Wer hat die Ohrfeigen bekommen?Kommentar zum österreichischen StrafrechtNeues Wiener JournalNeues Wiener Journal, 7.2.1932


1. April 1932.
Dr.S/Fa.
G.Z. 5 U 87/32


An das
Strafbezirksgericht IWien.


Privatankläger und Berufungswerber: Karl Kraus, Schrift
steller in Wien III., Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3.
durch:


Beschuldigter: Hans Tabarelli, verantwortlicher
Redakteur des ‚Neuen Wiener Journal‘ in
Wien I., Biberstrasse Nr. 5,


wegen Ehrenbeleidigung begangen durch
die Presse


2 fach
1 Beilage


Ausführung der Berufung gegen das Urteil vom 9. März 1932.


Ich führe die gegen das Urteil vom 9. März
1932 G.Z. 5 U 87/32 am 12. März 1932 angemeldete Berufung frist
gerecht nach der am 26. März 1932 erfolgten Zustellung der
Urteilsausfertigung an meinen Anwalt Dr. Oskar Samek aus.


Beschwert erachtet sich der Privatankläger
durch die Abweisung des Antrages auf Verfallserklärung. Je
nach Auslegung des § 281, Ziffer 9, Absatz b St.P.O. werden
die nachfolgenden Ausführungen als Geltendmachung dieses Nich
tigkeitsgrundes oder als reine Strafberufung aufzufassen sein,
wovon lediglich abhängt, ob die Entscheidung nach durchgeführter
mündlicher Berufungsverhandlung oder ohne eine solche zu fällen
sein wird.


In der Sache selbst ist zu sagen, dass die
Abweisung des Antrages auf Verfallserklärung das Gesetz verletzt
oder unrichtig anwendet. Gemäss § 41, Absatz 1 des Pressgesetzes
ist auf Antrag des Anklägers mit der Verurteilung wegen einer
durch den Inhalt eines Druckwerkes begangenen strafbaren Handlung
auf Verfall des Druckwerkes zu ernennen. Diesem Antrag muss das
Gericht Folge geben, wenn es verurteilt, es steht nicht im Er
messen des Gerichtes, anders zu entscheiden. (Siehe Altmann und
Jakob: Kommentar zum österreichischen Strafrecht, Seite 1358.)


„Der Verfall erstreckt sich nur auf die zur
Verbreitung bestimmten Stücke des Druckwerkes.“ Dieser Satz des
§ 41 Pressgesetzes hat den Richter erster Instanz verleitet,
den Antrag auf Verfallserklärung abzuweisen, weil nach seiner
Ansicht „die Verbreitung dieser Nummer der genannten Tageszeitung
heute längst beendet und gegenständig ist, eine Beschlagnahme
zur Verbreitung bestimmt gewesener Stücke aber mangels eines
Antrages nicht erfolgt ist.“ Die Beschlagnahme ist keine Voraus
setzung der endgiltigen Verfallserklärung. Sie soll zwar die
Verfallserklärung vorbereiten, und wenn eine solche nicht er
folgt ist, so kann unter Umständen die nachträgliche Verfalls
erklärung rein theoretische Wirkung haben, niemals aber kann
die schliessliche Verfallserklärung davon abhängig gemacht werden,
ob eine Beschlagnahme erfolgte oder nicht; der Antrag auf Be
schlagnahme steht dem Privatankläger frei, ohne dass es seine
Rechte verkürzte, wenn er nicht gestellt wurde. Unrichtig ist
ferner die Behauptung des Urteils, die Verbreitung dieser Nummer
der genannten Tageszeitung sei heute längst beendet und gegen
standslos. Solange die Tageszeitung im Besitze von Exemplaren
dieser Nummer ist, ist sie in der Lage, die Nummer weiterzuver
breiten, und verbreitet sie auch weiter. Mein Anwalt Dr. OskarSamek hat noch am 30. März 1932 eine Nummer des ‚Neuen WienerJournals ‘ vom 7. Februar 1932 käuflich erworben, worüber ich ihn
als Zeugen führe. Es ist zwar vielleicht nicht durch Zeugen nach
weisbar, aber doch auch ohne solche klar und vielleicht gerichts
bekannt, dass die Veröffentlichung des Urteiles in der Zeitung
das Interesse der Leserschaft weckt, den Artikel kennenzulernen,
der zur Verurteilung führte, zumal, wenn es sich wie bei dem
Privatankläger um eine Persönlichkeit handelt, die im Mittel
punkt des öffentlichen Interesses steht. Gerade also in einem
solchen Fall wird die Nummer der Zeitung auch noch nach längerer
Zeit begehrt und gekauft werden, was vielleicht im allgemeinen
nicht von jeder Nummer gesagt werden kann. Es ist ganz offen
sichtlich, dass bei dem notorischen Charakter des ‚Neuen WienerJournals‘ als eines ausschliesslich auf Zwecke der Sensation
eingestellten Blattes geradezu auf den Reizwert einer Urteilsver
öffentlichung spekuliert wird, durch die die Leser, die den in
kriminierten Artikel nicht gelesen haben oder gerne wieder lesen
möchten, weil er ihnen nicht mehr ganz in Erinnerung ist, veran-
lasst werden sollen, die inkriminierte Nummer, deren Datum ja
im Urteil genau angegeben wird, sich zu beschaffen. Dass das
Neue Wiener Journal‘ vor Eintritt der Rechtskraft sich seiner
Verpflichtung zur Urteilspublikation unterzogen hat und die Art,
in der sie das tat, beweist denn auch mit der Eindringlichkeit
eines Schulbeispiels, dass das Blatt die Gelegenheit der Abur
teilung zu einer Sensation und zu einem Geschäft benützt. Ohne
jeden durch das Urteil selbst oder durch die Praxis gesetzten
Zwang hat das Blatt entgegen allem journalistischen Usus, der
die Wiederholung der fetten Lettern nur bei Berichtigungen
rechtfertigt, in dem vorliegenden Fall der in dem Titel ent
haltenen Beleidigung neue und wirksamste Verbreitung gesichert.
Selbst wenn die Ausrede vorgebracht werden sollte, dass die
(doppelte) Anwendung der grossen Titellettern einer im § 23 desPressgesetzes begründeten Vorsicht entspreche, die aber bei
Urteilen über Beleidigungen sonst nie betätigt wurde, so wäre es
doch sonnenklar, dass hier der Anreiz zur Beschaffung der alten
Nummer, deren Datum im Urteil vorkommt, in höchstem Masse ge
geben ist. Besonders wird dies aber dann der Fall sein, wenn
durch das Urteil selbst dem Leser bekannt wird, dass der Antrag
auf Verfallserklärung der Nummer abgewiesen wurde, wodurch er
darauf aufmerksam gemacht wird, er könne sich die alte Nummer
doch beschaffen. Offenbar, um dies herbeizuführen, hat auch das
Neue Wiener Journal‘ die Urteilsveröffentlichung vorgenommen,
obwohl es wegen der Berufung des Privatanklägers noch nicht dazu
verpflichtet war und im Falle der Stattgebung der Berufung die
erfolgte Veröffentlichung des Urteils als nicht dem Gesetz ent
sprechend angesehen werden muss. Ich lege dieses Exemplar eines
sensationellen Druckes zur überzeugenden Anschauung vor. Die
Abweisung des Antrages auf Verfallserklärung würde also die un-
liebsame Konsequenz haben, dass die Zeitung durch den Verkauf
sonst wertloser Exemplare ihre Strafe hereinzubringen im Stande
ist. Aus allen diesen Gründen war die Abweisung des Antrages
auf Verfallserklärung ungerechtfertigt und dem Gesetz wider
sprechend.


Ich beantrage daher, das Urteil erster
Instanz abzuändern und auch die Verfallserklärung der Nr. 13726des ‚Neuen Wiener Journals‘ vom 7. Februar 1932 auszusprechen.


Karl Kraus.


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