Sehr geehrter Herr Doktor.
Dr. Strauss – Kuh-Ehrenbeleidigung-Passiv.
Ich erlaube mir, mich auf Ihr
gesch. Schreiben
vom 6.ds. an Herrn Dr. Emil Franzel zu
beziehen, sowie auf die Unterre
dungen des Herrn Dr. Franzel mit Herrn
Karl Kraus.
Ich danke Ihnen für Ihre frdl.
Bereitschaft,
mir Material in
der Rechtssache gegen Anton Kuh zur Verfügung stellen
zu wollen und gestatte mir, das
Folgende mitzuteilen:
1./ Ich vertrete rechtsfreundlich
Herrn Dr. EmilStrauss, der
verantwortlicher Redakteur der Zeitung: „Sozialdemokrat“
in Prag ist. Herr Dr. Strauss ist von Anton Kuh beim Strafkreisgericht
als Schöffengericht in Prag, wegen des Vergehens der Ehrenbeleidigung
geklagt worden. Gegenstand der
Klage ist der ganze Inhalt der beilie
genden beiden Artikel vom 22. April 1932 und vom 28. April 1932, die
ich Ihnen in der Beilage im
Originale übersende.
Ich bitte jedoch, mir die beiden
Artikel
nach Einsichtnahme
frdl. wieder zurücksenden zu wollen. Beide Artikel
haben die gleiche Ueberschrift
„Deutsche Kultur in Prag. Die Uraniaund ihr Anton Kuh.“
Der zweite Artikel enthält Bemerkungen zu einer
tatsächlichen Berichtigung des
Herrn Anton Kuh,
die gleichfalls in
ihrem ganzen
Umfange inkriminiert sind.
2/. Ich erlaube mir zu bemerken,
dass in materiellrechtlicher
Beziehung hier unverändert die Bestimmungen des Strafgesetzbuches
über Ehrenbeleidigungen gelten.
Zuständig ist, sofern das Vergehen
der Ehrenbeleidigung geklagt ist, ein fünfgliedriges Schöffensenat,
/ 3 Berufsrichter, 2 Schöffen /
Wenn bloss wegen Vernachlässigung der
pflichtgemässen Obsorge geklagt
wird, hingegen ein Dreirichter
senat ohne Schöffen.
Die Judikatur der
Schöffengerichte ist ausserordentlich
streng. Die Position des
beschuldigten Redakteurs ist nach unserer
Praxis ausserordentlich
schwierig. 95 von 100 aller Pressprozesse
werden bei uns gleich nach
Einleitung des Verfahrens durch Vergleiche
beendet. Die Leserschaft der
Zeitungen weiss derart vereinbarte Ehren
erklärungen entsprechend gering
zu werten.
3./ Mit Rücksicht auf die
Persönlichkeit des Herrn AntonKuh ist es aber
nicht möglich, ihm eine der üblichen Ehrenerklärungen
auszustellen.
Aus diesem Grunde muss Herr Dr.
Strauss diesen Prozess
führen, obwohl es mit Rücksicht
auf die scharfen formellen Beleidigun
gen sehr zweifelhaft ist, ob der
Prozess überhaupt gewonnen werden
kann.
Meine Bitte an Sie, sehr
geehrter Herr Doktor, geht nun
dahin, Sie möchten die
ausserordentliche Liebenswürdigkeit haben, mir
Material zur Führung des
Wahrheitsbeweises zur Verfügung zu stellen.
Das Material über die auf die
Tätigkeit des Herrn Kuh in Berlin und in
Prag bezüglichen Behauptungen dürfte mir von anderer Seite zukommen.
Meine Bitte an Sie bezieht sich
sohin insbeson
dere
auf jene Behauptungen, die den Prozess des Kuh mit Herrn KarlKraus betreffen und
ferner die Beziehungen des Kuh zu Bekessy.
4./ Der Vollständigkeit halber
bemerke ich noch, dass
Kuh gegen Herrn Dr.
Strauss auch eine Klage wegen der Uebertretung
der §§ 21 und 22 des hier noch geltenden altösterreichischen Press
gesetzes überreicht hat, dass
Herr Dr. Strauss jedoch – vorläufig in
erster Instanz – freigesprochen
worden ist. Es ist ferner ein Ehren
beleidigungsprozess gegen Kuh anhängig, wegen
der in einem Vortrag
in Prag von ihm begangenen Beschimpfungen der Mitglieder
der Redaktion
des „Sozialdemokrat“.
5./ Ich habe nach dem Gesetz die
Anträge auf Führung
des
Wahrheitsbeweises bis 16.ds. zu überreichen. Ich habe jedoch –
was zulässig ist – um
Verlängerung der Frist um 14 Tage, d.i. bis zum
30. d.Mts. angesucht.
Ich danke Ihnen, sehr geehrter
Herr Doktor, im
Voraus bestens für Ihre
Freundlichkeit und sehe der Erteilung von
Informationen mit grossem
Interesse entgegen.
Wie bereits oben erwähnt, bitte
ich, mir die bei-
liegenden Zeitungsblätter nach
Einsichtnahme gütigst zurückstellen
zu wollen.
Ich zeichne, im Voraus bestens
dankend,
mit vorzüglicher
Hochachtung
als Ihr
ergebener:
Dr. Schwelb
2
Beilagen.
Rekommando.