Berliner Tageblatt, 6.7.1932 (Morgenausgabe)Berliner Tageblatt, 6.7.1932 (Abendausgabe)Die Fackel


Sehr geehrter Herr Kollege!


Auf Ihre Anfrage vom 16. Juli 1932 erlaube ich mir folgen
des zu erwidern:


Ich bin damit einverstanden, dass mein Brief in der Fackel,
nach dem Wunsch von Herrn Kraus, ganz oder zum Teil abgedruckt
wird. Allerdings ist mir bekannt, dass die hiesige Anwaltskammer die Veröffentlichung von Prozessberichten durch an dem
Verfahren beteiligte Anwälte missbilligt. Wird dieses Schreiben
unter meinem Namen abgedruckt, so ist eine Beschwerde des
Herrn Beradt bei der Anwaltskammer vorauszusehen und ein an
meine Adresse gerichteter Verweis zu erwarten, insbesondere
darum, weil nach Auffassung der Anwaltskammer mein Schreiben
als Glossierung eines Kollegen vor der Oeffentlichkeit an
gesehen werden dürfte. Man könnte derartigen Weiterungen aus dem
Wege gehen, wenn beim Abdruck des Briefes nicht ausdrücklich
betont würde, dass ich sein Verfasser sei. Glaubt indessen
Herr Kraus, die Wirkung des Abdruckes ohne die Nennung meines
Namens abzuschwächen, so bin ich auch mit dem Abdruck unter
meinem Namen einverstanden. Jedenfalls möchte ich aber für den
Abdruck einige Stellen wie folgt ändern:


Auf Seite 2, Absatz 2, Zeile 16, müsste es heissen:


„auch Personen, die mit Recht Herrn Kraus hochschätzen.“
Dafür, dass das Wort „Verehrung“ gebraucht ist, kann ich nicht
einstehen; auch andere Personen, die der Verhandlung beigewohnt
haben, können sich an diesen Ausdruck nicht erinnern, sondern
nur daran, dass Herr Beradt die Hochschätzung von Herrn Kraus
durch Redaktionsmitglieder hervorgehoben hat. Im nächsten Ab
satz möchte ich die in Parenthese gehaltene Stelle so fassen:


„offenbar aus taktischen Gründen.“


Der Sinn dieser Bemerkung war, dass meiner Auffassung nach
Herr Beradt meine Ergebenheit gegenüber Herrn Kraus hervorheben
und unterstreichen wollte, um die Stichhaltigkeit der von mir
vorgebrachten Argumente stärker zu erschüttern. Er wollte mich,
um es kurz zu sagen, in dieser Sache als ungewöhnlich befangen
hinstellen. Im dritten Absatz auf Seite 2 möchte ich hinter
„zur Schau“ fortfahren: „was er unter anderem damit begründete, der Fackel
keinen Anlass zu einer sprachkritischen Glosse geben zu wollen.“
Mit dem Worte „angeblich“ hatte ich zweierlei zum Ausdruck brin
gen wollen. Einmal, dass er tatsächlich die eben erwähnte Be
sorgnis geäussert hatte, und zweitens, dass mir diese Moti
vierung nicht ganz ernst gemeint erschien. Er gab u.a. auch an,
dass er kein schlechtes Deutsch von sich aus in den Druck zu
geben gewohnt sei. In der Hauptsache aber hatte ich das Gefühl,
dass er unter dem Mantel der Ausdruckskorrektheit gerne eine
Verschlechterung des Inhalts durchgeschmuggelt hätte.


Die Verhandlung hat am 4. Juli 1932 stattgefunden. Die
Berichtigung ist im Morgenblatt vom 6. Juli 1932 erschienen.
In der Abendausgabe vom gleichen Datum ist Kerr’s Feuilleton
Clarence und die Nutzniesser“ erschienen.


Auf die Frage, ob die von Ihnen angegebene Stelle in III
dieses Feuilletons eine strafbare Beleidigung des Herrn Kraus
enthält, möchte ich mit ja antworten. Dagegen beurteile ich
die Aussichten eines Beleidigungsprozesses gegen Kerr wegen
dieser Äusserung für ausserordentlich gering, wenn nicht für
hoffnungslos. Ich bin nicht einmal sicher, ob Kerr zu einer
Äusserung auf eine zu erhebende Privatklage vom Gericht auf
gefordert werden würde, sondern halte es für denkbar, dass
das Verfahren von Amtswegen eingestellt wird. Die Notver
ordnung vom Oktober 1931 bietet Handhaben genug, um das Ver
fahren einzustellen. Es ist meiner Meinung nach als wahrschein
lich anzusehen, dass das Gericht bei der Unbestimmtheit des
Ausdrucks und der mangelnden Kenntlichmachung des Adressanten für Unbeteiligte
der Beleidigung die Schwere der Ehrenkränkung verneint und die
Folgen als geringfügig bezeichnet. In diesem Fall kann auf
Grund der Notverordnung das Verfahren eingestellt werden. Vor
allem aber stützt sich mein Bedenken auf die Geistesver
fassung der Richter, mit denen man es bei Erhebung der Klage
zu tun hätte, eine Geistesverfassung, die durch die gegen
wärtige politische Situation noch bösartiger geworden ist, und
in deren Horizont der Rechtstreit nur als die Austragung
eines Literatengezänkes, für das die Zeit zu ernst sei er
scheinen dürfte. Selbst der Charlottenburger-Richter, der sich
in dem Verfahren gegen Sinsheimer mir gegenüber so ausser
ordentlich günstig verhielt, dürfte ein tieferes Verständnis
für die Materie nicht aufbringen können. Auch er hatte übri
gens vorher aus Gründen der Notverordnung das Verfahren ein
gestellt und war erst durch den Beschluss des Landgerichts
zur Tätigkeit erweckt worden. Sollte Kerr zur Rede gestellt
werden, so wird er meiner Meinung nach sogar nicht einmal die
beleidigende Tendenz der inkriminierten Stelle ableugnen, bezw.
um eine Ableugnung herumzugehen versuchen. Vielleicht versucht
er es auch mit seinem früheren Trick, dass er kurz vorher erst
das letzte Heft der Fackel vom April 1932 gelesen hätte, in dem
sich jedenfalls eine Reihe gegen Journalisten und Kritiker
gerichtete Stellen befinden,und gibt vor, sich dadurch belei
digt gefühlt zu haben. Unter Umständen, denn bei unserer
Rechtsprechung ist alles möglich, kommt er auch damit durch und
erlangt so Straffreiheit, weil er eine Beleidigung auf der
Stelle mit einer anderen erwidert habe.


Ich möchte nochmals nicht im Zweifel lassen, dass ich an
und für sich die Kerr’sche Äusserung für eine theoretisch durch
aus fassbare Beleidigung halte. Mein Bedenken richtet sich
lediglich gegen die praktische Durchsetzbarkeit des Straf
anspruches. Selbstverständlich bin ich bereit, falls Herr Kraus
dies wünscht, die Beleidigungsklage einzureichen und bitte für
diesen Fall um Angabe der Personen, die jene Äusserung als
gegen Herrn Kraus gerichtet empfunden haben, und die es auch
bekunden werden.


In der Anlage übersende ich Ihnen die gewünschte Nummer
des Berliner Tageblatts.


Ich bitte, Herrn Kraus den Ausdruck meiner herzlichen
Verehrung zu übermitteln und bin mit herzlichen Grüssen


Ihr sehr ergebener
Katz