Die Fackel


Abschrift.


Sehr geehrter Herr Kollege!


In meiner Sache gegen Sinsheimer ist das Verfahren
durch einen in der Hauptverhandlung abgeschlossenenen Ver
gleich beendet worden, durch den der Angeklagte sich zur Auf
nahme anliegender, inzwischen im Berliner Tagebelatt erschienenen
Erklärung verpflichtet hat. Ausserdem hat der Angeklagte die
gesamten Kosten übernommen.


Ich habe mich zum Abschluss dieses Vergleichs in erster
Linie aus der Erwägung entschlossen, dass seit Wochen eine
Amnestievorlage schwebt, deren Gesetzwerdung die Einstellung
eines derartigen Beleidigungsprozesses zur voraussichtlich
sicheren Folge hätte. Vor den Amtsgericht Charlottenburg hätte
ich zweifellos eine Bestrafung des Angeklagten durchgesetzt und
eine Einrückung des Urteilstenors im Berliner Tageblatt er
wirkt, wahrscheinlich auch eine Busse zugesprochen erhalten.
Der die Verhandlung führende Richter, Amtsgerichtsrat Neumann
stand nämlich ganz auf meiner Seite. Es war aber damit zu
rechnen, dass gegen ein solches Urteil von der Gegenseite Beru
fung eingelegt worden wäre, über die eine Hauptverhandlung vor
Oktober oder November nicht zu erwarten war. Inzwischen wäre
bereits der neu gewählte Reichstag an der Arbeit gewesen, zu
dessen ersten Aufgaben man die Erledigung der Amnestievorlage
rechnet. Bei der sicheren Rechtsorientierung des kommenden
Reichstags muss mit einer sehr starken Ausdehnung der Amnestie
gerechnet werden. Infolgedessen bestand die grösste Wahrschein
lichkeit, dass es dem Berliner Tageblatt gelungen wäre, bei Ver
schleppung des Verfahrens zu seiner Einstellung zu gelangen.
Dieser Aussicht gegenüber erschien es mir vorteilhafter, den Ver
gleich abzuschliessen, der ja praktisch eine vollständige Selbst-
Desavouierung des Blattes bringt.


Der Angeklagte wurde von dem Kollegen und Schriftsteller
Dr. Martin Beradt vertreten, der in der Verhandlung durchblicken
liess, dass er persönlich vor Herrn Kraus grossen Respekt habe,
wenn nicht gar zu seinen Verehrern zu zählen sei. So erwähnte
er, als der Name Kerr fiel, es befänden sich in der Redaktion
des Berliner Tageblatts auch Personen, die mit Recht Herrn Kraus
Verehrung entgegenbrächten. Ferner deutete er an, – natürlich
aus taktisch durchsichtigen Gründen – er hielte mich für ei
nen Jünger des Herrn Kraus, der darum diese Sache mit besonderer
Heftigkeit verfechte; Herr Kraus hätte eine grosse Anzahl Jünger,
und zwar mit Recht.


Bei Abfassung des Vergleichstextes trug er eine grosse Aengst
lichkeit um die Korrektheit des Ausdrucks zur Schau, angeblich,
um nicht der Fackel Anlass zu einer sprachkritischen Glosse
zu geben.


In der Hoffnung, dass der Ausgang des Verfahrens
Herrn Kraus befriedigt, und mit der Bitte, ihm den Aus
druck meiner Verehrung zu übermitteln, bin ich


mit herzlichen Grüssen
Ihr sehr ergebener
gez. Dr. Katz