übertretung nach
§ 30 Pr.G. erhoben hatte.
[¿]hat über den vom Ankläger
gestellten Antrag auf Bestrafung des Angeklagten
Hans Tabarelli, 5.7.1898,
verh. Redakteur,
hat das Gericht zu Recht erkannt:
Der Angeklagte Hans Tabarelli
ist schuldig, er habe
im
Februar 1932 in Wien als verantwortlicher Schrift
leiter der
Zeitung „Neues
Wiener Journal“ vom
7.2.32 bei der Aufnahme der Stellen:
a) „Wer hat die
Ohrfeigen bekommen?“
b) „Herr Ober
einen Knobel-Penez für Herrn Kraus. (Ein
Knobel-Penez, ein mit
Gänsefett und Knoblauch bestri
chenes
geröstetes Brot, ist eine bei österreichischen
Ethikern beliebte
rituelle Speise.)“!
c.) „… ich
bestelle, ohne mich mit den Jüngern
in einen Disput
einzulassen, die für den Meister be
stellte
Knoblauchspeise ab;“
d) „Ich bedaure
den Vorfall also, weil ich Herrn
Karl Kraus viel zu
gering schätze, als dass ich ihn
je persönlich beleidigen
würde;“
e) „Wenn mich
etwas dabei tröstet, so ist es …
der Umstand, dass ich
dem meist geohrfeigten Ethiker der
Gegenwart nicht die
Gelegenheit gab, ausnahmsweise
seinen Gegner attackiert
zu sehen“.
in dem Aufsatz „Wer hat die Ohrfeigen bekommen?“
in Nummer 13726 der genannten Zeitung vom 7.2.1932, deren Inhalt
die Uebertretung gegen die Sicherheit
der Ehre nach § 491 StG. begründet, jene Sorg
falt
vernachlässigt, bei deren pflichtgemässer
Anwendung die Aufnahme des
strafbaren Inhaltes
unterblieben wäre.
Er hat hiedurch die
Uebertretung des § 30 Pr.G.
begangen und wird hiefür
nach dieser Gesetzesstelle
zu
einer Geldstrafe im Betrage von
200.–
(zweihundert) Schillingen,
im Nichteinbringungsfalle zu
zwei Tagen Arrest und
gemäss
§ 389 StPO. zum Ersatze der Kosten des
Strafverfahrens verurteilt.
Hans Tabarelli wird ferner
gemäss § 43/1 Pr.G.
verpflichtet, dieses Urteil
in der ersten oder zweiten
Nummer der Zeitung „Neues Wiener Journal“, die
nach
Rechtskraft dieses
Urteiles erscheinen wird, in
der im § 23 Pr.G. vorgeschriebenen Weise zu ver-
öffentlichen, widrigenfalls
die genannte Zeitung
nicht mehr erscheinen
dürfte.
Der Antrag auf
Verfallserklärung wird abge
wiesen.
Gemäss § 5 (2) Pr.G. haftet die Firma Lippowitz & Co. als Eigentümer und Herausgeber der
genannten Zeitung für die Geldstrafe und die Kosten
des Strafverfahrens zur
ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.
Entscheidungsgründe:
Durch das Impressum,
beziehungsweise die Angaben
des Verteidigers ist erwiesen, dass der Angeklagte
der verantwortliche Schriftleiter der Nummer13.726
der Zeitung „Neues Wiener Journal“ vom
7.2.1932 war, in der unter
der Ueberschrift „Wer hatdie Ohrfeigen
bekommen?“ ein Aufsatz erschienen ist,
der die im Urteilsspruche
zitierten Stellen enthält.
In
diesen Stellen wird der Privatankläger durch
den
geringschätzigen
Hinweis auf seine Konfession (b, c)
ferner durch die Ausführung,
dass man ihn so gering
schätzt, dass man ihn nicht einmal für würdig
findet, sich auch nur in
Form einer Beleidigung mit
ihm zu befassen (d), ferner durch den Titel und durch
den in verspottender Form
erfolgten Hinweis auf
mehrere
tätliche Angriffe, die seinerzeit auf den
Privatankläger verübt wurden, dem öffentlichen
Spotte ausgesetzt,
beziehungsweise verächtlicher
Eigenschaften geziehen.
Sie begründen daher objektiv
den Tatbestand der
Uebertretung gegen die Sicherheit der Ehre nach
§ 491 StG.
Da der Angeklagte Hans Tabarelli
zugegeben hatte,
dass er den
vorerwähnten Aufsatz weder
verfasst,
noch in
Kenntnis des Inhaltes zum Drucke befördert
habe, konnte der Angeklagte
lediglich nach § 30 Pr.G.
zur Verantwortung gezogen
werden.
Da ein Wahrheitsbeweis nicht
einmal angeboten
wurde,
soweit öffentliche Verspottungen vorliegen,
auch gar nicht zulässig
wäre, war mit einem Schuldspruch
vorzugehen.
Bei der Strafbemessung war
Rückfall nach einer
Vorstrafe
erschwerend,
als mildernd kam kein
Umstand in Betracht.
Die Strafe erscheint daher
dem Verschulden
angemessen.
Ueber Antrag des Privatanklagevertreters wurde
der Angeklagte gemäss § 43 (1) Pr.G. zur Veröffent
lichung des
Urteiles in der Zeitung „Neues WienerJournal“
verpflichtet.
Der Antrag auf
Verfallserklärung war abzuweisen,
weil der Verfall sich nur
auf zur Verbreitung be
stimmte Stücke erstrecken könnte, die Verbreitung
dieser Nummer der genannten Tageszeitung heute aber
längst beendet und
gegenstandslos ist, eine Be
schlagnahme von zur Verbreitung bestimmt gewesenen
Stücken aber mangels eines
Antrages nicht er
folgt ist.
Die übrigen Aussprüche des
Urteiles gründen
auch auf die
bezogenen Gesetzesstellen.
Wien, am 9. März 1932.
Der Richter:
LGR. Dr. Standhartinger m.p.
Der Schriftführer:
Dr. Gröger m.p.
Für
die Richtigkeit der Ausfertigung:
Strafbezirksgericht I in Wien
II., Schiffamtsgasse 1
Abt. 5, am 25./III 1932.
[Unterschrift]