12. Februar 1932.
Dr.S/Fa.
An das
Strafbezirksgericht IWien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in WienIII.,
Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,
durch:
Beschuldigter: Karl Mautner, verantwortlicher
Redakteur der ‚Wiener
Mittags-Zeitung‘
Wien VII., Lerchenfelderstrasse Nr.
1,
wegen
Ehrenbeleidigung
begangen
durch die Presse
1 fach
1 Vollmacht
1 Beilage
Privatanklage
und Antrag
auf Vornahme einer Hausdurchsuchung.
In der ‚Wiener Mittags-Zeitung‘ vomDienstag den 9. Februar 1932,
80. Jahrgang, Nr. 32 erschien
auf Seite 5 eine Notiz,
Anekdote
des Tages
Neues von Egon
Friedell
Egon Friedell soll einmal Karl Kraus
gefragt haben, ob er sich schon
duelliert habe.
Dieser
antwortete: „O ja! Ich bin schon
oft geohrfeigt worden!“
Selbstverständlich hat eine
solche Unterredung zwischen dem
Privatankläger und Herrn Egon Friedell niemals
stattgefunden.
Der unbekannte
Verfasser der Anekdote hatte lediglich die Ab
sicht drei, 38 bis 27
Jahre zurückliegende gegen den Privatankläger
verübte Attacken, für die die Attackierenden ent
sprechend bestraft
wurden, dazu zu benutzen, um den Privatankläger dem
öffentlichen Spott auszusetzen.
Es wäre unvorstellbar, dass Herr Friedell
diesen Dialog, den er sich
selbstverständlich nur hätte er
finden können, auch wirklich erfunden und gar weitergegeben
hat, da er unmöglich eine so
niedrige Gesinnung, die sich in
einer derartigen Verzerrung eines Sachverhaltes bekundet, an
den Tag legen konnte, wenn man
bedenkt, dass er der Verfasser
der „Kulturgeschichte der Neuzeit“ ist
(C.H. Beck, München), in
der er im
Band I Seite 169 der Persönlichkeit des Privatanklägers mit
den folgenden Worten gerecht wird:
… und Karl Kraus hat
unsere Zeit in einem Werk von
fanatischer Phantastik und übermenschlichem Pinsel
strich, das ihre
Züge für immer aufbewahren wird, eben
falls apokalyptisch
gesehen als die ‚Letzten Tage derMenschheit‘.
Die Vermutung, dass der Autor dieses
Satzes zugleich der Urheber
einer mit solcher Würdigung so
offen kontrastierenden Schändlichkeit und Schäbigkeit sein
könnte, wäre selbst dann
abzuweisen, wenn man ihm zutraute,
dass er sein Urteil über den Privatankläger darum geändert
habe, weil dieser, unbeeinflusst
von solcher Würdigung, ihn
als
unzulänglichen Schauspieler und unmöglichen Offenbach-
Bearbeiter
bezeichnet hat.
Der Beschuldigte hat, sei es, dass er
die
Anekdote selbst verfasst
oder sie nur vor der Drucklegung ge
lesen und sie zum
Druck befördert hat, als Täter, sei es, dass
er sie nicht gelesen hat, wegen
Vernachlässigung der pflicht
gemässen Obsorge sich strafbar gemacht, und man kann wohl
sagen, dass hier mutwillig eine
der infamsten Missbräuche
von
Verfügung über Druckerschwärze verübt wurde.
Es ist nicht unwichtig, den
wahren Sach
verhalt,
der der Verspottung mit dem Satz „Ich bin schon oft
geohrfeigt worden!“ zu
Grunde liegt, zur Kenntnis des Ge
richtes zu
bringen. Der Privatankläger wurde im Jahre 1896
von einem Wiener Journalisten attackiert, wie dieser angab
wegen einer Wendung in der
Literatursatire „Die demolierteLiteratur“, der er eine
falsche Deutung gab, indem er sie
fälschlich als einen Eingriff ins Privatleben interpretierte.
In Wahrheit war er wegen der an
seinem unzulänglichen Deutsch
geübten Kritik aufgebracht. Er wurde wegen Beleidigung vom
Bezirksgericht Josefstadt
verurteilt. Im Jahre 1899 wurde der
Privatankläger von mehreren
Literaten gemeinsam und zwar we
gen eines die Korruption des Wiener Theater- und Literatur
lebens betreffenden
Aufsatzes
in der ‚Fackel‘ überfallen und
verletzt; sämtliche Angreifer
wurden von der Staatsanwalt-
schaft angeklagt und teils zu
Arreststrafen im Ausmass von
10
beziehungsweise 8 Tagen, teils zu hohen Geldstrafen ver
urteilt. Im Jahre 1905
wurde der Privatankläger von einem
Kabarettunternehmer und seiner Lebensgefährtin attackiert
und verletzt. Die Staatsanwaltschaft erhob die Anklage und
die in der ersten Instanz gegen
den Mann verhängte Arrest
strafe von einem Monat
wurde wegen des mildernden Umstandes
seiner Trunkenheit in eine hohe
Geldstrafe umgewandelt, die
der
Frau herabgesetzt.
Ich stelle daher durch meinen
mit beilie
gender
Vollmacht ausgewiesenen Anwalt die folgenden
Anträge
auf
1.) Anberaumung einer
Hauptverhandlung;
2.) Ladung
des Beschuldigten;
3.)
Verlesung des inkriminierten Artikels;
4.) Bestrafung des Beschuldigten;
5.)
Veröffentlichung des Artikels;
6.) Verfall der Zeitungsnummer mit dem
inkriminierten
Artikel;
7.)
Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten
Hand mit ihm als Eigentümer und
Herausgeber Wienerallgemeine Zeitungs- und
Verlags-Aktien-Gesellschaft
Wien VII., Lerchenfelderstrasse Nr. 1.
Ferner beantrage ich, zur
Eruierung des
Verfassers der
Anekdote, die Hausdurchsuchung im Redaktions
lokal der ‚Wiener
Mittags-Zeitung‘ in Wien VII.,
Lerchenfelderstrasse Nr. 1, unter Hinzuziehung meines ausgewiesenen
Anwaltes und behalte mir weitere Anträge vor.