22. August 1933.
Dr.S/Fa.
An das
Strafbezirksgericht I als PressegerichtWien.
Privatankläger: Karl Kraus, Herausgeber der Zeitschrift
‚Die Fackel‘ Wien
III., Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,
durch:
Vollmacht ausgewiesen zu 2 U
588/33.
Beschuldigter: Willy Marx, verantwortlicher Redakteur
der Zeitung ‚Oesterreichisches Abendblatt‘
Wien IX., Canisiusgasse Nr. 8–10 und weitere
unbekannte Täter.
wegen Ehrenbeleidigung
begangen durch die Presse
1 fach
1 Beilage
Antrag auf
Vorerhebungen und Vornahme einer Hausdurchsuchung.
Im Oesterreichischen Abendblatt vomMontag den 21. August 1933,
Folge 113, erschien auf Seite 7 in
der ersten Spalte die folgende
Notiz:
„Die ‚Wiener Neuesten Nachrichten‘, die sich neuerdings,
seit ihrer Druckerei ständig der Gewerbeentzug droht,
auf ein ‚literarisches‘ Gebiet
begeben, beweisen, dass
ihnen
auf diesem ‚literarischen‘ Gebiet fast ebensolche
Schnitzer passieren, wie auf
dem politischen. Da be
richten sie gestern
triumphierend, der brave Verlag
Albert Langen, München, hätte einer Prager Zeitung
Rezensionsexemplare
verweigert, mit der klugen Begrün
dung, dass in dem Blatte Beiträge von Heinrich
Mann
und Alfred Kerr
erscheinen. Man mag nun zu diesen
Schriftstellern stehen, wie
immer man will: Der Verlag
Albert Langen hat kein Recht, sich
aufzupudeln. Denn
dieser Verlag brachte das Buch des jüdischen
Bankiers
Meyer (Meyrink) heraus: ‚Des deutschen Spiessers Wunderhorn ‘, das bereits im
Wilhelminischen Deutschland ver
boten war. Dieser Verlag ist der Verlag des nicht ganz
reinrassigen Wiener
Bolschewiken Karl
Kraus, in diesem
Verlag erschien das Buch ‚Heine und die Folgen‘ des
berüchtigten Wiener
Kretzerich. Was allerdings den
‚Wiener Neuesten‘ unbekannt sein
dürfte. Unbildung und
die
Folgen …“
Diese Notiz enthält die beleidigenden Worte
„des berüchtigten Wiener
Kretzerich“. Da dies schon die zweite
beleidigende Notiz in dieser Zeitung ist und die Vermutung be
steht, dass der Täter in beiden Fällen der gleiche ist, bean
trage ich auch in diesem Fall die
Einleitung von Vorerhebungen
und
zwar:
1.) die Vornahme einer
Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme
des eventuell vorgefundenen
Manuskriptes der im Oesterreichischen Abendblatt vom 21.
August 1933, Folge 113 auf
Seite 7 erschienenen Notiz, weil das
Manuskript für die Straf
sache von Bedeutung ist.
Die Hausdurchsuchung in der Schriftleitung
des Oesterreichischen Abendblattes in Wien IX., CanisiusgasseNr. 8–10 und eventuell in
der Druckerei Universitätsbuchdruckerei Rudolf Hanel in
Wien IX., Canisiusgasse Nr. 8–10
vor
zunehmen. Von
der Vornahme ist der Vertreter des Privatanklägers Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt in Wien XIV., Reindorfgasse Nr. 18 zwecks Intervention zu verständigen.
2.) Die Einvernahme des
Beschuldigten Willy Marx darüber,
ob er den Artikel vor der Drucklegung gelesen und zum Druck
befördert hat; ferner, ob er den
Verfasser der Notiz anzugeben
bereit
ist.