Sehr geehrter Herr Kollege!
Ihr Schreiben vom 6. Juni 1932 habe ich Herrn
Kraus zur Kenntnis gebracht. Er lässt Ihnen herzlichst
danken.
Unterdessen werden Sie ja auch
schon meinen
Brief mit der Abschrift des Vertrages bekommen haben und aus
ihm ersehen, dass ich selbst
grosse juristische Bedenken habe,
eine Zivilklage einzubringen; die Bedenken allerdings mehr in
der Richtung hin, dass der Vertrag zwischen der UniversalEdition A.G. und der Essener städtischen
Bühne respektive der
Stadtgemeinde Essen abgeschlossen wurde und man
vielleicht
Herrn Kraus die Aktivlegitimation abstreiten könnte. Ob
in
der eigenmächtigen
Rücksendung des Werkes, ohne dass
dagegen
ein Protest erhoben
worden wäre, ein stillschweigendes Ein
verständnis mit dem Verzicht auf
weitere Aufführungsansprüche
zu
erblicken ist, möchte ich allerdings nach österreichischer
Judikatur bestreiten, da Herr Kraus ja in seinem Brief vom
6. April 1932 die „volle Wiederherstellung des Werkes“ verlangt
hatte und Stillschweigen als
Einverständnis wohl nur dann anzu
nehmen ist, wenn eine Pflicht zur
unmittelbaren Beantwortung
besteht und das Stillschweigen schlüssig nicht anders als ein
Einverständnis erklärt werden
kann.
Für die Frage der Führung eines
Zivilpro
zesses
erscheint mir weiter wesentlich der von Ihnen berührte
Umstand, es müssen Erklärungen
von Kommunalbehörden, soweit sie
rechtlich verbindender Natur sind, die Unterschriften des Ober
bürgermeisters oder seines
Stellvertreters und eines zweiten
Mitgliedes des Magistrats tragen. Dieser Umstand wäre gewiss
nicht ausseracht zu lassen, wenn
das Werk überhaupt nicht auf
geführt worden wäre
und man nunmehr auf Grund des Vertrages
auf Erfüllung klagen wollte. Nun
ist aber das Werk aufgeführt
worden, der Vertrag also erfüllt, aber mangelhaft erfüllt
worden. Es könnte nach
österreichischem Recht keinem Zweifel
unterliegen, dass die fehlende
zweite Unterschrift dadurch
überflüssig geworden ist, dass das Werk offenbar mit Genehmi
gung des Magistrates aufgeführt
wurde. Es ist ja kaum anzu
nehmen, dass Herr Schulz-Dornburg eigenmächtig und ohne die
juristischen Voraussetzungen das
Werk zur Aufführung gebracht
hat. In solchem Fall könnte nun
unbedingt verlangt werden, dass
der Mangel bei der Erfüllung des Vertrages behoben und das
Werk unverstümmelt aufgeführt werde. Ich weiss allerdings nicht,
ob alle die nach österreichischem
Recht zur Anwendung gelangen
den Grundsätze auch dem deutschen
Recht entsprechen. Ehe Herr
Kraus und ich uns darüber entscheiden, ob ein
Zivilprozess zu
führen ist,
möchte ich Sie also bitten, mir die im letzten Brief
und nunmehr verlangten
juristischen Aufklärungen zu geben.
Bei dieser Gelegenheit
erlaube ich mir die
Frage, ob
Sie das Strafverfahren gegen Herrn Schulz-Dornburg
und
gegen die unbekannten weiteren Täter beantragt haben.
Mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung